Theodor Storm ist der Walter Scott der Friesen.“ Diese knackige komparatistische Faustformel, die der Literaturwissenschaftler Arne Eppers (Uni Oldenburg) aus dem Ärmel schüttelt (Lettre International (140/2023), taugt nur begrenzt, um den Husumer Exponenten des bürgerlichen Realismus zu charakterisieren. Richtig ist, daß Storm (1817–1888) und der schottische Romantiker Scott (1771–1832) sich nur in einer Hinsicht sehr ähnlich sind: Ihr literarisches Werk hat regionale kulturelle Identität gestiftet. In seinen Romanen entwirft Scott „Bilder eines Schottischseins“, das sich seiner selbst vergewissern und gegen äußere Bedrohungen behaupten muß. Diese literarischen Bilder hätten großen Anteil daran, daß die Schotten nach dem Verlust ihrer politischen Unabhängigkeit sich ihre Geschichte als Garanten kultureller Identität erschlossen. Auch Storms nordfriesischen Landsleuten sei es über Jahrhunderte gelungen, ihre Eigenart gegen wechselnde Loyalitätsansprüche, seit 1864 gegen die preußischen, zu bewahren. Dazu habe Storm mit seinen Gedichten und Novellen beigetragen, die den Vorstellungsraum einer den hegemonialen Nationalstaat transzendierenden „Makroregion“ an der Nordseeküste formten und den Selbstbehauptungswillen der nordfriesischen Minderheit festigten. Im Unterschied zu Scott, dessen Geschichten zumeist gut ausgehen, präsentiert Storms „Resignationspoesie“ aber eine einzige lange Kette von Gescheiterten, die Nordfriesland als düstere Unglücksregion erscheinen lassen. Warum Storm trotzdem bis heute als literarischer „Markenbotschafter des Nordens“ das regionale Wir-Gefühl beeinflußt, bleibt eine von Eppers unbeantwortete Frage.