© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/23 / 31. März 2023

Stabile Person, labile Partei
Wahlkampf in Finnland: Die Mitte-Links-Regierung hat gute Chancen, die Opposition setzt neue Themen
Christoph Arndt

Das vieldiskutierte Party-Video vom Sommer vergangenen Jahres ist an ihr abgeprallt. Finnlands sozialdemokratische Premierministerin Sanna Marin (SDP) ist beliebt. Laut einer Umfrage der größten finnischen Tageszeitung Helsingin Sanomat vom vergangenen Dezember bewerteten 64 Prozent der Befragten Marins Arbeit als Ministerpräsidentin als „ziemlich gut“ oder „sehr gut“. Dennoch: Ihre Partei strauchelt. Mit aktuell 19,4 Prozent liegt sie fast gleichauf mit den Wahren Finnen (PS), die 19,3 Prozent in den Umfragen erhalten. Stärkste Kraft wäre aktuell die Nationale Sammlungspartei (KOK) mit 20,8 Prozent.

Das Land wählt am 2. April einen neuen Reichstag. Seit 2019 regiert eine Mitte-Links Koalition aus fünf Parteien, Sozialdemokraten (SDP), Zentrumspartei (KESK), Grünen, der Linksallianz und der Schwedischen Volkspartei. Letztere repräsentiert die schwedische Minderheit in den Küstenregionen, während die Zentrumspartei traditionell die ländlichen Regionen vertritt. Die Opposition besteht aus der liberal-konservativen Sammlungspartei (KOK), den nationalkonservativen Wahren Finnen (PS), den Christdemokraten und zwei Einmannfraktionen.

Die Fünfparteienregierung will weitermachen. Die Zentrumspartei schwächelt jedoch und gibt in ländlichen Gebieten Wähler an die PS ab. Sie könnte bei einer Niederlage am Wahlabend in die Opposition gehen, was die Karten für die Regierungsbildung neu mischen würde. Führende Zentrumspolitiker betonten bereits die Differenzen zu den linken Koalitionspartnern in Wirtschaftsfragen.

Die Wahren Finnen bemühen sich um Koalitionsfähigkeit

Nachdem die Legislaturperiode zunächst von kontroversen Sozial- und Gesundheitsreformen und der Corona-Krise geprägt war, änderte sich die Agenda mit dem Angriff Rußlands auf die Ukraine. Seitdem sind Verteidigungspolitik und die Nato-Frage Kernthemen im Wahlkampf. Nachdem Finnland lange eine Sonderrolle im Umgang mit der Sowjetunion und später Rußland hatte, stimmten fast alle Abgeordneten (184 zu sieben) am 1. März für den Nato-Beitritt.

Die innenpolitische Blockbildung ist in Finnland geringer ausgeprägt als in den skandinavischen Nachbarländern. Lagerübergreifende Koalitionen sind üblich, da meist mehrere Parteien mit rund 20 Prozent um den Wahlsieg kämpfen und zwei von ihnen dann die Regierung mit kleineren Partnern bilden. Das sind dieses Mal die SDP, die KOK und die PS, während KESK, Grüne und Linksallianz acht bis zehn Prozent haben. Christdemokraten und Schwedische Volkspartei dürften dank lokaler Hochburgen erneut kleine Fraktionen stellen. Minderheitenregierungen sind in Finnland selten und wurden seit 1977 nicht gebildet. 

Die PS streben mit ihrer neuen Spitzenkandidatin Riikka Purra eine Regierungsbeteiligung an. Mehrere Parteien hatten jedoch eine Koalition mit ihr ausgeschlossen. Die Partei war von 2015 bis 2017 an einer Mitte-Rechts-Regierung beteiligt, schied aber nach der Wahl Jussi Halla-ahos zum Vorsitzenden und einer Verschärfung der Rhetorik aus der Koalition aus. Danach war sie politisch isoliert.Mit Riikka Purra bemüht sie sich um gemäßigtere Töne und versucht, mit sozialen Themen zu überzeugen. Das Ziel der CO2-Neutralität im Jahr 2035 sei „technisch-ökonomisch absurd“. Das Leben werde teurer, wenn es durch „Zwangsinvestitionen in unvollständige, teure oder veraltete Technologien“ umgebaut werde, schrieb Purra jüngst auf ihrem Facebook-Profil. 

Dazu paßt auch der Auftritt des Vorsitzenden der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, der seine Partei aus der Isolation holte und zum Tolerierungspartner einer Mitte-Rechts Regierung in Schweden machte. Åkesson rief die PS bei einer Veranstaltung dazu auf, die Beziehungen zu anderen Parteien wieder aufzubauen, um koalitionsfähig zu werden.

Ob das für eine Koalition unter Einfluß der PS reicht, ist unklar. Die amtierende Regierung hat eine knappe Mehrheit in den Umfragen, bei einem Ausscheiden der Zentrumspartei könnte eine Koalition aus SDP, KESK, der SchwedischenVolkspartei und ein oder zwei kleineren Parteien gebildet werden.

Foto: Riikka Purra, Vorsitzende der national-konservativen Wahren Finnen im Wahlkampf:  „Rettet Finnland“