© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/23 / 31. März 2023

Mit der vollen Härte des Gesetzes
Spätaussiedler: Die Ampelkoalition will die Hürden für Einbürgerungen senken – aber für Deutsche sind sie höher als zuvor
Christian Vvollradt

Es klingt ein bißchen nach verkehrter Welt: Seit etwa einem Jahr betreiben im von der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ aus SPD, Grünen und FDP regierten Deutschland Behörden eine restriktive Politik, die Leuten, die sich hier niederlassen wollen, die Aufnahme verweigert und Einbürgerungen verhindert. Was sich anhört, als wäre es einer „rechtspopulistischen“ Phantasie entsprungen, ist tatsächlich Realität. Allerdings nicht im Sinne einer 180-Grad-Wende in der allgemeinen Migrationspolitik, sondern nur bezogen auf Angehörige der deutschen Minderheit, die um eine Anerkennung als Spätaussiedler ersuchen – und abgelehnt werden. 

Diese Fälle häufen sich, so berichten es Betroffene, so kritisieren es die landsmannschaftlichen Interessenverbände und die Opposition. Grund ist, daß das zuständige Bundesverwaltungsamt die Nachweispflichten für Spätaussiedler erhöht hat; konkret geht es um das sogenannte „Gegenbekenntnis“, das immer häufiger einer Anerkennung entgegensteht. In der Regel braucht es dreierlei belegbare Voraussetzung, um in Deutschland als Spätaussiedler anerkannt zu werden: die Abstammung von deutschen Volkszugehörigen, die hinreichende Beherrschung der deutschen Sprache sowie ein Bekenntnis zur deutschen Nationalität. 

Konkret heißt es im Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (BVFG): „Deutscher Volkszugehöriger im Sinne des Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.“ Ergänzend lautet die Bestimmung weiter: Der Betreffende muß sich „bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört“ haben.

„Nichts in den Unterlagen außer die Nationalität zählt“

Und genau hier lauert das Problem, das sich für die Betroffenen zur schier unüberwindbaren Hürde entwickeln kann und viele angesichts eines Bergs an Bürokratie verzweifeln läßt. Wenn nämlich in einer Urkunde aus dem Herkunftsgebiet eine nichtdeutsche Nationalität eingetragen war oder noch ist, gilt dies als „Gegenbekenntnis“. Mit anderen Worten: Durch den behördlichen Eintrag hat sich die Person gegen ein Bekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit entschieden. 

Und das zuständige Bundesverwaltungsamt, eine Oberbehörde, die dem Bundesinnneministerium untersteht, macht in einem Merkblatt klar: Eine  „einfache nachträgliche Änderung der Nationalität in den Urkunden reicht allein nicht mehr aus, um Ihr Bekenntnis zum deutschen Volkstum glaubhaft zu machen.“ Das gilt ungeachtet der Tatsache, daß solche Nationalitätenzuschreibungen insbesondere in der damaligen Sowjetunion von den Behörden willkürlich und teilweise ohne Wissen der Betroffenen vorgenommen wurden. 

In der Moskauer Deutschen Zeitung schildert ein Rußlanddeutscher seine Erfahrungen, dem das Bundesverwaltungsamt im vergangenen Jahr den Status eines Spätaussiedlers verweigerte – unter Verweis auf des – angebliche – Gegenbekenntnis. Er erfülle „alle Voraussetzungen des Bundesvertriebenengesetzes, spreche ausgezeichnet Deutsch“, sei von seiner Großmutter in die deutsche Kultur eingeführt worden, zitiert die Zeitung den in Tatarstan geborenen Igor Sucharew. Erst spät habe er entdeckt, daß er in der Geburtsurkunde seiner ältesten Tochter als Russe geführt wurde. „Ich habe die Spalte mit der ethnischen Zugehörigkeit in den Dokumenten immer für ein diskriminierendes Instrument gehalten“, so der promovierte Wirtschaftswissenschaftler. Er sei jedoch überzeugt gewesen, daß mit dem Zerfall der Sowjetunion die Angabe der Nationalität der Vergangenheit angehöre. „Es stellte sich aber heraus, daß es nicht so war.“ Besonders erstaunt habe ihn jedoch, daß ausgerechnet im sich liberal und modern gebenden Deutschland das Bundesverwaltungamt „nichts außer der Spalte ‘Nationalität’ in den persönlichen Unterlagen“ interessiert habe. Nur das – und nicht „Herkunft, Sprache, Erziehung, Kultur.“

Mittlerweile haben sich die Opfer dieser deutschen Behördenpraxis zu einer Art Selbsthilfe- und Beratungsgruppe zusammengeschlossen. Die „Versammlung Auslandsdeutscher“, zählt heute mehr als 500 Mitglieder, deren Anträge auf Anerkennung als Spätaussiedler abschlägig beschieden wurden. Immerhin hat das Ganze mittlerweile auch die Politik hierzulande erreicht. Doch wie so häufig spielt man parteipolitisch motiviert „Schwarzer Peter“. Ursache der verschärften Anerkennungspraxis  sei einzig ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, behaupten die zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser und die in ihrem Ministerium beheimatete Bundesbeauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Natalie Pawlik (beide SPD). 

