© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

CD-Kritik: Franz Schubert Raphaël Pichon
Rückspiegelungen
Jens Knorr

Im Juli 1822 schreibt der damals 25jährige österreichische Komponist Franz Schubert eine Traumerzählung auf. Spät erst ist die Niederschrift als ein „Schlüssel zu der seelischen Disposition dessen, der sie aufzeichnet“, erkannt worden. Die berühmt gewordenen Sätze von Liebe und Schmerz „scheinen die Summe von Schuberts künstlerischer Existenz zu ziehen“ (Friedrich Dieckmann).

Über diesen Text holen Chor und Instrumentalensemble Pygmalion unter seinem französischen Gründer und Dirigenten Raphaël Pichon, Tenor Stéphane Degout, die Sopranistinnen Judith Fa und Sabine Devieilhe, „zu einem großen romantischen Fresko“ aus. Arien, Chöre und Lieder und die beiden Sätze der „Unvollendeten“ zwingen sie mit Stücken von Robert Schumann und Carl Maria von Weber zu einem wunderschön verfehlten Konzeptalbum zusammen.

Das franziszeische Zeitalter beschauen sie nicht durch Schuberts Augengläser, sondern Schuberts Momentum durch die Sehhilfen der Romantiker, den „Doppelgänger“ in der Orchestrierung von Franz Liszt, die „Gruppe aus dem Tartarus“ in der von Johannes Brahms, „Ellens dritten Gesang“ mit Harfen-Begleitung: zuviel ödipaler Grusel, zu wenig gesellschaftlicher Alptraum, zuviel Lacan, zu wenig Adorno.

In exquisiten Interpretationen stellen exquisite Interpreten Einzelstücke zueinander, die sich zu einer tönenden Bestandsaufnahme nicht fügen wollen. Sie haben Schuberts Traum mit dem ihren verwechselt.

Mein Traum Schubert – Schumann – Weber

harmonia mundi 2022

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