© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

Frieden zu Lasten der Bürger
Koalition: Nur mit Mühe kittet die Ampel ihre internen Konflikte – und das wird den Steuerzahler einiges kosten
Paul Rosen

Über 30 Stunden haben die Koalitionsparteien SPD, Grüne und FDP verhandelt, um ein Papier mit dem Titel „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ im Umfang von 16 Seiten mit vielen wolkigen Formulierungen fertigzustellen. Trotz des Jubels vor allem von seiten der FDP scheinen die Koalitionsprobleme jedoch nicht gelöst, sondern bestenfalls vertagt zu sein. „Nach der Krise ist vor der Krise“, kommentierte etwa Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. „Es hat sich gelohnt“, befand dagegen Kanzler Olaf Scholz (SPD), und laut FDP-Chef Christian Lindner wurden „echte Durchbrüche erzielt, wirkliche Paradigmenwechsel, und deshalb spricht das Ergebnis einfach für sich“.

Das grüne Vorfeld reagiert jedoch gereizt 

Die Liberalen sind überzeugt, daß es mehr Marktwirtschaft und weniger Planwirtschaft geben wird, und so waren die FDP-Pressearbeiter seit Vorstellung des Papiers emsig bemüht, die Version vom liberalen Sieg beim koalitionären Fingerhakeln zu verbreiten. Weggelassen wurde bei den Siegesmeldungen allerdings das, was der CSU-Haushalts- und Finanzexperte Sebastian Brehm als „Friedensschluß auf Kosten von Bürgern und Wirtschaft“ kritisiert. Die erneute Erhöhung der Lkw-Maut, mit der die Koalition den Ausbau der Eisenbahn finanzieren will, werde als zusätzliche Preiserhöhung bei den Bürgern und Unternehmen ankommen, erklärte Brehm. 

Durchgesetzt haben sich die Liberalen tatsächlich bei der Messung der Klimaschutzerfolge der Bundesregierung, die jetzt nicht mehr nach Sektoren, sondern nur noch allgemein in einer Summe erfolgen soll. Dadurch kann vor allem die Verfehlung von Zielen im Verkehrssektor mit besseren Bereichen verrechnet werden. Für Lindner heißt das, „daß die Sektoren sich gegenseitig helfen können“. Auch die Verfahrensbeschleunigung bei 144 Autobahnprojekten geht zugunsten der Liberalen.

Die Grünen nehmen für sich mit nach Hause, daß der Bahn 45 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestellt werden sollen, um den Anteil des Güterverkehrs von derzeit rund 18 Prozent auf 25 Prozent zu steigern. Dieses Ziel ist jedoch schon von früheren Bundesregierungen formuliert worden und findet sich auch so ähnlich im Koalitionsvertrag. Das gilt auch für den vereinbarten Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos. In beiden Bereichen dürften mangelnde Kapazitäten bei Baufirmen dafür sorgen, daß die Zielerreichung in weite Ferne rücken wird. Der Bau der für die Erhöhung des Gütertransportvolumens zu legenden Gleisanschlüsse dürfte Jahrzehnte dauern, vom Bau neuer Schienenstrecken ganz zu schweigen.  Die Reaktionen aus dem grünen Parteilager zur Vereinbarung ihrer Führung fielen reserviert aus. Noch hält die Disziplin in der Partei. Das grüne Vorfeld reagierte jedoch gereizt. Martin Kaiser, Chef von Greenpeace Deutschland erklärte, „mit der De-facto-Abschaffung der Sektorziele entkernt der Bundeskanzler das Klimaschutzgesetz.“

Nach drei Tagen liberaler Selbstbejubelung wurde allerdings klar, daß Teile der getroffenen Vereinbarungen weit über die vorgelegten 16 Seiten hinausgehen. Hatte es erst nach einer Niederlage für Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für seine Verbotspläne beim Einbau von Gas- und Ölheizungen ausgesehen, so ist inzwischen klar, daß Habeck sich in Wirklichkeit  durchgesetzt hat – und noch mehr. Nach 2024 sollen nach dem Koalitionsbeschluß nur noch neue Heizungen eingebaut werden, die mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden. Ausnahmen von der Regelung gibt es für Hauseigentümer, die über 80 Jahre alt sind. Ihnen wird eine Art Restlaufzeit eingeräumt. Erst wenn sie gestorben sind, müssen die Erben innerhalb von zwei Jahren nachweisen, daß das geerbte Gebäude mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien heizt.

Viele stehen vor unlösbaren  finanziellen Problemen

Damit soll vor allem Rentnern unter den Eigenheimbesitzern die Angst vor unverhältnismäßig hohen Kosten genommen werden, denn das Erreichen des 65-Prozent-Ziels ist mit heutiger Technik nur mit Installation einer Wärmepumpe und zusätzlich einer Gasheizung möglich. Offiziell ist zwar von Technologieoffenheit die Rede, aber Wasserstoffsysteme für Heizungen gibt es noch gar nicht. Es bleibt derzeit nur der Einbau von zwei Heizungssystemen, was bis zu 150.000 Euro pro Haus kosten könnte. 

Auch wenn es Finanzhilfen und eventuell vergünstigte Kredite geben soll, zeigen erste Reaktionen aus der Wirtschaft, daß die Koalitionspläne im Gebäudebereich einen großen Teil der Eigentümer vor unlösbare finanzielle Probleme stellen werden. So berichtete der Verband der Immobilienverwalter Deutschland von einer Umfrage unter seinen Mitgliedsunternehmen, bei der 96 Prozent angegeben hätten, daß die Rücklagen in den Eigentümergemeinschaften nicht ausreichen würden, um die Gebäude umfassend energetisch zu sanieren. 90 Prozent der Eigentümer könnten mit der bevorstehenden drastischen Erhöhung der Instandsetzungsrücklagen finanziell überfordert sein, warnten die Hausverwalter.

Interessant ist auch, worüber sich die Koalitionäre nicht einigen konnten: Offen ist weiterhin die Finanzierung der Kindergrundsicherung, und vom Haushalt des kommenden Jahres, bei dem Lindner zur schwarzen Null zurückkehren will, war in den ganzen Verhandlungen keine Rede.