Kein Kabinenklatsch der Kellerkinder – aber eine Klatsche: Am Freitag abend verliert im Friedensstadion der VfB Germania Halberstadt trotz Überzahl und zweier Elfmeter mit 1:2 gegen den angereisten Traditionsverein Tennis Borussia Berlin. Es ist mein erstes Fußballspiel, das ich hier seit dem Mauerfall erlebe – aber vielleicht trügt die Erinnerung, wie auch das Spiel selbst. Tatsächlich beeindrucken mich die in weiß spielenden Preußen von TeBe mit unermüdlichem Einsatz und überraschenden Spielzügen, die mir mehr Respekt abnötigen als der selbstmitleidige Auftritt der „Mannschaft“ zur Fußball-WM in Katar. Derweil nähern sich die Halberstädter Fußballer der roten Laterne, farblich passend zu ihren Hosen und Trikots, die schon a priori kein gutes Omen sind. Ganz anders die Haltung von Manuel Rost, Trainer der Heimmannschaft. Zuvor hatte TeBe-Trainer Christopher Brauer zwar die Trias von „Kampf, Leidenschaft, Wille“ seiner Spieler gelobt, um sich aber doch demütig als „glücklicher Sieger“ zu geben. Von geradezu unfreiwilliger Ironie wirkte sein Lob für die Gastgeber, die einen „sehr interessanten Ball“ spielten.
Als ich in die Lobby will, um dort eine Wiener zu ergattern, wird mir – obwohl Presse – der Zutritt verwehrt.
Anders als das verbale „Flickwerk“ nach dem WM-Aus die ungeschminkte Reaktion von Germania-Coach Manuel Rost: Die Gäste hätten „verdient gewonnen“, sie selbst „verdient verloren“, da „zu passiv, zu fehlerhaft, zu wenig engagiert“ und „in falschen Räumen zu falschen Zeiten aufgehalten“. In der Tat, zu anderen Zeiten war alles anders: Das beginnt schon bei den Spielern Sepp Herberger (Tennis Borussia) und Jürgen Sparwasser (Halberstadt). Auch die Zusammensetzung der Spielklasse, der Regionalliga Nordost, gleicht einer Zeitreise, ist doch mit den Klubs BFC Dynamo, Carl Zeiss Jena, Chemnitzer FC (einst Karl-Marx-Stadt), Energie Cottbus, Lok Leipzig und Rot-Weiß Erfurt fast die Hälfte der Oberliga, der höchsten Spielklasse des DDR-Fußballs, vertreten, während Tennis Borussia in den 1970ern in der Bundesliga spielte und 1941 – damals Meister in der Gauliga Berlin-Brandenburg – Hertha BSC mit 8:2 demütigte. Gesamtdeutscher Meister wurde seinerzeit Rapid Wien. Apropos: Als ich zwischendurch in die Lobby will, um dort eine Wiener zu ergattern, wird mir – obwohl Presse – der Zutritt verwehrt, da dies der „VIP-Bereich“ sei. Ich denke mir, gestärkt durch ein Bier: Allein bin ich doch schon mehr VIP als alle zusammen, die da drin sind. Tatsächlich nimmt mich wenig später jemand mit hinein, der sich als einstiger Arbeitskollege meines Vaters entpuppt.
Bei anderer Gelegenheit stolpere ich in der Bild-Zeitung über den Bericht von einem „Wolfsmensch(en)“, der in den Wäldern des Harz „zündelt“. Erst bei nochmaliger Lektüre entdecke ich auf derselben Seite auch die kleine Meldung: „Solar-Hasser zerstört 77s Paneele“. Kaum habe ich die Notiz gelesen, lache ich aus vollem Herzen. Das erinnert mich augenblicklich an jüngste Medienberichte über eine Umfrage des französischen Versicherungskonzerns Axa, wonach fast jeder dritte Deutsche nach eigener Aussage psychisch krank ist (Mental Health Report 2023).