Frau Brandstetter, es wird wohl nichts mit einem friedvollen Osterfest, denn die Wellen schlagen hoch in der katholischen Kirche. Wie hoch?
Jessica Brandstetter: So hoch, daß wir in großer Sorge um die Einheit unserer Kirche in Deutschland sind.
Eigentlich wollte doch aber der eben beendete „Synodale Weg“ die Unruhe in der Kirche beruhigen.
Brandstetter: Das dürfte gründlich mißlungen sein, denn inzwischen fehlt es ja nicht an besorgten Wortmeldungen von Bischöfen und Kardinälen aus dem In- und Ausland sowie des sichtlich frustrierten und verärgerten Heiligen Vaters in Rom wegen der Zustände in der katholischen Kirche hierzulande.
Der Synodale Weg, eine Serie von Konferenzen seit 2019, getragen von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) sowie dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), sollte Konsequenzen aus den Mißbrauchsskandalen ziehen und Reformen erarbeiten.
Brandstetter: Was wir an sich auch vollauf begrüßen! Nur wurde der Prozeß dazu mißbraucht, unsere Kirche so umzubauen, daß sie nun zu jenem liberal-woken kirchlichen Organismus zu werden droht, vor dem Papst Franziskus gewarnt hat, weil er seine Seele und die Frische des Evangeliums verliert – und in dem wir uns als römisch-katholische Christen nicht mehr wiedererkennen.
Ihnen wird im Gegenzug ein Abgleiten ins „absolut Sektiererische“ vorgeworfen.
Brandstetter: Was völlig abwegig ist: Wir können deshalb keine „sektiererischen“ Inhalte vertreten, weil wir überhaupt keine eigenen Inhalte vertreten! Maria 1.0 tritt für klassische katholische Werte ein. Wir repräsentieren also keine Richtung in der Kirche, sondern die Richtung der Kirche. Dennoch wird uns oft entgegengehalten: „Das ist eure Meinung.“ Nein, das ist weder „unsere“, noch ist es überhaupt eine „Meinung“, es ist die offizielle Lehre der römisch-katholischen Kirche. Und deshalb heißen wir ja auch Maria „1.0“: weil wir die Ursprungsversion sind und kein Update!
Entstanden sind Sie nicht als Reaktion auf den Synodalen Weg, sondern auf die Fraueninitiative Maria 2.0, die 2019 aus Protest gegen „die männerbündischen Machtstrukturen“ in der Kirche einen Kirchenstreik organisiert hat.
Brandstetter: Gegen diese Instrumentalisierung der Gottesmutter für eine theologisch so unsinnige Forderung setzte Johanna Stöhr, eine Mathe- und Physiklehrerin aus Bayern, eben die Devise „Maria braucht kein Update!“ und richtete die Website mariaeinspunktnull.de ein. Bald fand die Seite erste Unterstützer, dann kamen Pressenachfragen und daraufhin noch mehr Unterstützer. Und vor allem Frauen haben ihre Erleichterung mitgeteilt, daß so endlich auch ihre Stimme Gehör findet.
Allerdings hat Maria 2.0 nach eigenen Angaben 1.500 Mitglieder, Sie nur etwa fünfzig.
Brandstetter: Wir haben fünfzig Mitglieder, die tatsächlich aktiv an unserem Apostolat mitarbeiten. Die „Mitglieder“ von Maria 2.0 kann man wohl eher als Anhänger bezeichnen. Die Zahl unserer Anhänger läßt sich dagegen zum Beispiel an unseren 4.000 Facebook- sowie 3.500 Instagram-Followern ablesen! Und einen Unterschied macht auch, daß wir nicht wie Maria 2.0 mit einem breiten Medienecho bedacht wurden.
In der Tat finden sich zu Maria 2.0 Hunderte Beiträge, zu Maria 1.0, abseits katholischer Spartenmedien, so gut wie keiner. Ausnahme: Mitte März hat das ZDF Ihnen eine Sendung aus der Reihe „37 Grad“ gewidmet, in der sich Ihre Vorsitzende mit einem homosexuellen Reformkatholiken des Synodalen Wegs verbal duelliert.
