© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

Verursacht das „dumme“ ETF-Geld volkswirtschaftlichen Schaden?
Passivität ist Strategie
Dirk Meyer

Seit drei Jahrzehnten gibt es Exchange Traded Funds (ETF), und sie sind inzwischen so beliebt, daß sie weltweit ein Anlagevolumen von 9.600 Milliarden Dollar widerspiegeln. Diese börsengehandelten Indexfonds umfassen beispielsweise den Dax40, den US-Leitindex S&P 500 oder den MSCI World mit seinen 1.600 Aktien aus 23 Ländern. Es gibt auch ETF auf Anleihen, „grüne“ Investments oder Rohstoffe. ETF bilden die Wertentwicklung eines Index eins zu eins nach: Steigt der Dax um zwei Prozent, gewinnt auch der Dax-ETF zwei Prozent und umgekehrt. Das breite Anlageportfolio bietet ein hohes Maß an Risikostreuung. Die Kosten von Anschaffung und Verwaltung sind gering, auch im Rahmen monatlicher Sparpläne.

Im Kontrast dazu stehen mögliche volkswirtschaftliche Gefahren: Bei den drei Branchenriesen Blackrock, Vanguard und State Street liegen 80 Prozent aller ETF-Gelder. So kontrollieren sie einen erheblichen Teil der Stimmrechte großer AGs. So beträgt die durchschnittliche Beteiligung an den größten US-Firmen bei Vanguard neun, bei Blackrock sieben und bei State Street vier Prozent. Hinsichtlich des Dax hält Blackrock 16,9 Prozent der MTU-Aktien, 14,6 Prozent bei Linde und je über sechs Prozent bei Vonovia, Infineon, BMW, Allianz, Merck und der Deutschen Börse. Da die Aktienindizes mehrere Unternehmen einer gleichen Branche umfassen, ist es nicht im Interesse der Vermögensverwalter, daß diese sich gegenseitig Konkurrenz machen.

Preissenkungen oder innovative Angebote mögen der einzelnen Firma nützen, doch die gesamte Branche hätte das Nachsehen. Es besteht kein Interesse an aggressivem Wettbewerb. Die gemeinsame Gewinnmaximierung durch Passivität ist Strategie – ganz ohne Preisabsprachen zwischen den Unternehmen oder eine aktive Einflußnahme. Untersuchungen im US-Bankensektor und bei den Fluglinien bestätigen dies. So waren die Guthabenzinsen von Banken, an denen dieselbe Fondsgesellschaft jeweils Anteile besaß, niedriger als bei Banken unterschiedlicher Eigentümer. Ebenso lagen die Ticketpreise bei Fluggesellschaften überlappender Eigentümerschaft vergleichsweise höher. Vermutet wird auch eine nachlassende Innovationsbereitschaft.

Ein weiterer Einwand lautet: „ETF sind dummes Geld.“ Schließlich fließt das Sparkapital automatisch im Verhältnis des Indexanteils und ohne vorherige Analyse in die entsprechenden Anlagen. Blackrock beschäftigt nur 70 Analysten – bei in über 13.000 investierten AGs. Mehr teueres Fachpersonal würde den Vorteil günstiger Kosten gegenüber klassischen Fonds zunichte machen. Ein Indexfonds kann kaum Druck auf das Management ausüben, da er die Anteile nicht einfach veräußern kann. Fehler scheinen daher bei mangelnder Aufsicht, Kontrolle und Wettbewerb vorgezeichnet. Allerdings bestehen gewisse Korrekturmechanismen fort.

So führt die Vielzahl unterschiedlicher Indexfonds zu Wahlmöglichkeiten des Publikums, die indirekt Kontrolle bewirken. Darüber hinaus sorgen agressive Hedgefonds wie Elliott von Paul Singer und andere „Stockpicker“ dafür, daß neue Informationen den Markt bewegen und in den Kursen der einzelnen AGs verarbeitet werden. Der Markt funktioniert eben auch, wenn nur einige über besseres Wissen verfügen und entsprechend agieren. Ihr Gewinn ist dann um so größer.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.