© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

Rache für München
Im April 1973 töten israelische Kommandos im Libanon gezielt palästinensische Hintermänner des Olympia-Attentats von 1972
Marcel Waschek

In der Nacht vom 9. auf den 10. April 1973 lagen acht israelische Schnellboote vor der Küste des Libanon vor Anker. Als sie das vereinbarte Signal empfingen, stieg das insgesamt aus 75 Fallschirmjägern, Kampftauchern und Terrorabwehrsoldaten bestehende Kommando in 19 Schlauchboote und steuerte die Küste von Beirut an. Die letzten Meter bis zum Strand wurden mit Paddeln zurückgelegt, um nicht durch Motorengeräusche aufzufallen. Am Strand wurden sie bereits von Agenten des Mossad erwartet und mit tags zuvor angemieteten Autos abgeholt. Regie führte die damals noch geheime Spezialeinheit „Sajeret Matkal“ (Späher des Generalstabes), die offiziell dem Militärgeheimdienst Aman unterstanden.  

Zwei Gruppen des ersten Stoßtrupps, getarnt als Touristen, schlichen sich in vorher markierte Gebäude und plazierten Sprengladungen an den Türen ihrer Zielpersonen, während eine dritte Gruppe Wache stand. Vor dem Angriff fand ein letzter Signalaustausch zwischen den Gruppen und den anderen Stoßtrupps statt. Die Ladungen wurden gezündet, die Soldaten drangen in die Wohnungen von Kamal Adwan, Kamal Nasser und Muhammad Youssef Al Najjar ein und töteten sie. 

Der zweite Stoßtrupp stürmte in ein Hochhaus, in dem viele Kämpfer der Palestine Liberation Organization (PLO) untergebracht waren. Sofort kam es zu einem Schußwechsel mit den Palästinensern, in dem drei israelische Soldaten verwundet wurden. Dennoch gelang es, einen Sprengsatz zu legen und beim Rückzug das komplette PLO-Lager zu sprengen. Der dritte Stoßtrupp, welcher ausschließlich aus Kampftauchern bestand, verminte zwei palästinensische Waffenlager, das Hauptquartier der PLO, ein Treibstofflager und Fahrzeugdepot sowie eine Waffenfabrik. Die Sprengung aller Ziele glückte. Die ersten beiden Stoßtrupps gerieten in ein heftiges Gefecht mit Palästinensern. Doch alle Soldaten konnten sich vom Feind lösen und zurück zum Strand entkommen. Ein libanesischer Panzerwagen am Strand bemerkte die auf dem Rückzug befindlichen Kämpfer nicht. Ungestört konnten sie mit den wartenden Schlauchbooten zu den Schnellbooten fahren und nach Israel entkommen. Von den drei Verwundeten erlagen später zwei ihren Verletzungen. Darüber hinaus gab es auf seiten Israels keine Verluste. 

Zwei libanesische Polizisten, eine unbeteiligte Italienerin und mehrere PLO-Kämpfer fanden in dieser Nacht den Tod.

Die Angriffe waren Vergeltungsaktionen für den Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft in München. Bei der Geiselnahme am 5. September 1972 waren neun israelische Sportler und ein deutscher Polizist durch acht palästinensische Terroristen der Gruppe „Schwarzer September“ getötet worden.

Eine Zielperson war Kommandeur der Münchner Attentäter 

Auf Anregung der israelischen Premierministerin Golda Meir wurde die Einheit Caesarea aufgestellt. Diese hatte den Zweck, die Verantwortlichen für das Olympia-Attentat zu töten. Die Liquidationen wurden unter dem Namen Operation „Zorn Gottes“ bekannt. Caesarea hatte seit 1972 bereits vier Zielpersonen erfolgreich ausgeschaltet. Diese hatten sich meist ohne Leibwächter und ohne Sicherheitsvorkehrungen in der Öffentlichkeit aufgehalten. Die Terroristen und hohen PLO-Kader Kamal Adwan, Kamal Nasser und Muhammad Youssef Al Najjar lebten jedoch in gut geschützten Wohnvierteln Beiruts in festungsartigen Gebäuden. Al Najjar galt sogar als verantwortlicher Kommandeur des Terroristen-Teams des Olympia-Attentats 1972 in München und in der Hierachie als Nummer drei der PLO. Sie alle waren ständig von Leibwächtern und weiteren Sicherheitskräften umgeben. Daher konnten die 12 bis 15 Agenten der Caeserea nicht wie bei den anderen Zielpersonen vorgehen und übertrugen die Aufgabe an Spezialisten des Militärs. Dem Angriff auf die PLO im Libanon war eine umfangreiche Aufklärung des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad und des Militärgeheimdienst Aman, sowie der Informationsaustausch mit verschiedenen ausländischen Geheimdiensten vorausgegangen. Die Zielpersonen, ihre Wohnungen und Gewohnheiten waren bereits seit Februar 1973 aufgeklärt worden. Da sich auch PLO-Chef Jassir Arafat regelmäßig in diesen Quartieren aufhielt, hoffte man darauf, zusätzlich auch ihn zufällig dort anzutreffen. Denn auch für ihn hätte der Tötungsbefehl gegolten. Die Kommandos waren sich aber darüber im klaren, daß seine Anwesenheit auch wesentlich stärkere Sicherheitskräfte am Zielort bedeutet hätte. 

Die Operation mit dem Namen „Frühling der Jugend“ des Sajeret Matkal wurde übrigens von Ehud Barak kommandiert, dem späteren Generalstabschef der israelischen Streitkräfte und Premierminister Israels. Die Operation selbst wurde durch die Kyria, die israelische Militärführung geplant. Hierfür wurden von der Marine Raketenschnellboote und 34 Kampftaucher der Shayetet 13, 20 Fallschirmjäger des Heeres und 21 Kommandos des Sayeret Matkal herangezogen. 

Außenpolitisch hatte die Aktion für Israel negative Konsequenzen. Die Beschwerde des Libanon führte zur Resolution 332 des Uno-Sicherheitsrates, der Israel offiziell wegen der Verletzung internationalen Rechts verurteilte. In Israel wurde die Operation dennoch als Erfolg betrachtet. Denn das nun geweckte Bewußtsein bei der PLO-Führung, daß Israel fähig und gewillt war, deren Aktivisten auch in vermeintlichen Hochburgen zu lokalisieren und zu töten, mußte bei terroristischen Aktionen gegen Israel künftig immer einkalkuliert werden.