Brandstetter: Das war allerdings unsere neue Vorsitzende, die Mathe- und Psychologiestudentin Clara Steinbrecher, die die Leitung 2021 übernommen und mich dazugeholt hat. Und ich muß klarstellen, daß es das Konzept der ZDF-Sendung war, Clara mit dem jungen Mann streiten zu lassen. Eigentlich sehen wir Maria 1.0 ja gar nicht als „Gegen“-Bewegung, sondern eher, wie das schon Frau Stöhr formuliert hat, als eine „Fürbewegung zu Gott“.
Sieht man sich die Fernsehbilder von Ihrer Protestdemonstration vor dem Tagungsort des Synodalen Wegs an, und wie sie sich dort mit reformkatholischen Gegendemonstranten einen Wettstreit der Sprechchöre liefern, wirkt das allerdings sehr konfrontativ.
Brandstetter: Wenn Sie genau zuhören, sind es die anderen, die Parolen rufen, während wir beten.
Maria 2.0 gilt als Bewegung von Frauen ab fünfzig plus. Dagegen wird Maria 1.0 durch junge Frauen vertreten. Ist das auch ein Generationenkonflikt?
Brandstetter: Zumindest kann ich bestätigen, daß negative Reaktionen in der Tat verstärkt von älteren Frauen kommen, und Vorwürfe à la „Sie zerstören die Kirche, für die wir seit Jahrzehnten kämpfen!“ sprechen wohl dafür. Viele fühlen sich allein schon durch unsere Anwesenheit provoziert, was zum Teil zu aggressiven Reaktionen führt.
Zum Beispiel?
Brandstetter: Auf dem letzten Katholikentag waren einige Frauen sogar nicht dazu bereit, mit den beiden Männern, die wir dabeihatten, auch nur zu sprechen. Einmal fiel gar der Satz: „Sie Sackträger, mit Ihnen rede ich nicht!“
So etwas kommt von Christen?
Brandstetter: Leider ja. Es beschränkt sich aber nicht nur auf Frauen, so hat ein Ex-ZdK-Vorsitzender jüngst versucht, uns in die rechtsradikale Ecke zu schieben. Das alles ist so völlig absurd, wenn man sich klarmacht, daß es uns nur darum geht, die Lehre der Kirche und das Evangelium zu verteidigen – was ja eigentlich die Pflicht eines jeden Katholiken ist. Stattdessen müssen wir aber beobachten, wie sich in Deutschland nicht mehr nur viele Katholiken nicht mehr daran halten, sondern selbst Teile der Kirche, ja sogar Bischöfe! Wer das aber tut, der kann, statt der Kirche die Wahrheit zu nehmen, sich doch anderen Strukturen zuwenden.
Was meinen Sie?
Brandstetter: Man könnte zur Altkatholischen Kirche wechseln oder zu einer Evangelischen, unter denen es viele gibt, die das bieten, was der Synodale Weg nun einführen will. Bischof Bätzing, der Vorsitzende der DBK, hat gesagt: „Wir wollen katholisch sein – aber anders katholisch!“ Woraufhin wir in einer Pressemitteilung gefragt haben: Ist „anders katholisch“ denn noch römisch-katholisch?
Wie lautet die Antwort?
Brandstetter: Seine Taten zeigen, daß dieses „anders“ bedeutet, dem Synodalen Weg zu folgen – also mit der Lehre der Kirche zu brechen. Das soll offenbar nur nicht so deutlich ausgedrückt werden.
Wo findet dieser Bruch aus Ihrer Sicht konkret statt?
Brandstetter: Der Synodale Weg hat sich vier Themenkomplexen gewidmet, Sexualmoral, Priestertum, Machtverteilung und Rolle der Frau. Beschlossen wurde schließlich, neben Präventionsmaßnahmen gegen Mißbrauch: Anerkennung „geschlechtlicher Vielfalt“, Segnung aller „Paare, die sich lieben“, Verzicht auf den Anspruch einer moralischen Lebensführung kirchlicher Mitarbeiter, den Papst darum zu bitten, den Zölibat zu überdenken sowie die Einrichtung eines „Synodalen Ausschusses“, der die Schaffung eines „Synodalen Rates“ ab 2026 vorzubereiten hat – also eines gewählten Gremiums, das den Bischöfen beigestellt werden soll. Womit der Synodale Weg praktisch zur Dauereinrichtung würde. Und schließlich: daß Frauen zwar noch nicht Priester, aber als Schritt in diese Richtung, nun Diakon werden können, das ist die Vorstufe zum Priesteramt.
