Schmale Bürgersteige, schmucklose Häuserzeilen. Vor den Fassaden der Geschäfte unzählige Werbeschilder in chinesischer Schrift. Apotheken, Boutiquen, Restaurants, Massagesalons, Tattoo-Studios. Alle mit Pinyin-Zeichen garniert. Nur gelegentlich durchziehen thailändische Schriftzüge das chinesische Schildermeer und erinnern daran, daß der Stadtteil Huay Kwang sich in Bangkok befindet und nicht in Hongkong, Peking oder Shanghai.
Vor allem rund um die Thanon Pracharat Bamphen, eine der Hauptstraßen des Stadtteils, konzentrieren sich zahlreiche chinesische Unternehmen, so daß die Thais der Gegend inzwischen den Namen „New Chinatown“ gegeben haben. Was alles andere als charmant gemeint ist. Denn mit dem traditionellen, zumeist von Thai-Chinesen bewohnten Touristenmagnet Chinatown hat der Ort nichts zu tun.
Im Gegenteil: In den Stadtteil von Huay Kwang verirrt sich – abgesehen von Chinesen – nur selten ein Tourist. Die Firmen in New Chinatown führen in aller Regel keine Thai-Chinesen, sondern Leute aus dem Reich der Mitte selbst. Pekingtreue Manager und Betriebsinhaber, die besonders jetzt, nach der auszehrenden Pandemie, auf eine geschwächte thailändische Wirtschaft treffen und mit ihren Investitionen für neue Besitz- und Einflußverhältnisse sorgen.
New Chinatown ist inzwischen zu einem Symbol dieser Einflußnahme geworden. Und zu einem Politikum. „Thailand droht zu einem Vasallenstaat Chinas zu werden“, fürchtet Somchai, einer der wenigen verbliebenen thailändischen Geschäftsinhaber in der Gegend. Erste Veränderungen hätten schon nach der Weltfinanzkrise begonnen. Mittlerweile würden ganze Straßenzüge komplett von pekingtreuen Chinesen dominiert.
Vorallem pekingtreue Chinesen drängen ins Land
„Das Problem ist, daß thailändische Verkäufer viele ihrer Waren über Lieferanten aus China importieren. Die neuen chinesischen Geschäftsinhaber importieren ihre Ware aber direkt aus China und können sie dadurch zu einem günstigeren Preis anbieten. Auf diese Weise verdrängen sie die einheimische Konkurrenz“, schildert Somchai die Situation seiner Landsleute.
Die Hürden für eine Geschäftseröffnung für Chinesen in Thailand seien relativ niedrig. „Die kommen nicht selten einfach nur mit einem Touristenvisum ins Land.“ Vor der Pandemie im Jahre 2019 zählte Thailand elf Millionen chinesische Touristen. Das sind so viele, wie weltweit aus keinem anderen Land. „Dann kam Corona, und es ging gar nichts mehr.“ Der brutale Lockdown des Landes habe viele einheimische Unternehmer zur Geschäftsaufgabe gezwungen. In diese Lücke würden nun neue Investoren aus dem Reich der Mitte stoßen. Thailand war eines der ersten Länder, die Chinesen nach der Pandemie wieder die Einreise erlaubten. In diesem Jahr rechnet man bereits wieder mit bis zu fünf Millionen Touristen aus der Volksrepublik.
„Chinesische Reisebüros sind dabei oft getarnte Unternehmensberatungen, die notwendige Formalitäten wie den Erwerb einer Lizenz und so weiter übernehmen und erledigen“, schildert Somchai ein weiteres Problem. Von außen sehe man nur, „daß sich jetzt mehr chinesische Schriftzeichen auf den Geschäften befinden.“ Doch was sich da entwickle, sei eben kein zweites Chinatown. „Es ist vielmehr Chinas Town“, versucht der 31jährige den für Ausländer nicht immer leicht nachzuvollziehenden Unterschied zu verdeutlichen.
Schon immer hätten Chinesen in Thailand einen großen Einfluß auf die Wirtschaft des Landes gehabt. „Aber bisher waren das Thai-Chinesen. Ihre Vorfahren kamen vor mehr als hundert Jahren nach Bangkok und bauten sich eine Existenz auf. Sie denken und fühlen wie Thais und identifizieren sich mit dem Land.“ Doch in den letzten Jahren seien es vor allem pekingtreue Chinesen, die neue Geschäfte eröffneten und die einheimische Konkurrenz zunehmend verdrängten. „Sie bleiben Chinesen, werden von der chinesischen Regierung gefördert, aber auch kontrolliert.“ Die Botschaft der Volksrepublik befindet sich in unmittelbarer Nähe des Stadtteils. Für Somchai kein Zufall.
„In Huay Kwang soll ein chinesisch dominiertes Geschäftsviertel entstehen, das als Vorbild für die wirtschaftliche Übernahme weiterer Stadtteile dienen wird“, ist er überzeugt und spürt den Unterschied deutlich. „Die Thai-Chinesen sprechen unsere Sprache fließend, die pekingtreuen dagegen kaum.“ Sie unterhielten sich vielmehr auf Mandarin. „Du merkst es auch an der Art und Weise, wie sie mit dir handeln. Da gibt es zwischen Thais und Chinesen große Unterschiede.“ Die Preiskämpfe würden natürlich die Gewinne schmälern, auch die von Somchai. Gleichzeitig würden durch den Zuzug aber auch die Mieten in die Höhe schießen.
