© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

Lastabwurf für die Energiewende
Die schlauen „Smart Meter“ können nicht nur den Strom messen, sondern ihn auch in der Versorgungsnot abstellen
Jörg Fischer

Am 22. März ab 10 Uhr hätte die Bundesregierung die drei verbliebenen Kernkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 vorzeitig abschalten können. Auch die Kohlekraftwerke waren unnötig: Sie „verstopften“ sogar zwischen 11 und 12 Uhr das Stromnetz, wie es Grünen-Politikerinnen formulieren würden. Die „erneuerbaren“ Quellen produzierten 62,5 Gigawattstunden (GWh; genau 62.485 Megawattstunden/MWh). Die Netzlast lag bei 67,1 GWh. Die „Stromlücke“ von 4,8 GWh hätte Erdgas füllen können. Doch die „Kohlemeiler“ pusteten unverdrossen ihr CO2 in die Atmosphäre, und die AKW wurden nur auf zwei Drittel ihrer Leistung gedrosselt, weshalb etwa 13 GWh ans Ausland „verschenkt“ werden mußten.

Am 27. März war es zwischen 13 und 14 Uhr laut Bundesnetzagentur ähnlich. Die Energiewende funktioniert also? Nein: Am 20. und 21. März sowie am 29. März lieferten nur Biogas und Wasserkraft verläßlich „erneuerbaren“ Strom – die große „Stromlücke“ mußte stundenlang überwiegend „fossil“ und „radioaktiv“ sowie durchs Ausland gefüllt werden, ansonsten wäre mindestens das deutsche Stromnetz zusammengebrochen. Aber was wäre gewesen, wenn es die im Ampelkoalitionsvertrag versprochenen 200 Gigawatt (GW) Photovoltaik-Leistung und neue Windräder auf zwei Prozent der Landesfläche schon gegeben hätte? Nichts, denn in Dunkelflauten hilft das wenig.

„An grauen Tagen gibt es viel weniger erneuerbare Energien“

Oder wie es Annalena Baerbock am 21. Januar 2018, kurz vor ihrer Wahl zur Grünen-Chefin, treffend im Deutschlandfunk formulierte: „An Tagen wie diesen, wo es grau ist, da haben wir natürlich viel weniger erneuerbare Energien.“ Doch die folgenden Sätze iritierten: „Deswegen haben wir Speicher. Deswegen fungiert das Netz als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet.“ Das zeigt, daß die heutige Außenministerin, die eher „vom Völkerrecht kommt“, auch mit der Physik auf Kriegfuß steht. Völlig falsch lag sie nicht: Pumpspeicherkraftwerke gibt es seit einem Jahrhundert. Aber die leisten maximal sieben GW, und das nur für vier bis sechs Stunden – dann sind die Speicherbecken leer.

Und beim Netz wurde tatsächlich etwas ausgerechnet – und das schon 2011, als Angela Merkel den Atomausstieg bis Ende 2022 beschloß. Die promovierte Physikerin wußte, daß bei dem künftigen Kohle-Aus – selbst bei einem Erdgas-Backup – irgendwann die Stromnetzstabilität leidet. Das 2011 novellierte Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sowie die EU-Richtlinie 2006/32/EG verpflichtete daher Stromverbraucher, die mehr als 6.000 Kilowattstunden (kWh) jährlich verbrauchen, erstmals dazu, „intelligente“ Stromzähler einzubauen. Diese Smart Meter versorgten die „Netzbetreiber mit wichtigen Informationen wie Strom, Spannung und Frequenz, damit diese zeitgenau Erzeugung, Netzbelastung und Verbrauch weitgehend automatisiert aufeinander abstimmen können“, schwärmte das FDP-Wirtschaftsministerium von Philipp Rösler.

