© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/23 / 31. März 2023

CD-Kritik: Igor Levit, Hans Werner Henze – Tristan
Tristanisches
Jens Knorr

Igor Levits Konzeptalben wollen nicht schlechthin Exekutionen des Notentextes sein, sondern „pianistische Essays zu menschlichen Grenzerfahrungen“, wie uns der Begleittext zu seinem neuesten, „Tristan“, belehrt: diesmal „zur Verbindung von Liebe, Tod und Erlösungsbedürftigkeit“. So hört sich das denn auch an.

Gerahmt von Franz Liszts unvermeidlichem „Liebestraum“ Nr. 3 und Transzendentaler Etüde Nr. 11 „Harmonies du Soir“, spielt Levit den Klavierpart in Hans Werner Henzes „Tristan“-Préludes für Klavier, Orchester und elektronische Klänge von 1973, Wagners „Tristan“-Vorspiel in der Klavierfassung von Zoltán Kocsis sowie das „Adagio“ aus Mahlers Fragment der X. Symphonie in einer Fassung von Ronald Stevenson, die Skizze einer Skizze.

Dabei scheint sich das Spielen des 36jährigen voll darauf zu verlassen, daß die Kollektion allein schon tiefstes Verständnis der sich zum großen Ganzen addierenden Teile bezeuge. So unverbunden wie das Ganze wirken auch Einzelstücke und Stückteile: Tempi schleppen, musikalische Verläufe fallen auseinander, wohingegen führende und begleitende Stimmen ineinander verwischen, Legato-Spiel wird durch übermäßigen Pedalgebrauch fingiert.

Die Neueinspielung des Henze-Stücks mit dem Rundfunkorchester Leipzig unter Franz Welser-Möst fordert zum Vergleich mit der Erst-einspielung von 1975 durch Homero Francesch unter Leitung des Komponisten heraus. Damals schienen Welt- und Notenbild um einiges geklärter.

Igor Levit Tristan Sony Classical 2022 

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