Der politische Druck auf Blackrock-Chef Larry Fink nimmt seit Jahren zu. Immer wieder häufen sich die Vorwürfe gegen ihn und den weltgrößten Vermögensverwalter mit Sitz in New York City. Alles dreht sich um die Frage: Inwieweit zwingt Blackrock andere Unternehmen und Einzelaktionäre, sich einer woken Agenda aus Nachhaltigkeitsträumen und Diversitätsversprechen anzuschließen? Kern der Debatte ist dabei das Thema ESG.
Fast jedes größere Unternehmen gibt heutzutage auf seiner Homepage an, sich an den Versprechungen der heiligen drei Buchstaben zu orientieren. ESG steht für Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Es ist im Grunde der Versuch, woke Kriterien meßbar zu machen. Wenn eine Firma also Nachhaltigkeit verspricht, den CO2-Ausstoß verringern will, nach Diversität im Unternehmen strebt oder dem Kampf gegen strukturellen Rassismus eine hohe Priorität einräumt, stehen die Chancen gut, in den entsprechenden ESG-Rankings nach oben zu klettern.
In seinem alljährlichen Brief an die Chefs der Unternehmen, in die Blackrock investiert, sieht sich Fink seit geraumer Zeit genötigt, Rechtfertigungen abzulegen. Man selbst „stelle ja nur Fragen“, wie Unternehmen „planen, die Energiewende zu bewältigen“, schrieb der 70jährige vor zwei Wochen in seinem diesjährigen Brief. Es sei „nicht unsere Aufgabe, den Unternehmen vorzuschreiben, was sie zu tun haben“, versicherte er. Blackrock wolle nicht die „Umweltpolizei“ spielen. Schon im Jahr zuvor verteidigte sich Fink gegen die Vorwürfe: „Beim Stakeholder-Kapitalismus geht es nicht um Politik“, beteuerte der Anhänger der Demokratischen Partei und Vertraute der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. „Es geht nicht um eine soziale oder ideologische Agenda. Er ist nicht ‘woke’.“
Blickt man in die Abstimmungsrichtlinien seines Konzerns für Jahreshauptversammlungen, läßt sich eine ganz andere Sprache erkennen: Blackrock erwartet von Unternehmen, daß „der gesamte Vorstand zeigt, wie sich klimatische Risiken auf das Unternehmen auswirken und wie die Unternehmensleitung diese Risiken bewertet, sich darauf einstellt und sie abmildert“, heißt es dort. Andernfalls würden „Abstimmungsmaßnahmen ergriffen“. Benachteiligt sind dadurch vor allem Unternehmen in der Schwerindustrie oder Firmen, die fossile Energieträger produzieren beziehungsweise nutzen.
Zudem verlangt Blackrock im Vorstand „mindestens zwei Frauen“ und eine Person, „die sich als Minderheit identifiziert“. Unternehmen sollten „die Schritte offenlegen, die sie zur Förderung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion ergreifen“, sowie „die Demographie der Belegschaft“ preisgeben. Im aktuellsten „Bericht über Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration“ von 2021 dokumentiert Blackrock, wie das aussehen kann: Detailreich listen die Autoren des Papiers auf, wie „divers“ der US-Arbeitsmarkt im Vergleich zum Vorjahr geworden ist. Ob in der „Geschäftsführung“ oder bei „Fachkräften“ – bei weißen Personen zeigen die rotmarkierten Zahlen nach unten. Gleichzeitig schnellt die Zahl der angestellten „Schwarzen“ oder „Latinx“ grünmarkiert nach oben, was gemäß ESG-Richtlinien also eine wünschenswerte Entwicklung darstellt.
An anderer Stelle geht Blackrock selbst mit Beispiel voran: Der Vermögensverwalter erhält bei mehreren Banken – bei denen der Vermögensverwalter selbst Großaktionär ist – Kredite, die an Diversity-Klauseln gebunden sind. Grundsätzlich kann der Zinssatz von Blackrock um 0,05 Prozent sinken oder steigen, wenn etwa in der Belegschaft nicht genügend schwarze Mitarbeiter tätig sind. Dieses Muster macht bereits Schule: Auch der Pharma-Konzern Pfizer oder die Beratungsfirma Ernst & Young haben solche Verträge unterschrieben. Unternehmen, die sich an die ESG-Richtlinien halten, gelangen somit an günstigere Kredite als Konzerne, die sich den woken Kriterien verweigern.