Daß die Digitalzähler den Energiefirmen verraten, wer wann seinen Trockner oder den Backofen einschaltet, mag verschmerzbar sein. Aber letzlich müssen alle mechanischen Meßgeräte durch Smart Meter ersetzt werden. 2021 sprach der damalige CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier über „Spitzenglättung“ und sein Parteifreund Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen, über die „Integration neuer, flexibler Verbrauchergruppen“ für einen „planbaren, verläßlichen und sicheren Netzbetrieb“.

Damals standen nur private Ladestationen für E-Autofahrer und die zaghaft aufkommenden Wärmepumpen auf der Not-Aus-Liste. Doch deren „Lastabwurf“ und die seit Jahren übliche zeitweise Stromabschaltung von Großverbrauchern wie Aluminium-Hütten reicht bei 80 Prozent mehr launischem Wind- und Solarstrom bis 2030 nicht mehr aus. Deshalb hat das Ampel-Kabinett im Januar den „Neustart für die Digitalisierung der Energiewende“ und den „beschleunigten Rollout von Smart-Metern“ beschlossen. Was das konkret heißt, wollte Marc Bernhard zusammen mit weiteren Kollegen der AfD-Bundestagsfraktion durch eine Kleine Anfrage von der Bundesregierung erfahren.

Robert Habecks Staatssekretär Patrick Graichen, bis 2021 Direktor der Lobbyfirma Agora Energiewende, hat vorige Woche auf elf Seiten geantwortet (Drucksache 20/5954). Und das Entscheidende steht in der Antwort auf Frage 13: „Sofern die Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems in der jeweiligen Regelzone gefährdet oder gestört ist, sind die Betreiber der Übertragungsnetze dementsprechend berechtigt und verpflichtet, die Gefährdung oder Störung durch netz- und marktbezogene Maßnahmen (u.a. Redispatch, Regelleistung, vertraglich vereinbarte abschaltbare Lasten) sowie zusätzliche Reserven zu beseitigen“, so Graichen.

Kaskade der Stromsperren zur Rettung der Netzstabilität?

Habecks „Steuerbarer Netzanschluß“ bedeutet also: Gibt es eine erneuerbare „Stromlücke“, weil Atom-/Kohlestrom verboten und Gaskraftwerke oder das Ausland nicht einspringen können, dann gibt es in der Regel keinen Blackout, sondern einen angekündigten „Brownout“, wie er seit einigen Jahren in Südafrika oder seit Kriegsbeginn in der Ukraine üblich ist. Die Erlebnisgeneration der Nachkriegszeit oder der Blockade West-Berlins 1948/49 kennt das als „Stromsperre“. Und „als letzte Möglichkeit“ erlaubt Habecks Abschalt-Kaskade dank Paragraph 13 EnWG sogar „den unfreiwilligen Lastabwurf“. Dies diene „dem übergeordneten Ziel, das Stromnetz stabil zu halten und die Wiederversorgung aller Verbraucher möglichst schnell wieder gewährleisten zu können“, erläuterte Graichen.

Was wohl heißt: Im Zweifel können Ladesäule, Wärmepumpe und Haushaltsstrom sogar zusammen abgeklemmt werden. Angesichts dessen scheint zweitrangig, ob die Smart-Meter-Gateways (SMGW) dem Meß- und Eichrecht unterliegen, die Funktion des „Selbsttests“ haben und die Eichfrist bei zwei oder acht Jahren liegt. Und welche Bedeutung hat die Größe des Energieeinsparpotentials?  Es sollen 5,42 bis 7,85 Prozent sein. Doch die Miele-Waschmaschine schaltet sich nicht  nicht zu Billigtarifzeiten ein und der Tesla-Akku ist beim Start zur Arbeit noch immer leer, wenn gerade wieder ein „Lastabwurf“ beim Stromlieferanten nötig ist. Das wäre übrigens in der Nacht vom 29. zum 30. März fast passiert – da wären in halb Deutschland die Lichter ausgegangen, hätten nicht „fossiler“ und ausländischer Strom Schlimmeres verhindert.

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