© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

Die große Transformation
Karfreitag und Ostern sind Feste der Verwandlung: Dem Sterblichen öffnet sich eine Brücke in die Ewigkeit. Gibt es Berührungspunkte mit der Transformationslehre des linksgrünen Milieus?
Dietmar Mehrens

Es kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Nach der Klausur des Ampel-Kabinetts in Meseberg am 6. März konnte man wieder die Zeit stoppen: Wie lange würde Grünen-Spitzenpolitiker Robert Habeck vor den Mikrophonen der Presse wohl brauchen, um das grüne Lieblingswort fallenzulassen? Seit der zweiten bundespolitischen Machtübernahme der Grünen ist „Transformation“ die Modevokabel der Stunde und wird nur noch von „Angriffskrieg“ in den Schatten gestellt. Genau besehen sind auch Karfreitag und Ostern, die beiden höchsten Feste der Christenheit, die wir am kommenden Wochenende feiern, Feste einer umfassenden „Transformation“. Aber von was für einer Transformation reden wir da genau? 

Am Anfang steht, beim Studium der biblischen Texte, die Beobachtung, daß Christus zwar leibhaftig auferstanden ist, gleichzeitig aber sein Leib von derart veränderter Gestalt war, daß er von seinen treuesten Wegbegleitern nicht wiedererkannt wurde, weder von Maria, die ihn zunächst, wie es das Johannesevangelium schildert, für einen Gärtner hielt, noch von den im Evangelium nach Lukas erwähnten Emmausjüngern, die ihren Meister erst beim Brotbrechen anläßlich der gemeinsam eingenommenen Abendmahlzeit erkennen. Jesu Himmelfahrt schließlich ist ein Hinweis darauf, daß der Leib des Auferstandenen bereits eine Disponiertheit für die Ewigkeit aufwies. Denn Lukas und Markus schildern, daß er in seiner menschlichen Gestalt in das Himmelreich eingegangen ist, um dort „zur Rechten Gottes“ zu sitzen.

An diese Beobachtungen schließt die Theologie des Apostels Paulus an, der im Römerbrief verspricht: „Wir werden alle verwandelt werden“ und zur Erklärung dessen einen verweslichen natürlichen vom unverweslichen geistlichen Leib unterscheidet. Mit dem Glaubensakt der Hinwendung zum Auferstandenen, so erklärt es der gelehrte Apostel, beginnt im Sterblichen des Menschen etwas Neues, das unsterblich ist. Zur Veranschaulichung hat er diese Verwandlung in verschiedene Metaphern gekleidet: die vom „neuen Menschen“, den es „anzuziehen“ gelte, die vom „Christus in euch“, die vom Hausgenossen Gottes. Was er damit zum Ausdruck bringen möchte, ist: Es findet eine Transformation statt. Er nennt es nur anders, spricht vom Getauftsein in den Tod Christi, der Kreuzigung des „alten Menschen“. Im 2. Korintherbrief steht der berühmte Satz: „Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“

Daraus ergibt sich ein fundamentaler Unterschied zwischen der grün-woken und der biblischen Transformationslehre; beide setzen nämlich auf völlig konträre Strategien. Man könnte ihn vereinfacht darstellen als den Unterschied zwischen der Bottom-up- und der Top-down-Methode aus der Unternehmenstheorie, der Überlegung also, wie Prozesse effektiv verlaufen: durch striktes Verordnen von oben herab („Top-down“) oder durch Basisarbeit, die darauf setzt, daß das, was sich im Kleinen als richtig erwiesen hat, auf allen Ebenen Schule macht und sich so überall durchsetzt.

Die Umwandlung der Transformationsdogmatiker setzt ganz auf die Top-down-Methode: Erst werden von einer Elite, die Macht und Mandat dazu hat, grundlegend die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse verändert, und daraus geht dann per Automatismus ein neuer Mensch hervor, den man sich am besten als friedliebend, klimaneutral lebend und aufgrund der gesellschaftlich erzielten Gleichheit aller Menschen allzeit mit allen solidarisch vorstellt. Konflikte gehören damit der Vergangenheit an und falls nicht, kann immer noch der bereits von Jean-Jacques Rousseau vorgesehene Zwang ausgeübt werden. Der Philosoph und Staatstheoretiker postulierte, daß die Gemeinschaft ein Mitglied zum Gemeinwillen zwingen dürfe, was nichts anderes bedeute, „als daß man ihn zwingt, frei zu sein“.

