© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

Der Flaneur
Theater auf Klo
Elke Lau

Freundin Heike – von Berufs wegen mit absonderlichem Verhalten menschlicher Wesen vertraut – ruft an: „Wir machen gerade Urlaub auf Usedom. Stell’ dir vor, was mir gestern passiert ist.  Auf der Damentoilette unseres Hotels kämmte sich ein Mann in aller Seelenruhe die Haare am Waschbecken. Auf meine empörte Frage, was er hier zu suchen habe, schaute er treuherzig aus der Wäsche und meinte, er würde sich heute mal als Frau fühlen.“

„Na, dem hätte ich aber verklickert, wo der Oberförster die Blaubeeren anhängt. Wie hast du denn reagiert?“

„Ob ich mich jetzt als Mann fühlen und das Herrenklo benutzen soll. Aber er hat nur hämisch gegrinst.“

Ein paar Tage später schlendern wir über den Marktplatz eines kleinen Fischerdorfs und ich betrete das öffentliche WC im Tiefparterre neben dem Rathaus. Die Tür zur einzigen Damentoilette ist abgeschlossen, davor parkt ein Rollator.

„Sie wissen schon, daß sie sich auf fremdem Territorium befanden?“, fragen zwei bärtige Gesichter.

Zunächst warte ich ungeduldig, will dann das Behindertenklo benutzen, aber das läßt sich nicht verschließen. Eine der Marktverkäuferinnen taucht auf, erfaßt die Situation und öffnet resolut die Tür zur Herrentoilette. „Ist doch gerade niemand hier, na los, ehe wir hier lange herumstehen!“

Ich schiebe Skrupel beiseite und folge ihr gehorsam. Beim abschließenden Händewaschen kichern wir wie Schulkinder, als plötzlich kräftig gegen die Tür gehämmert wird. Wir öffnen und schauen in drei verärgerte, bärtige Gesichter. „Sie wissen schon, daß Sie sich auf fremdem Territorium befanden?“

Ehe wir uns entschuldigen können, humpelt ein übergewichtiger Hüne aus der Damentoilette und verschwindet mit Hilfe des Rollators. Die allgemeine Sprachlosigkeit dauert nur Sekunden und wird von befreiendem Gelächter abgelöst. 

Ist jetzt eigentlich bewiesen, daß eine gleichgeschlechtliche Nutzungsordnung funktionieren kann? Oder trifft das Zitat von Morgenstern eher zu, daß das Geschlecht zwei Drittel aller möglichen Geistigkeit auffrißt?

Begleiter Uli fragt kopfschüttelnd: „Was war denn da los? Hattest du wieder eine Theateraufführung?“