„Vermutlich haben die Banken dem Kredit nicht zugestimmt, weil ihnen die Vielfalt oder Nachhaltigkeit von Blackrock am Herzen liegt, und auch nicht, weil sie eine Art wirtschaftliche Wette gegen das Erreichen der Diversitätsziele von Blackrock eingehen“, kommentierte der US-Finanzkolumnist Matt Levine bei Bloomberg. „Sie haben dem Kredit zugestimmt, weil Blackrock ein riesiger globaler Vermögensverwalter ist, der eine Menge Geschäfte mit Banken macht, so daß sie zu seinen seltsamen Launen nicht wirklich nein sagen können.“
Die Macht, die Blackrock heute in der Investorenwelt innewohnt, wurzelt in Teilen in den frühen 1980er Jahren, als die Regeln für die Stimmrechtsvertretung in den USA geändert wurden. Fondsmanagern wurde es so ermöglicht, im Namen ihrer Kunden bei Hauptversammlungen abzustimmen. Einerseits erschien der Schritt sinnvoll, denn wohl kaum ein Einzelaktionär hat die Zeit, auf allen Hauptversammlungen anwesend zu sein. Gleichzeitig aber übertrug man den Investmentgesellschaften und ihren Managern damit enorme Macht. Die Auswirkungen zeigen sich heute.
An die Spitze des Kampfes für eine gerechtere Welt gestellt
Wie in vielen modernen Wirtschaftsbranchen hat sich auch bei den großen Vermögensverwaltern eine oligopole Struktur entwickelt. Die drei Giganten Blackrock, Vanguard und State Street beherrschen weite Teile des Börsenhandels. Bei fast allen großen Konzernen gehören sie zu den Hauptanteilseignern. Zugleich besitzt Blackrock allein in Europa fast 50 Prozent der Marktanteile bei Exchange Traded Funds (ETFs), mit denen jede beliebige Einzelperson auf die Entwicklung von Aktienindizes wetten kann. In den USA sind es 33 Prozent. Gerade durch jüngere Aktionäre, die auch in Deutschland über Neo-Broker wie Trade Republic oder Scalable Capital in den Markt drängen, verstetigt sich die Marktmacht. Jeder Kleinaktionär, der die verlockend günstigen Angebote von Blackrock nutzt, schließt sich der Herangehensweise des Konzerns an – gleichgültig ob die Person die ESG-Spielchen ablehnt oder nicht. „Blackrock und Vanguard nehmen durchweg etwa 64 Prozent aller Cash-Einlagen ein“, bilanzierte kürzlich Eric Balchunas, leitender ETF-Analyst bei Bloomberg. Eine „Verlangsamung des Duopols“ sei nicht in Sicht.
Nur wenige Jahre nach der Änderung des Stimmrechts in den USA vollzog sich auch die Gründung von Blackrock. 1988 schlossen sich unter dem Kommando von Larry Fink acht Asset-Manager zu einer Investment-Gruppe innerhalb der Blackstone Group zusammen. Die anfängliche Finanzierung sicherte sich Fink von Pete G. Peterson, dem Gründer der Investmentgesellschaft, der an Fink glaubte und die ersten fünf Millionen Dollar bereitstellte. Das Unternehmen wurde schnell profitabel, wuchs beständig und nahm 1992 schließlich den Namen Blackrock an. Nach zwei weiteren Jahren und der endgültigen Entwicklung zum Vermögensverwalter spaltete sich die Gruppe von Blackstone ab und stand fortan auf eigenen Füßen. Ende 1994 verwaltete der Konzern bereits 54 Milliarden US-Dollar. 1999 ging er an die Börse.
Im Laufe der Zeit begann Blackrock, die Portfolios mehrerer großer Firmen zu übernehmen. Einer der entscheidenden Schritte folgte im Zuge der Finanzkrise 2008/09, die Blackrock geschickt für sich nutzte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die britische Großbank Barclays über ihre Sparte „iShares“ zu einem der größten Anbieter von ETFs entwickelt. Im Zuge der Lehman-Pleite war jedoch auch Barclays ins Trudeln geraten. Die Not des Finanzinstituts weckte Blackrocks Interesse. Der Konzern bot ein Geschäft an, um die wachstumsstarke „iShares“-Sparte zu übernehmen: Barclays bekäme durch den 13,5 Milliarden-Dollar schweren Deal das nötige Kapital, um einen Bailout zu vermeiden. Gleichzeitig würde der Konzern einen beträchtlichen Anteil an Blackrock erhalten. Barclays nahm schließlich an.
Damit begann Blackrocks Aufstieg zum weltweit größten Anlagenverwalter – und das in einem äußerst feindlichen öffentlichen Klima. Denn selten war das Mißtrauen gegenüber der Finanzwelt größer als nach der Lehman-Pleite. In den Straßen protestierte die Bewegung „Occupy Wall Street“. Beinahe wöchentlich erschienen große Enthüllungsstorys, die das schauerliche Ausmaß der Gier und der Skrupellosigkeit in der Finanzwelt schonungslos offenbarten. Der normale Bürger durfte dabei zusehen, wie mit seinen Steuergeldern Banken gerettet wurden. Doch die Führungskräfte von Blackrock wußten sich zu helfen. Warum nicht an die Spitze eines Kampfes für eine gerechtere und nachhaltigere Welt stellen? Was, wenn man sowohl die Konkurrenz als auch die antikapitalistischen Kritiker ganz einfach mit dem engelsgleichen Versprechen von Tugendhaftigkeit, Diversität und Klimaschutz aus dem Spiel nehmen könnte? Die entsprechenden ESG-Pläne lagen bereits in der Schublade.
Supranationale Akteure arbeiten mit Finanzinstituten zusammen
2004 erwähnte die globale Initiative „Who Cares Wins“ („Wer sich kümmert, gewinnt“), eine gemeinsame Arbeitsgruppe von mehreren Finanzinstituten, darunter etwa Goldman Sachs, Morgan Stanley und Deutsche Bank, unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen erstmals die drei Buchstaben der Macht. Supranationale Organisationen und private Vermögensverwalter machten über die Jahre weiter Druck und forcierten die Einführung. Schon 2008 frohlockte die auf Diversität, Gendergerechtigkeit und Klimaschutz spezialisierte „International Finance Corporation“ der Weltbank: Nach einer „Zeit des intensiven Experimentierens in bezug auf die Relevanz von ESG-Themen für Investitionen“ habe „die Branche seit 2004 erhebliche Fortschritte gemacht“. Führende Analysten hätten bereits „die notwendigen Techniken entwickelt, um ESG-Themen in die Finanzanalyse zu integrieren“.
Wie häufig also stand am Beginn einer solch einschneidenden Richtungsentscheidung kein demokratischer Prozeß, sondern die strategische Überlegung sogenannter „public private partnerships“, in denen die Gerechtigkeitsphantasien supranationaler Organisationen wie der UN mit den Interessen großer Konzerne verschmelzen. Auch die Ausarbeitung der schwammigen ESG-Kriterien oblag jenen internationalen Institutionen. Blackrock-Chef Larry Fink setzt bis heute fest auf diese Art der Ordnung: „Wir brauchen Führungspersönlichkeiten sowohl in der Regierung als auch in Unternehmen, die diese Notwendigkeit erkennen und zusammenarbeiten, um das Potential des privaten Sektors freizusetzen“, bestätigte er vor zwei Wochen.
Die Zusammenarbeit mit den woken Regierungen des Westens funktioniert tatsächlich blendend. In den USA sind die Demokraten längst zur Partei der Wall Street geworden. Der wichtigste wirtschaftspolitische Berater von Präsident Joe Biden ist nicht umsonst der 45jährige Brian Deese, der lange Jahre bei Blackrock als Chef für nachhaltiges Investieren tätig war. Über die jährlichen öffentlichen Briefe übt Fink, der mächtigste Mann der Wall Street, zudem einen nicht zu unterschätzenden moralischen Druck auf die Konzerne aus. Ein jedes Unternehmen müsse „nicht nur finanzielle Leistung erbringen, sondern auch zeigen, wie es einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leistet“, forderte er bereits vor fünf Jahren. Ausschließlich finanzielle Vorteile können im Zuge des ESG-Strebens tatsächlich nicht überzeugen: Im Jahr 2022 schnitten immerhin acht der zehn größten aktiv verwalteten ESG-Fonds in den USA (darunter einer von Blackrock) schlechter ab als der amerikanische Aktienindex S&P 500. Was Fink sicher nicht davon abhalten wird, weiter eisern an seinem ESG-Kontrollmechanismus festzuhalten.
Fotos: Grün, grün, grün sind alle meine Investments: Stand auf der Expo Real 2022, einer Fachmesse für Immobilien und Investitionen in München / Gegen Blackrocks Forderungen nach Klimaneutralität und Diversität kann sich kaum ein Unternehmen wehren; Der Aufsichtsratsvorsitzende von Blackrock, Larry Fink: Der Anhänger der Demokratischen Partei verteidigt sich vehement gegen die Vorwürfe, sein Konzern würde „Umweltpolizei“ spielen