© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/23 / 31. März 2023

„Das ist mehr als nur gefährlich“
Interview: Der US-Buchautor Stephen R. Soukup warnt vor einem Angriff auf die Freiheit von unerwarteter Seite: Die woke Ideologie ist dabei, die Wirtschaft zu unterwandern – um von dort aus unsere Demokratie lahmzulegen
Moritz Schwarz

Herr Soukup, wie gefährlich ist der „woke Kapitalismus“?

Stephen R. Soukup: Sehr gefährlich, denn es handelt sich um den Versuch eines Teils der gesellschaftlichen Elite, die Wähler zu umgehen, um eine Politik durchzusetzen für die man auf demokratischem Wege keine Mehrheit bekommt.

Wie funktioniert das?

Soukup: Indem dominante Unternehmen ihre Marktmacht nutzen und ideologische Inhalte in die Marktwirtschaft einschleusen. Dazu muß man wissen, daß die amerikanische Wirtschaft von einem Prozeß geprägt ist, der sich „Financialization“ nennt und die wachsende Bedeutung des Finanzsektors meint. Der Einfluß der Unternehmen dieser Branche auf die Wirtschaft steigt also. Und es sind die drei großen Investmentunternehmen Blackrock, Vanguard und State Street, die heute aufgrund ihrer enormen Potenz einen großen Teil der Marktentscheidungen treffen, was sie wiederum dazu nutzen, um die woke Agenda in der Geschäftswelt voranzutreiben. Und das ist nicht nur gefährlich – das ist etwas, was wir so noch nicht erlebt haben, von dem die amerikanische Wirtschaft noch nie zuvor bedroht wurde. 

Aber ist die woke Welle in der Wirtschaft nicht nur eine Marketing-Mode?

Soukup: Natürlich auch, aber nicht nur. Und das zeigt sich, wenn wir die Frage stellen, warum so viele Firmen es für marketingtechnisch ratsam halten, sich ein wokes Erscheinungsbild – „divers“, „nachhaltig“, klimabewußt – zu geben: Sie haben bemerkt, daß es sich dabei um eine Entwicklung handelt, die gesellschaftlich im Aufstieg ist, und sie wollen dem Segment der Gesellschaft gefallen, das die meiste Macht hat und das diese Entwicklung trägt. Bei all dem geht es also nicht um die normale Kundschaft, sondern um Entscheider und Investoren.

Ist es aber nicht begrüßenswert, wenn Unternehmen auch für Umwelt und Gesellschaft Verantwortung übernehmen?

Soukup: Klassischerweise ist das Ziel eines Unternehmens, den Gewinn zu maximieren. Dann kam vor etwa fünfzig Jahren der sogenannte Stakeholder-Kapitalismus auf. Nach diesem genügt es für ein Unternehmen nicht mehr, nur dem Markt Beachtung zu schenken, es muß seinen Erfolg zudem dadurch absichern, daß es auch sein soziales Umfeld berücksichtigt. Diese Idee hat sich seitdem mehrfach transformiert, und heute ist damit nicht mehr nur das direkte soziale Umfeld gemeint, sondern eine abstrakte „globale Verantwortung“. Dabei geht es auch um die begehrten Fachkräfte, die viele Unternehmen suchen, denn ein Teil von diesen erwartet heute nicht mehr nur gute Löhne, sondern will auch das Gefühl haben, mit ihrem Beruf eine sinnstiftende, die Gesellschaft angeblich voranbringende Tätigkeit auszuüben. Doch statt eines Segens handelt es sich bei all dem tatsächlich um ein antidemokratisches „Top-down“-System, durch das eine gutbezahlte Elite von „oben“ Ideen propagiert, die unsere Gesellschaft zutiefst verändern sollen, einschließlich der Beziehung zwischen Bürger und Staat, Unternehmen und Konsumenten und natürlich auch das Selbstverständnis unserer Wirtschaft. 

In Ihrem Buch „Die Diktatur des woken Kapitals“ schreiben Sie diesbezüglich von zwei großen Gefahren. Welche sind das?

Soukup: Zum einen unterminiert das unser demokratisches Regierungssystem. Heute spricht die politische Klasse, insbesondere die Linke, viel darüber wie gefährdet unsere Demokratie ist – doch diese Gefahr ignorieren sie fast vollständig. Wenn aber Unternehmen, in den USA dabei auch noch von der Regierung unterstützt, ein Programm durchzusetzen versuchen, das dem Willen des Volkes widerspricht, dann droht das die Demokratie in diesem Land zu beenden und damit das freiheitliche Vermächtnis unserer Nation auszulöschen. Und nicht nur das, zum anderen korrumpiert es auch den amerikanischen Kapitalismus, der nach 1945 in der ganzen westlichen Welt für Wachstum gesorgt hat, indem es seine Funktionsprinzipien untergräbt. Denn wenn Unternehmen vor allem darauf achten, was Stakeholder, also Interessengruppen, von ihm erwarten, dann geht das auf Kosten der Shareholder, also ihrer Anteilseigner, deren Interesse es natürlich ist, eine möglichst hohe Gewinnausschüttung zu erhalten. Irgendwann werden sie sich abwenden und ihr Geld anderswo investieren, und damit wird die Gesellschaft geschädigt.