Im alten traditionellen Chinatown sei ebenfalls zu beobachten, daß Thai-Chinesen ihre Geschäfte aufgeben und durch neue Inhaber aus China ersetzt werden. „Die Touristen bekommen davon nichts mit, für sie bleibt alles wie immer.“ Doch politisch schlittere das Land durch diesen Prozeß zusehends stärker in die Abhängigkeit Pekings. Vor allem, weil sich einhergehend mit der wirtschaftlichen Dominanz auch chinafreundliche politische Netzwerke bilden.
Jüngstes Beispiel dafür: die Festnahme des thailändischen Geschäftsmanns Chainat Kornchanant alias Tuhao. Ein aus China stammender Tausendsassa, der sich in Thailand einbürgern ließ und dem eine führende Rolle innerhalb der chinesischen Triaden-Mafia nachgesagt wird. Mit ihm waren im Oktober vorigen Jahres 40 weitere Personen verhaftet worden. Es war eine der größten Razzien des Landes gegen mutmaßliche ausländische Straftäter. Anfang des Jahres hatte die Generalstaatsanwaltschaft ihre 332 Seiten umfassende Anklage erhoben. Die Liste der Vorwürfe gegen Tuhao ist lang: Drogenhandel, Geldwäsche, grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, nicht registrierter Schußwaffenbesitz, Betrieb nicht genehmigter Vergnügungsstätten, Anheuern illegaler Ausländer sowie die Unterbringung illegaler Einwanderer.
Thailand ist ein geostrategischer Wackelkandidat
Politisch brisant dabei: Tuhao ist mit der Nichte des ehemaligen Polizeichefs Pracha Promnok verheiratet, einem Vertrauten des Shinawatra-Clans. Vor zehn Jahren fungierte er als Justizminister und stellvertretender Premierminister von Yingluck Shinawatra, der Schwester des Familienoberhaupts und langjährigen Premierministers Thaksin Shinawatra, einem Halbchinesen, der heute in Dubai im Exil lebt. Unter anderem hatte Tuhao 50 Luxushäuser in der südlich von Bangkok gelegenen Provinz Samut Prakan erworben. Pikant: Die Häuser wurden von der Aktiengesellschaft SC Asset realisiert, einer Firma, an der der Shinawatra-Clan die Mehrheitsanteile hält. Noch pikanter: Hauptaktionär ist der wahrscheinliche Spitzenkandidat der Opposition für die Wahl des nächsten Premierministers, Paethongtarn Shinawatra.
Würden die Gesetze streng angewendet, könnte Tuhao sogar die Todesstrafe drohen. Doch in der thailändischen Bevölkerung gibt es große Zweifel. „Die Korruption im Land ist groß, erst recht nach der Pandemie. Seine ebenfalls verhaftete Frau befindet sich bereits gegen Kaution wieder auf freiem Fuß. Zumindest bei Tuhao versagten die Behörden die Freilassung auf Kaution. Doch es gibt inzwischen viele Tuhaos, die im Land wie chinesische Agenten wirken“, sagt Somchai. Die Polizei habe diesmal nur durchgegriffen, nachdem es in den sozialen Medien einen Aufschrei gegen die zahlreichen Geschäftsübernahmen in Bangkoks Chinatown gegeben habe. Auch der amtierende Premierminister Prayut Chan-o-cha war dabei immer mehr in die Kritik geraten.
Während des APEC-Gipfels in Bangkok Anfang des Jahres sei er gegenüber dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping zu unterwürfig aufgetreten, so die Kritik in Teilen der Bevölkerung. Wie ein Wachmann seinen Arbeitgeber soll er den chinesischen Staatschef begrüßt haben. „Vermutlich war die Razzia nur ein Zugeständnis, um der Bevölkerung Handlungsfähigkeit zu demonstrieren“, vermutet Somchai.
Auch geostrategisch wäre eine verstärkte Abhängigkeit der zweitgrößten Volkswirtschaft Südostasiens von China angesichts der sich zuspitzenden Krise im Südchinesischen Meer nicht zu unterschätzen. Thailand gilt als jahrzehntelanger Verbündeter der Vereinigten Staaten, die in Sattahip unter anderem einen Marinestützpunkt unterhalten. Sollte sich Thailand tatsächlich zu einem chinesischen Vasallenstaat entwickeln, dürfte das die Region weiter destabilisieren und den Einfluß des Westens schwächen.
Einen Vorgeschmack davon hatte kürzlich auch die EU erfahren müssen. Ihr Ziel einer gemeinsamen Verurteilung von Rußlands Angriffskrieg gegen die Ukraine durch die ASEAN-Staaten konnte sie nicht erreichen. Der Grund für das Scheitern: die Ablehnung durch die kommunistischen Staaten Vietnam und Laos. Beunruhigend für Brüssel: Auch Thailand stimmte dagegen.