Völlig entgegengesetzt dazu der Ansatz, den Jesus von Nazareth verfolgte: Er fordert die Menschen auf, sich in einem Akt der geistigen Umkehr von dem Bösen abzuwenden, das Teil seiner menschlichen Natur ist: „Sündige hinfort nicht mehr!“ Der Petrusbrief konkretisiert: „So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede.“ Der neue Geist, der in den zu dieser Läuterung bereiten Menschen einzieht und ihm die Gebote Christi einschreibt wie einen DNA-Code, ist der Garant dafür, daß die Transformation bleibende Folgen hat. Diesem Geist immer genügend Raum zu geben ist die Verantwortung des mündigen Christen.

Die urchristlichen Gemeinden bezogen ihre Attraktivität daraus, daß dieser „fröhliche Wechsel“ (Martin Luther) vom Sündenbeladenen zum Losgesprochenen tatsächlich gelang und die durch ihren Sinneswandel zur fortgesetzten Abwehr böser Einflüsterungen befähigten Menschen für ihre Umwelt ein ungemein faszinierendes Alternativangebot zu den fruchtlosen heidnischen Kulten ihrer römisch-hellenistischen Umwelt darstellten. Mit dem raschen Wachstum der Christengemeinden erfüllte sich die Mission des Nazareners zur Errichtung eines himmlischen Königreiches auf Erden, übernational wie das Utopia der Globalisten, jedoch realisiert als „inwendiges“ Reich, das sichtbar wird nur in individuellen Taten der Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Vergebung. Daß dieses „Königreich der Himmel“, wie Jesus es auch nannte, nicht nur eine ethische, sondern auch eine politische Dimension haben sollte, war das große Mißverständnis einiger Anhänger Jesu. Simon der Zelot, nach Ansicht mancher Theologen auch Judas erwarteten einen Aufstand gegen die Römer unter Führung des Messias. 

Der Tod Jesu am Karfreitag machte alle Hoffnungen auf eine solche politische Lesart seiner Botschaft zunichte. Und seine Auferstehung bekräftigte die spirituelle Dimension des „inwendigen“ Königreiches, das gleichsam eine Brücke vom vergänglichen Irdischen in die ewige himmlische Heimat der Gläubigen schlagen sollte. Als In-der-Welt-, aber nicht Von-der-Welt-Sein beschrieb dies der Evangelist Johannes. Das Königreich Christi ist politisch genauso unsichtbar wie der Auferstandene nach seiner Himmelfahrt. 

Wo ein Wandel aber nicht durch eine persönlich zu vollziehende Transformation des Sinnes, sondern durch eine globale gesellschaftspolitische Transformation herbeigeführt werden soll, nimmt Zwang die Stelle von Freiwilligkeit ein. Die Umwandlung, die den grün-erleuchteten Welt-Transformatoren vorschwebt, ist nichts anderes als eine Weiterentwicklung der urmarxistischen Lehre von der erforderlichen und im Falle von Widerständen auch mit Gewalt herbeizuführenden Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zum vermeintlichen Wohle aller. Der alte Marxistentraum von der kommunistischen Endgesellschaft als aufgelöstem Rätsel der Geschichte soll sich verwirklichen in der Umarmung durch den dogmatischen Regenbogenhumanismus, der sich selbst anpreist als Universalschlüssel für die von neurotischen Zukunftsängsten gepeinigten Gesellschaften des Westens. Nicht vom Individuum geht daher die Lösung aus, sondern vom Staat als Exekutivorgan des kollektiv als alternativlos Erkannten ( „Klimagerechtigkeit“). Völlig folgerichtig ist es also, wenn „Klimaretter“ einen Ferienflieger nach Fernost buchen und ein linker Journalist wie Markus Feldenkirchen vom Spiegel diese Doppelmoral dann auch noch bei Maischberger beredt verteidigt: Natürlich müsse ein Aktivist nicht mit seiner ganzen, also auch privaten Existenz alle Werte leben, für die er politisch eintritt.

Jesus hingegen, von dem Johannes in seinem Evangelium die Worte „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ überliefert, relativiert die vergängliche Welt des Diesseits als eine durch den Glauben an ihn bereits überwundene, die seinen Anhängern keine Furcht einflößen muß. Als geistlich „Transformierte“ und somit dem Todesfluch des gefallenen „alten Adam“ Entrissene sind sie mit ihm gemeinsam auf der Königreichsbrücke bereits auf dem Weg in Gottes ewige Welt, deren Tor sie mit dem Ende ihrer zeitlichen Existenz endgültig durchschreiten. Das ist die Verheißung von Ostern.