Aber müßten Sie als Anhänger der Marktwirtschaft nicht das Recht der Unternehmen verteidigen, sich frei für ihren Weg zu entscheiden – dessen Folgen sie dann eben tragen müssen –, statt sie durch Ihre Kritik zu gängeln?

Soukup: Ihr Argument sticht nur scheinbar. Entgegen einer verbreiteten Annahme handelt es sich keineswegs um freie Entscheidungen. Wie schon angedeutet, hat sich die Marktmacht konzentriert und liegt heute überwiegend in den Händen weniger. Und diese nutzen sie nicht nur, um selbst die woke Agenda zu lancieren, sondern auch, um andere Unternehmen, zum Teil offen, zum Teil verdeckt, dazu zu zwingen, es ihnen gleichzutun. 

Die meisten Unternehmen sind also von ihrer woken Wende gar nicht überzeugt? 

Soukup: Vielleicht eine Handvoll Vorstandschefs sind tatsächlich Anhänger der woken Agenda, die übrigen glauben daran nur insofern, als sie diese als die Ideenwelt derer erkannt haben, die die gesellschaftlichen Weichen stellen. Allerdings zählen zu den wenigen, die tatsächlich an die Sache glauben, ein paar der finanzstärksten Investoren. Alles in allem kommt der Druck auf die Unternehmen heute aus gleich drei Richtungen: Von oben nach unten, also von Vorständen und Geschäftsführern. Von unten nach oben, also von Angestellten, die eine woke Firmenkultur einfordern. Und von außen nach innen, also von Lobbygruppen und Aktivisten, zu denen man auch die Gruppe der politisch-aktivistischen Investoren zählen kann. 

Nun, wer zahlt, schafft an. 

Soukup: Ja, nur nutzen die entsprechenden Investmentunternehmen dazu Kapital, das ihnen gar nicht gehört. Dazu muß man wissen, daß Altersvorsorge in den USA zu einem großen Teil privat organisiert ist. Obwohl es auch eine staatliche Rente im Rahmen der Sozialversicherung gibt, die aber nicht ausreicht. Deshalb haben über sechzig Prozent der Amerikaner direkt oder indirekt in den Aktienmarkt investiert – während es bei Ihnen in Deutschland nur etwa 18 Prozent sind. Und ein Großteil dieses Geldes landet bei Vermögensverwaltern wie Blackrock, die es wiederum in Investitionen stecken, die der woken Agenda dienen. Und das, obwohl die Mehrheit der Menschen, von denen das Geld ursprünglich stammt, diese Agenda sicher nicht unterstützen wollen. Aber das interessiert diese Investoren natürlich nicht.

Im Titel Ihres Buches sprechen Sie von einer „Diktatur des woken Kapitalismus“, ist es das, was Sie damit meinen?

Soukup: Damit ist der politisch autoritäre Charakter gemeint, der hinter der Weltanschauung des woken Kapitalismus steckt und der zurückreicht bis zu den Anfängen des amerikanischen Progressivismus im späten 19. Jahrhundert. Dieser ist beseelt von dem Glauben, daß es Techniken des richtigen Regierens gäbe, die aber nur die gebildeten Schichten verstehen, weshalb sie dem widerspenstigen Volk, das nicht willens ist, über jene Institutionen hinauszugehen, die bei der Entstehung dieser Nation geschaffen wurden, eben aufgezwungen werden müßten. Heute hat diese Entwicklung einen sehr heiklen Punkt erreicht. Denn die meisten Institutionen unserer Gesellschaft sind bereits dieser Ideologie zum Opfer gefallen. Die vielleicht einzige Bastion, die noch nicht vollständig erobert worden ist, ist die Geschäftswelt, die nun aber auch attackiert wird. 

Wie geht das Ihrer Ansicht nach aus?

Soukup: Ich habe durchaus noch Hoffnung, aber wir haben noch viel Boden wiedergutzumachen. Und ich meine, daß mein Buch dazu einen Beitrag leistet, denn seit seinem Erscheinen ist in den USA das Bewußtsein für diese Gefahr deutlich gestiegen. Wozu aber andererseits auch beigetragen hat, daß leider einige große Unternehmen öffentlichkeitswirksam zur Wokeness übergelaufen sind. Dennoch glaube ich, daß eine Gegenbewegung dabei ist zu entstehen. 

Was, wenn diese ohne Erfolg bleibt?

Soukup: Sollte es der Wokeness tatsächlich gelingen, den amerikanischen Kapitalismus und den freien Markt zu unterwandern, dann würden wir allerdings wohl nicht nur in einer Art Diktatur enden, sondern in einer Form von Totalitarismus, da diese Bewegung danach strebt, alle Bereiche des Lebens zu politisieren. 

Der Kern des woken Kapitalismus ist allerdings gar nicht das äußere Erscheinungsbild, das sich die Firmen geben, sondern etwas, wie Sie schreiben, von dem die meisten Leute gar nichts mitbekommen. Was ist das?