In der Tat hatten die höchsten deutschen Verwaltungsrichter 2021 im Fall einer russischen Staatsbürgerin entschieden, daß der bloße Erwerb von Deutschkenntnissen für die Anerkennung als Spätaussiedler nicht ausreichend sei und ein zuvor abgegebenes „ausdrückliches Bekenntnis zur russischen Nationalität nicht ungeschehen machen“ könne. Vielmehr seien, so die Leipziger Richter, äußere Tatsachen erforderlich, „die einen internen Bewußtseinswandel und den Willen erkennen lassen, nur dem deutschen und keinem anderen Volkstum anzugehören“.

Faeser und Pawlik, eine junge rußlanddeutsche Bundestagsabgeordnete aus der linken Hessen-SPD, die – so mutmaßen Kritiker – aus parteipolitischer Motivation den erfahrenen Bernd Fabritius (CSU) als Aussiedlerbeauftragte vor knapp einem Jahr abgelöst hat, sehen damit ihre jeweiligen Amtsvorgänger in der Mitverantwortung – zumindest durch Nichthandeln.

Stimmt nicht, empören sich einhellig Vertreter der Landsmannschaften und der Union im Bundestag. Sie sind der Überzeugung, daß das Bundesverwaltungsamt das erwähnte Urteil völlig unbegründet restriktiv auslegt. Die Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz, spricht sogar von einer „rechtswidrigen Aufnahmepraxis“. Und diese Praxis habe sich erst im vergangenen Jahr etabliert.

Und so langsam scheint auch Faeser verstanden zu haben, daß sich die Hartherzigkeit gegenüber Deutschen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nicht gut verträgt mit der im Koalitionsvertrag proklamierten Offenheit. Denn während auf der einen Seite die Hürden für eine Einbürgerung weiter gesenkt – in der Regel nach fünf, bei besonders guter Integration sogar schon nach drei Jahren – und Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglicht werden sollen, gilt der Nationalitäteneintrag in (post-)sowjetischen Dokumenten als wie in Stein gemeißeltes Ausschlußkriterium.  

In seiner Funktion als Chef des Bundes der Vertriebenen fordert Bernd Fabritius von der Bundesregierung nun, die Vorschriften für das Bundesverwaltungsamt zu präzisieren und das Gesetz entsprechend zu ergänzen. So müsse klargestellt werden, daß „einem aktuellen Bekenntnis zum deutschen Volkstum stets Vorrang vor einer überholten Zuschreibung zur Mehrheitsgesellschaft durch sowjetische Behörden einzuräumen ist“. In der vorigen Sitzungswoche des Bundestags räumte Faeser den dringenden Änderungsbedarf ein. Die Bundesregierung werde eine entsprechende Änderung des Gesetzes vorlegen, sagte sie zu. 

Für die Unionsfraktion im Bundestag ist die restriktive Vorgehensweise des Bundesverwaltungsamts vor allem vor dem Hintergrund des russischen Kriegs gegen die Ukraine besonders skandalös. Denn zum einen seien in der Ukraine die dort lebenden etwa 30.000 Angehörigen der deutschen Minderheit vor allem im Süden und Osten des Landes von den Folgen der Kriegshandlungen betroffen. Zum anderen gerieten die mehr als 400.000 überwiegend  in Sibirien lebenden Rußlanddeutschen „zunehmend unter politischen Druck“.

Im vergangenen Jahr hat das Bundesverwaltungsamt 11.212 Anträge nach dem Bundesvertriebenengesetz von Antragstellern aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion erhalten, teilte die Behörde auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. Die Herkunftsländer mit den höchsten Antragszahlen waren die Russische Föderation (mit 5.558 Anträgen), Kasachstan (3.233 Anträge), die Ukraine (1.827), Kirgistan (184) und Weißrußland (173).

Im selben Zeitraum habe man insgesamt 11.350 Anträge erledigt. Wobei eine Sprecherin der Behörde darauf hinweist, daß die Bearbeitung der Anträge in der Regel länger als ein Jahr dauere. Daher entsprächen die 2022 entschiedenen Anträge nicht denen, die in diesem Jahr gestellt wurden. Insgesamt 6.086 Anträge wurden 2022 positiv beschieden. „1.500 Personen erhielten eine Ablehnung. 2.006 Verfahren wurden eingestellt; 1.758 Verfahren ruhen.“ 

Die einzelnen Ablehnungsgründe würden in der Statistik des Bundesverwaltungsamtes nicht erfaßt, teilte die Behörde mit. Häufig lägen mehrere Ablehnungsgründe vor. „Es kann weder angegeben werden, wie viele der 1.500 Ablehnungen auf ein fehlendes Bekenntnis gestützt wurden, noch wie viele der Antragsteller davon ein Bekenntnis zu einem fremden Volkstum abgegeben hatten.“