Ermächtigungsgesetz. Das am 23. März 1933 im Reichstag mit Zweidrittelmehrheit verabschiedete „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“, hob die Gewaltenteilung als zentrales Organisationsprinzip der Weimarer Demokratie auf. Bis auf 94 Gegenstimmen der SPD winkten auch die Abgeordneten des Zentrums und der Liberalen, darunter der spätere Bundespräsident Theodor Heuss, den Beschluß durch. Es ermächtigte die Regierung Adolf Hitlers anstelle des Parlaments, Gesetze selbst beschließen und den Reichshaushalt aufstellen zu dürfen. Sie sollte sogar in sehr weiten Grenzen die Verfassung ändern und Regierungsgesetze selbst unterzeichnen dürfen, sowie befugt sein, Verträge des Reiches mit fremden Staaten ohne Zustimmung anderer Verfassungsorgane abschließen zu dürfen. Der zeithistorische Kontext des Gesetzes, das die letzte formale Hürde beseitigte, die der Errichtung der NS-Diktatur noch im Weg stand, ist so gründlich erforscht, daß die knappe Darstellung des Staats- und Europarechtlers Philipp Austermann dem Thema keine neuen Seiten mehr abgewinnen kann. Originell ist allerdings die klar definierte „historische Lehre“, die er daraus zieht: Nicht durch die „Ewigkeitsklausel“, die im Grundgesetz eine vergleichbare Abschaffung der Demokratie per Gesetz wie 1933 verhindern soll, sei die Stabilität der Bundesrepublik garantiert, sondern primär durch gute Wirtschafts- und Sozialpolitik, die dem Staat und seinen Repräsentanten die Zustimmung der Mehrheit des Staatsvolks sichere. (ob)
Philipp Austermann: Ein Tag im März. Das Ermächtigungsgesetz und der Untergang der Weimarer Republik. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2023, gebunden, 154 Seiten, Abbildungen, 18 Euro
Corona-Psychosen. Der „Psychoboom“ hat für alles eine Erklärung, Medikation und Therapie, und so mancher Gesunder wird plötzlich zum Kranken. In kurzen, flotten und mit Anekdoten gespickten Kapiteln – mal launig, mal ernster, bisweilen bewußt polemisch – seziert der Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Burkhard Voß, die kollektive psychische Auffälligkeit der deutschen Gesellschaft. Diese hatte in der Corona-Krise einen ihrer Höhepunkte, der wie „ein Vergrößerungsglas für mentale Schwachstellen der westlich affizierten Welt“ wirkte. Zwischen der Darstellung und kulturpsychologischen Einordnung bedeutsamer Erkrankungen und Prominenter wird deutlich: die „postmodern-medikalisierte Gegenwartsepoche“ ist gekennzeichnet von einem „Kampf gegen die Normalität“, in dem der Einzelne oft gar nicht der Versehrte oder Abnormale ist. (gb)
Burkhard Voß: Psychoblüten und Corona. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2022, broschiert, 146 Seiten, 16,80 Euro