Soukup: Es ist ein ESG genanntes Bewertungssystem, die Abkürzung steht für „Environmental, Social and corporate Governance“ …

… also „Umwelt- und sozialbewußte Unternehmensführung“, in Deutschland spricht man auch von „Ethischem Investment“ …

Soukup: … das Unternehmen an woken Standards mißt und diesen damit Einfluß darüber gibt, welchen Marktwert die Firmen haben. Damit geht es nun nicht mehr nur um ökonomische Gesichtspunkte, plötzlich drängen sich ideologische Kriterien in die Marktwirtschaft! 

Wie rechtfertigen die Unternehmen das gegenüber ihren Anteilseignern?

Soukup: Larry Fink, der Vorstandschef von Blackrock, würde Ihnen wohl antworten, daß das die Unternehmen keineswegs behindert, sondern im Gegenteil noch effizienter macht! Denn die woke Ideologie verspricht ja nicht nur eine moralisch bessere Welt, sondern auch eine funktionstüchtigere. 

Was antworten Sie darauf?

Soukup: Daß Finks Taten gegen seine Worte zeugen. Denn wäre das so, würden diese Unternehmen überall die woke Agenda einführen. Tatsächlich aber predigen Blackrock, Apple, Disney etc. diese Werte nur in den USA und der westlichen Welt, in China aber zum Beispiel nicht. Und was tut Blackrock – das sich hierzulande aus angeblich tiefster Überzeugung der Nachhaltigkeit verschrieben hat – dort tatsächlich? Es ist der wichtigste Investor des größten chinesischen Ölkonzerns Petrochina, der früher sogar das größte Petrounternehmen der Welt war, und der sich weder um Nachhaltigkeit, noch um Diversität etc. schert. 

Was bedeutet es, wenn westliche Unternehmen sich nach den ESG-Kriterien richten, der Rest der Welt aber nicht?

Soukup: Ganz klar, nichts Gutes. Denn der Westen profitiert von einem Vorsprung, den wir noch gegenüber vielen Ländern haben, der aber auf diese Weise rasch verspielt werden kann. Und das hätte wiederum tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesellschaften. Ich kann nicht sagen, welche das im Detail sein würden, aber es ist klar, daß solche Entwicklungen nie ohne Umwälzungen vor sich gehen.

Könnte das langfristig zur Abschaffung der Markt-und einer Art woken Klimaplanwirtschaft führen? 

Soukup: Nein, das glaube ich nicht. Aber es könnte den Kapitalismus um das bringen, was ihn ausmacht, seine Flexibilität und Leistungsfähigkeit, mit den entsprechenden sozialen Folgen. Deshalb sollte man Entwicklungen wie etwa die bei Exxon Mobil, dem zweitgrößten Erdölkonzern der Welt, ernst nehmen. Dort hat vor zwei Jahren eine Gruppe aktivistischer Investoren – einige mit Beziehungen zu Blackrock –, denen die Firmenpolitik mißfiel, durchgesetzt, daß drei Umweltaktivisten von ihnen in den Vorstand des Unternehmens aufgenommen werden mußten, was den Fokus der Firma verändert hat.

Allerdings hat der Vorstand 13 Mitglieder.

Soukup: Richtig, doch muß man sich klarmachen, was das bedeutet. Diese Leute sind mehr an Nachhaltigkeit als am eigentlichen Geschäft des Unternehmens interessiert, und das verändert die Art und Weise, wie Exxon funktioniert. Nun sitzen Menschen, die Politik statt Gewinn machen wollen, direkt in der Führung des Unternehmens. 

Allein Blackrock verwaltet Vermögen in Höhe von 8,6 Billionen Dollar. Was macht Sie zuversichtlich, daß eine Gegenbewegung, von der Sie vorhin sprachen, einer solchen Macht etwas Nennenswertes entgegensetzen könnte?

Soukup: Es stimmt, daß ihre Macht gewaltig ist, und dennoch gibt es Erfolge. So hat Vanguard, mit 7,2 Billionen Dollar nach Blackrock weltweit die Nummer zwei der Vermögensverwaltungsunternehmen, im Herbst das gemeinsame Netto-Null-Klimabündnis der Investmentbranche verlassen. Und wenn sie, wie versprochen, dabei bleiben, Politik aus ihrem Geschäft herauszuhalten, würde das bedeuten, daß sich ein Drittel der bisherigen Front der großen Drei aufgelöst hätte. Und das wäre wirklich ein gewaltiger Sieg!






Stephen R. Soukup, der 1970 geborene Autor des Buches „The Dictatorship of Woke Capital. How Political Correctness Captured Big Business“ (2021) ist Vize-Vorsitzender der von ihm mitgegründeten wirtschaftspolitischen US-Denkfabrik „The Political Forum Institute“. 

Foto: Woke Werbebotschaft eines führenden Getränkeherstellers: „Das ist etwas, was wir so noch nicht erlebt haben, von dem der amerikanische Kapitalismus noch nie zuvor bedroht wurde … und was das freiheitliche Erbe unserer Nation auslöschen könnte“