Die Beschlüsse sind allerdings nicht bindend.
Brandstetter: Vor allem sind die meisten wider die Lehre, wider den Heiligen Vater und wider die Positionen der Weltkirche. Doch das bremst die Synodalen nicht, und besonders eifrige Bischöfe sind schon dabei, Fakten zu schaffen. Was zahlreiche Gläubige nun in schwere Konflikte stürzt, da sie sich entscheiden müssen: folge ich meinem Bischof oder folge ich der römisch-katholischen Lehre?
Beziehungsweise dem Papst.
Brandstetter: Ja, aber es ist ein Irrtum zu glauben, der stünde im Vordergrund. Viele Leute nehmen zwar an, der Papst könne über alles entscheiden, doch das kann er nicht. Denn er ist nur ein Stellvertreter und damit nicht Herr über die Lehre, vielmehr ist er selbst streng an sie gebunden.
Die Frage, die Ihnen am häufigsten gestellt wird, ist wohl, wieso sich ausgerechnet junge Frauen gegen Frauenrechte und für die Macht „alter weißer Männer“ im Bischofsornat einsetzen.
Brandstetter: Aus einer ganzen Reihe Gründe, etwa hat Jesus nur Männer zu Aposteln berufen.
Es gibt aber kein Gebot, daß die Kirche dem folgen muß.
Brandstetter: Sie muß es, weil es ihr Auftrag ist zu bewahren, was sie von Christus empfangen hat. Natürlich hat sie das auch auszudifferenzieren, doch das darf sich nicht gegen die Wahrheit richten. Denn was einmal wahr war, kann nicht plötzlich falsch sein.
Es wurde allerdings etliches aus Jesu Leben nicht übernommen. Woher wissen Sie also, was zu verändern die Wahrheit nicht berührt und was ihr widerspricht?
Brandstetter: Genau dazu ist die katholische Kirche bestellt, die durch den Heiligen Geist geführt wird. Jesus gibt den Aposteln und so der Kirche selbst den Auftrag: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab“, heißt es in Lukas Kapital 10, Vers 16. Das Problem ist jedoch der tiefe Riß, der durch die deutsche katholische Kirche geht und der darin besteht, daß beide Seiten inzwischen völlig verschiedene Vorstellungen davon haben, was die Kirche eigentlich ist. Für römisch-katholische Christen ist sie nicht nur ein Verein, sondern die von Jesus gestiftete Gemeinschaft der Gläubigen, in der der Heilige Geist weiterhin wirkt. Sie ist also ein mystischer Leib, der die Gläubigen als dessen Glieder und Christus als dessen Haupt vereint. Doch viele Katholiken verstehen das nicht mehr, weil sie ihre eigene Lehre nicht kennen, da sie ihnen gar nicht mehr beigebracht wurde! Aber es ist nicht nur das Verständnis von Kirche, es ist auch das Verständnis der Beziehung zu Gott: Für uns römisch-katholische Gläubige ist der Mensch Geschöpf und nicht Schöpfer. Ich empfange meine Bedeutung und mein Heil durch den Herrn und bin nicht selbst Herr, der die Welt nach eigenem Gutdünken gestalten kann.
Könnte man also sagen, es stehen Reformer gegen Traditionalisten?
Brandstetter: Nein, denn es geht nicht um Traditionen, es geht um die Lehre, um das, was Christentum ausmacht. Dazu kommt, daß wir keineswegs generell gegen Reformen sind. Immer wieder hören wir, wir wollten, daß alles bleibt wie es ist. Das ist falsch! Denn wir sehen ja, daß unsere Kirche Probleme hat. So kann etwa angesichts der unaussprechlichen Taten des Mißbrauchs natürlich nicht alles bleiben, wie es ist. Aber es gibt keinen Grund, deshalb die religiöse Wahrheit aufzugeben – was zur Bekämpfung des Mißbrauchs übrigens auch nicht das Geringste beiträgt.
Maria 1.0 wird allerdings vorgeworfen, unnötig zu provozieren. Zum Beispiel als sie unlängst eine Tanzdarbietung im Rahmenprogramm der Endrunde des Synodalen Wegs auf Twitter als „satanisch“ bezeichneten, die den Frankfurter Dom „entweiht“ habe.
Brandstetter: Ja, denn diese Performance fand im Altarraum statt, also in der Präsenz Gottes! Wir Katholiken glauben, daß durch die gewandelte Hostie Jesus Christus selbst, im dortigen Tabernakel gegenwärtig ist. Und dargeboten wurden düstere Szenen, in denen schwarzgewandete Tänzer mit unheimlichen Masken zu verstörender Musik zum Beispiel Menschenopfer nachspielten.
Eine künstlerische Darstellung des Mißbrauchsskandals – was ist an einer Auseinandersetzung damit falsch?
Brandstetter: Wir streiten nicht ab, daß verdeutlicht werden sollte, wie schrecklich und abscheulich der Mißbrauch ist, aber so damit umzugehen ist kein Weg. Weder trug das zur Aufklärung bei, noch zur Prävention. Tatsächlich ging es darum, der gesamten Kirche Schuld zuzusprechen und jeden Zuschauer in einen Zustand zu versetzen, in dem er sich elend fühlt. Bei uns haben sich Menschen gemeldet, die die Performance verstört hat.
Mag sein, aber ist die Maximalkategorie „satanisch“ wirklich angebracht? Schließlich war auch Jesus entsetzt über das schändliche Treiben der Händler im Tempel, warf ihnen aber nicht gleich Satanismus vor.
Brandstetter: In der Bibel heißt es, der Teufel darf nicht mit dem Teufel ausgetrieben werden und anders als im Fall der Händler waren hier satanische Szenen zu sehen. Es gibt aber andere Wege, mit dem Mißbrauch umzugehen. Weder müssen wir die religiösen Gefühle der Gläubigen verletzen, für die der Altarraum keine Bühne ist, sondern allein für die Darbringung des Heiligen Meßopfers dient. Noch müssen wir uns durch die Darstellung solcher Szenen selbst hinab in die Ebene dieser Taten begeben.
Es geht noch tiefer, so verzierte eine studentische Unterstützergruppe von Maria 2.0 die Freiburger Unikirche mit einem Transparent von Mutter Maria in Gestalt einer riesigen, geöffneten Vagina. Wie geht dieser offenbar unüberbrückbare Konflikt also aus?
Brandstetter: Wenn Rom den Kurs der katholischen Kirche in Deutschland nicht stoppt, haben wir 500 Jahre nach der Reformation de facto ein neues Schisma, auch wenn es wohl so nicht offen genannt werden wird. Daß romtreue Gläubige die Kirche dann verlassen, glaube ich aber nicht, vielmehr werden sie weiter für ihre Kirche kämpfen. Greift Rom aber ein, wird es sehr, sehr schwer, die Dinge, die bereits seit langem in die falsche Richtung laufen, zu korrigieren, und es könnte zudem zu einer Abspaltung der Reformer kommen. Doch um Sie zu Ostern nicht ohne Hoffnung zu verlassen, kann ich Ihnen versichern, daß die Kirche ebenso wieder auferstehen wird, wie Jesus wiederauferstanden ist, weil sie erfüllt und geführt ist vom Heiligen Geist.
Jessica Brandstetter, ist seit 2021 stellvertretende Vorsitzende der Initiative „Maria 1.0 – Maria braucht kein Update!“, die sich seit 2019 für die bisherige katholische Lehre und eine geistliche Erneuerung der Kirche in Deutschland einsetzt. Geboren wurde die Eichstätter Psychologie-Studentin 1997 im oberbayerischen Altötting.