Als Luiz Inácio Lula da Silva am 1. Januar nach zwölf Jahren Politpause erneut brasilianischer Präsident wurde, keimte im politischen Berlin Hoffnung auf: Der „Tropen-Trump“ Jair Bolsonaro ist endlich weg, nun wird in Brasília wieder fortschrittliche Politik gemacht. Doch allenfalls Rosângela Lula da Silva, die Michelle Bolsonaro als „First Lady“ ablöste, paßt ins Ampel-Konzept: 56jährige Soziologin und Feministin statt 41jähriges Ex-Model und karitativ engagierte Ehefrau und Mutter. Denn auch der linke Lula vertritt in erster Linie nationale Interessen.
Und als Mitglied der BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika) will der 77jährige sein 208-Millionen-Volk nicht in den Ukraine-Konflikt hineinziehen lassen: Man sei „ein Land des Friedens. Und deswegen will Brasilien keinerlei Beteiligung an diesem Krieg – auch nicht indirekt“, erklärte er am 31. Januar bei der Kanzlervisite in Brasília. Olaf Scholz mußte – trotz des Versprechens von 200 Millionen Euro „Soforthilfen“ – ohne Munitionszusagen zurückfliegen. Auch die Medien-Offensive der grünen Minister Robert Habeck und Cem Özdemir im Amazonasgebiet scheiterte – trotz der weiteren 50 Millionen Euro zum Schutz des Regenwaldes: Brasilien will erst bis 2030 die illegale Abholzung stoppen.
Aufrechterhaltung „kolonialer Ausbeutungsstrukturen“?
Für die von Chile aus für linke Medien und die Deutsche Welle tätige Journalistin und Sozialwissenschaftlerin Sophia Boddenberg verbirgt sich hinter der anbiedernden Rhetorik der Wille zur Aufrechterhaltung und Vertiefung alter „kolonialer Ausbeutungsstrukturen“, wie sie die Handelsbeziehungen zwischen Europa und Südamerika seit Jahrhunderten prägten. Nur seien heute an die Stelle von Gold oder Kaffee die für die „Energiewende“ unentbehrlichen Rohstoffe wie Lithium, Kupfer und „grüner“ Wasserstoff getreten. Dem Reichtum an „zukunftsrelevanten Rohstoffen“ galt daher der eigentliche, in viel Klimarettungsrhetorik verpackte Zweck der deutschen Politikerreisen (Blätter für deutsche und internationale Politik, 3/23).
Da sich in Chile die größten Kupfervorkommen der Welt befinden, ergibt sich das große deutsche Interesse von selbst. Kupfer wird benötigt für den Bau und den Anschluß von Stromtrassen, Solarpanelen, Windrädern und E-Autos. Der globale Kupferbedarf wird sich laut Deutscher Rohstoffagentur verdoppeln. Deutschland zählt – neben China und den USA – zu den größten Kupferimporteuren. Hauptlieferanten sind Brasilien, Peru und Chile. Eine ähnliche Abhängigkeit besteht von den größten bekannten Lithium-Reserven der Erde, die im Dreiländereck zwischen Chile, Argentinien und Bolivien liegen. Derzeit deckt Chile 30 Prozent des Weltbedarfs an diesem Rohstoff, ohne den keine Lithium-Ionen-Batterie im E-Auto funktioniert. Falls die Berechnung der Bundesanstalt für Geowissenschaften korrekt ist, steigt die weltweite Lithium-Nachfrage bis 2030 von derzeit 316.000 auf mehr als 5,5 Millionen Tonnen jährlich.
