© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

Die Welt stochert im Dunkeln
Nordstream 2: Etwa sechs Monate nach der Sprengung kursieren wilde Gerüchte über die möglichen Täter
Josef Hämmerling

Das 60er-Jahre-Lied von Roberto Blanco  „Heute so, morgen so“ beschreibt die Lage perfekt. Wer ist verantwortlich für die Sprengung der Nordstream-2-Pipeline?

Lautete es zuerst unisono „Rußland“, kamen rasch Zweifel auf. Die russischen Pipelines liegen nur wenige hundert Meter neben der „Baltic Pipe“, in der norwegisches Gas über Dänemark nach Polen geliefert wird. Eine Sprengung durch Moskau wäre einem Eigentor gleichgekommen, solange Baltic Pipe in Betrieb ist.

Also wurden andere verdächtigt. Vor allem als Mitte November bekannt wurde, daß um das Sprengdatum herum im gleichen Seegebiet das Nato-Manöver „Northern Coasts“ stattfand, an dem mehrere US-Schiffe beteiligt waren. Das Manöver endete am 28. September, zwei Tage nach der Sprengung. Das Satellitenunternehmen SpaceKnow veröffentlichte ebenfalls Mitte November Aufnahmen, die zwei „dark ships“ mit einer Länge von 95 und 130 Metern genau an der Stelle der Sprengung zeigten. Dark Ships sind Schiffe, die unrechtmäßig ihre Transponder ausschalten und auf den Bildschirmen der Seeüberwachung unsichtbar sind.

Die Bundesregierung handelt gesetzeswidrig

Daß russische Schiffe während eines Nato-Manövers vor Ort unentdeckt bleiben könnten, sei undenkbar, sagte Andrey Kurekin, ein Meereswissenschaftler vom Plymouth Marine Laboratory.

Anfang Februar behauptete US-Journalist und Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh, die USA wären die Schuldigen. Da er sich auf eine „persönlich involvierte“ Quelle berief, diese aber nicht nennen konnte, bezeichnete eine US-Regierungssprecherin dies als „unseriöse Spekulation“.

Skeptiker dürften sich durch ein Ereignis von Ende 2022 jedoch bestätigt sehen: Im Dezember wurde eine Anfrage der Linkspartei über den Ermittlungsstand der Causa Nordstream im Bundestag abgelehnt. Die Beantwortung könne „aus Gründen des Staatswohls nicht erfolgen“.

Auch das Parlamentarische Kontrollgremium wurde nicht informiert. Dabei ist die Bundesregierung gesetzlich dazu verpflichtet.

Gerüchte über eine regierungsunabhängige ukrainische Gruppe als Verantwortliche schliefen schnell ein.

Am 27. März scheiterte Moskau mit einem Antrag für eine unabhängige Untersuchung im UN-Sicherheitsrat. Mindestens neun „Ja“-Stimmen hätte es dafür gebraucht. Doch nur China und Brasilien stimmten dafür, zwölf Staaten enthielten sich.