© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/23 / 31. März 2023

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Der präsidentielle Durchgriff in Frankreich zwecks Erhöhung des Renteneintrittsalters, die Rekrutierung ukrainischer Männer für den Kriegs-einsatz ohne Rücksicht auf Freiwilligkeit und die Maßnahmen zur Klimapolitik, die Wirtschaftsminister Robert Habeck plant, kann man auch als Hinweise auf eine Zeitenwende deuten: Es wird wieder erkennbar, daß das Wesen des Politischen nicht der Kompromiß, sondern die Entscheidung ist.

˜

Mir ist unverständlich, warum in den Medien hierzulande der Name der verewigten Königin von Großbritannien und Nordirland ganz selbstverständlich zu „Elisabeth“ eingedeutscht, der ihres Nachfolgers ebenso selbstverständlich mit „Scharlss Sörd“ angegeben wird.


Bildungsbericht in loser Folge: Finnland ist in den internationalen Vergleichsstudien zum Thema schulische Leistungen abgestürzt. Das hat Irritation ausgelöst, denn einst waren Pilgerscharen von Politikern, Pädagogen und Funktionären in das gelobte Land des modernen Unterrichts gewallfahrtet, wo an integrierten Schulen ohne Zwänge des Kanons selbstbestimmt gelernt wurde. Kaum jemand wollte hören, daß die Leistungsfähigkeit der jungen Finnen eher auf das ältere, gerade abgeschaffte Bildungssystem zurückzuführen war, nicht auf dessen Reform, und die ethnische wie kulturelle Homogenität der Bevölkerung unterstützende Faktoren abgaben. Nun gesteht man in Helsinki kleinlaut, daß der Niedergang dieselben Gründe hat wie überall in den westlichen Staaten: linke Gleichmacherei und Masseneinwanderung.

˜

„Die politische Mitte hatten wir schon längst einmal: nämlich eine Partei, die die ganze Volksgemeinschaft und ihre Interessen zu umgreifen versprach, die so sehr Partei der Mitte war, daß es außer ihr gar nichts mehr gab, weder am rechten Ende des Spektrums noch am linken, weder am oberen noch am unteren. Auf dem Gemeinplatz Mitte treffen sich alle, die sich nicht entscheiden wollen und die Führung dem überlassen, der sich über der Mitte erhebt.“ (Johannes Gross, 1987)

˜

Jüngst im ICE, Ruhebereich: Im Blickfeld ein brüllendes Kleinkind, dessen Mutter in regelmäßigen Abständen die Mahnung wiederholt „Guck mal, die Leute, die stört das, möchtest du nicht ein bißchen aufhören?“ Nebenan zwei junge Damen, lila Haare, schwarzgekleidet, ausweislich der Aufnäher von der Antifa, ausweislich ihres Körperumfangs aktive Kämpferinnen gegen „Fatshaming“, die lautstark die Vor- und Nachteile von Permanentmakeup und tätowierten Augenbrauen diskutieren und sich darüber aufregen, daß irgendein „Bro“ es sowieso nicht „checken“ wird, und in der nächsten Sitzreihe jemand, der allein mit dem Verzehr aus diversen Flaschen, Behältnissen und Tüten den Lärmpegel noch einmal bemerkenswert zu steigern weiß.

˜

„Der Wille zum Nichtig-Riesenhaften hat mehrere Zivilisationen zugrunde gerichtet: die assyrisch-babylonische, die römische, die hellenistische. Vielleicht wird er auch das Ende der europäischen sein.“ (Dimitri Mereschkowskij, 1865–1941)

˜

Die Mittelschule von Saucon Valley im US-Bundesstaat Pennsylvania hat die Gründung eines „After School Satan Club“ gestattet. Vorangegangen war das Plazet der zuständigen Behörde, die sich auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten beruft, wonach öffentliche Schulen verpflichtet sind, alle religiösen Organisationen gleichermaßen willkommen zu heißen. Lokalen Berichten zufolge hat die Gemeinschaft The Satanic Temple, die entsprechende Angebote finanziert und unterstützt, bereits zehn derartige Einrichtungen eröffnet. Deren Ziel, so gibt der Tempel Satans an, seien lustige Freizeitaktivitäten und die Vermittlung der Einsicht, daß es zwar den Teufel, aber keine Hölle gebe. Sehr erfolgreich ist man mit diesem Programm bisher allerdings nicht, da massiver Elternprotest der Erweiterung des weltanschaulichen Pluralismus in Saucon Valley bis auf weiteres einen Riegel vorschiebt.

˜

Man sollte einmal die Konjunkturen auf dem Antiquariatsmarkt systematischer untersuchen. Selbstverständlich gibt es das, was immer seinen Preis hat: die sehr seltenen, sehr alten Werke, Handschriften, Inkunabeln usw., dann die kostbaren Stücke, die Erstausgaben bedeutender Autoren, eventuell von ihnen signiert, oder die aus den Bibliotheken von Prominenten stammenden Bücher. Sehr zusammengeschrumpft dürfte der Markt für Verbotenes sein. Kaum ein Antiquar wird heute wagen, Titel anzubieten, deren Vertrieb oder Besitz tatsächlich unter Strafe steht. Aber es bleibt die Menge der Offiziell-Verfemten. Mir ist noch in Erinnerung, wie bitter Armin Mohler über das Schicksal seiner Bücher sprach, die irgendwann als Remittenden verschleudert wurden. Das galt auch für den 1974 erschienenen Aufsatzsammelband „Von rechts gesehen“. Unlängst sah ich ein Exemplar angeboten, einst im Bestand einer Universitätsbibliothek, gestempelt, markiert, mit Aufklebern verunziert, ausgeschieden mit dem Vermerk „2 €“ – nun wird das Sechzigfache verlangt.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 14. April in der JF-Ausgabe 16/23.