Die Formulierungen der von Scholz während seiner Chile-Visite unterzeichneten „Kooperationsvereinbarung über die Deutsch-Chilenische Partnersschft für Bergbau, Rohstoffe und Kreislaufwirtschaft“ widersprechen für Boddenberg klar der vom Kanzler beschworenen Nachhaltigkeit. Es sei gar nicht zu verhindern, daß der Lithium-Abbau massive Umweltzerstörungen mit sich bringe. Um an den begehrten Rohstoff zu gelangen, der sich unter der Erde der chilenischen Atacama-Wüste befindet, pumpen Bergbauunternehmen Unmengen an Salzwasser aus unterirdischen Ablagerungen in riesige überirdische Becken. Dort verdunstet die abgepumpte Flüssigkeit in der glühenden Wüstensonne, zurück bleibt das Lithiumkarbonat. Der Abbau verschlinge somit die ohnehin knappen Wasserressourcen der Region, gefährde die Lebensgrundlage der Gemeinden des dort ansässigen indigenen Volkes der Likan Antai und bringe das Ökosystem aus dem Gleichgewicht. So habe etwa die Flamingo-Population in der Atacama-Wüste in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen.
Ähnliche ökologische Verheerungen gingen mit dem Kupferabbau einher. Auch hier werde viel Wasser verbraucht, so daß die Ausbeutung des Rohstoffs die Dürre, unter der Chile leide, verschärfe. Die Kupferhütten verursachten zudem Schwefeldioxid- und Arsenemissionen: „Für jede Tonne Kupfer entstehen 2,2 Tonnen giftiger Abfälle, die in insgesamt 757 Lagern aufbewahrt werden, mehrere davon in unmittelbarer Nähe von Dörfern“, die die damit verbundenen Umweltrisiken zu tragen hätten.
Auch Scholz’ Versprechen in Brasilien, am Schutz des Amazonas-Regenwaldes mitzuwirken, entpuppt sich für Boddenberg bei genauerem Hinsehen als „hohl“. Denn weder der SPD-Kanzler noch seine grünen Minister wollen der jetzt auf ihre Energiewende verpflichteten deutschen Wirtschaft als „Treiber der Regenwaldzerstörung“ in den Arm fallen. Schließlich fördern Bergbaufirmen im Amazonas das Eisenerz, mit dem Deutschland die Hälfte seiner Eisenerzimporte bestreitet. Ein großer Teil wiederum davon stammt aus der Mine Carajás, der größten der Welt, die mitten im Regenwald liegt. Das von dort gelieferte Eisen ist nicht nur einer der Hauptbestandteile von Windrädern und Photovoltaik-Anlagen, es wird daraus auch der für Autoindustrie so wichtige Stahl hergestellt.
Bald „Wasserstoff-Partnerschaften“ und „klimaneutrale Kraftstoffe“?
Die Ampel-Bekenntnisse zu Umweltschutz und Rohstoffhandel auf Augenhöhe, um die heute extrem asymmetrischen Beziehungen zum Vorteil der Südamerikaner ins Lot zu bringen, sind für Boddenberg so lange wertlos, wie sich diese führenden deutschen Politiker für die nach etlichen Korrekturen für dieses Jahr avisierte Unterzeichnung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay stark machen. In neoliberaler Manier propagiert Habeck, Freihandel diene dem Klimaschutz. Umweltschützer ebenso wie europäische Bauernverbände sind eher vom Gegenteil überzeugt. Sie befürchten, das Abkommen werde den Import von Soja und Eisenerz aus Brasilien erhöhen, was automatisch die forcierte Abholzung des Amazonas-Regenwaldes nach sich ziehe.
Schließlich sei auch die Anbahnung von „Wasserstoff-Partnerschaften“ nach alten „Ausbeutungsmustern“ verlaufen. Tausende Windräder sollen in den nächsten Jahrzehnten in Patagonien aufgestellt werden, um Deutschland und andere Industrieländer mit „klimaneutralen Kraftstoffen“ zu versorgen. Ein von Habecks Ministerium gefördertes Pilotprojekt von Siemens Energy und Porsche, die erste kommerzielle Anlage für die Herstellung von klimaneutralem Kraftstoff („E-Fuels“ für den verteufelten Verbrennungsmotor), hat im windigen südchilenischen Patagonien ihren Betrieb aufgenommen. „Auch davon profitiert wesentlich die deutsche Industrie, nicht aber die Menschen und die Umwelt in Südamerika“, glaubt Boddenberg.
„Der Mythos vom nachhaltigen Rohstoffabbau“: