Ich bin Frühaufsteher. Also meistens. Gegen 5.30 Uhr steige ich motiviert und putzmunter aus dem Bett und starte den Tag voller Elan. Länger liegen widerspricht meiner Natur. Daher verzichte ich auf unnötige Hilfsmittel wie den Wecker. Allerdings ist dieser auch nicht notwendig. Vor allem nicht ab dem Frühjahr. Die heimische Tierwelt sorgt für ein pünktliches Erwachen.
In den Bäumen, die entlang der Zufahrtsstraße zu meiner Wohnung stehen, leben Horden von Krähen. Diese beginnen in den frühen Morgenstunden mit lautem Geschrei, das sich dann kontinuierlich steigert, bis nicht nur die Artgenossen erwachen, sondern das gesamte Quartier. Wer bei offenem Fenster schläft, hat Pech gehabt.
Die klugen Tiere lassen sich nicht so leicht vertreiben, auch die Gesetze in der Schweiz schützen die Krähen.
Nun muß man sagen, die Krähen haben es in meinem Viertel sehr schön. Dort gibt es einen idyllischen Schloßpark. An Nahrung mangelt es nicht, da viele Picknicker die Reste großzügig in der Gegend verteilen. Hinzu kommen viele Angestellte aus den umliegenden Büros, die bei schönem Wetter ihre Mittagspause hier verbringen. Sind diese verschwunden, tauchen die Rentner und Bewohner aus den nahen Altersheimen auf, die ein Schwätzchen im Freien halten.
Einige der älteren Damen sehen in den Krähen einen Taubenersatz. Regelmäßig sitzen sie dort und werfen Brotkrumen in Richtung der Tiere. Die Vögel stolzieren umher und nehmen die Gaben nur allzu gern an. Sie scheinen sich an die Menschen gewöhnt zu haben. Sie kommen sehr nahe, Angst haben sie offensichtlich keine.
Nun mag die klugen Tiere nicht jeder so gern wie die Pensionäre oder ich. Daher hat die Stadt allerlei Maßnahmen getroffen, um diese zu vertreiben. Die Bäume bekamen einen extrem kurzen Schnitt, was aber keinen Eindruck hinterlassen hat. Einen ähnlich großen Erfolg hatten Vertreibungsversuche mit Laserpointern. Einige Zeit später waren alle Vögel wieder da. Plastik-Uhus halfen ebenfalls nicht.
Vermutlich lachten sich die Vögel über die Attrappen kaputt. Nachbarstädte von Bern versuchen nur noch, die Symptome zu bekämpfen, da alles andere gescheitert ist. Bänke, die hochklappen, wenn niemand darauf sitzt, sorgen dafür, daß dort wenigstens kein Vogelkot zu finden ist.
Einige Menschen sind inzwischen durch den Lärm entnervt. Radikalere Personen möchten die Vögel abschießen und dann dort zur Abschreckung aufhängen. An mehreren Orten hat das Wirkung gezeigt. Das ist in der Schweiz allerdings nur auf dem eigenen Grundstück erlaubt. Und da meine Nachbarskrähen im öffentlichen Raum leben, ist diese Lösung nicht möglich. Der Respekt vor Lebewesen spricht dagegen. Außerdem erschießt man ja auch keine kackenden oder bellenden Hunde, die gibt es schließlich auch zuhauf.