© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/23 / 24. März 2023

Bewältigungen an seichtem Gewässer
Max Czollek polemisiert gegen die bundesdeutsche Erinnerungspolitik
Thorsten Hinz

Es genügt ein minimaler Aufwand an Geist und Sprache, um gut 160 Seiten zu füllen, einen renommierten Verlag zu veranlassen, sie in Buchform zu publizieren und das Feuilleton zu animieren, sie anzupreisen. Voraussetzung ist politisch-ideologische Korrektheit; ein passender biographischer Hintergrund ist von Vorteil. 

Der 35jährige Max Czollek, der sich mit flottem Mützchen oder feschem Basecap präsentiert, hat die Masche perfektioniert. Sein erstes Buch „Desintegriert euch!“ – als ob es dazu einer Aufforderung bedürfte – konnte man mit gutem Willen als Identitätssuche eines relativ jungen Juden durchgehen lassen, obwohl die Alternative einer „jüdisch-muslimischen Leitkultur“ schon selten dämlich war. Nur kam er dem alten Platzhirsch Maxim Biller ins Gehege, der ihn „als Faschings- und Meinungsjuden“ anging, weil Max lediglich einen jüdischen Großvater hat, nach jüdischem Gesetz also gar kein Jude ist. Das zweite Buch, „Gegenwartsbewältigung“, legte man spätestens bei Maxens Feststellung aus der Hand, mit der Geschichte der deutschen Kultur verhalte es sich „ein bißchen wie mit deutschen Talkshows: Hier und da ein paar gute Momente, aber insgesamt blickt man in einen klaffenden Abgrund.“ Der mißglückte Versuch, den jüdischen Witz – göttlicher Woody Allen! – zu imitieren, verriet klaffende kognitive Defizite: Talkshows sind keine Abgründe, bloß seichte Gewässer. 

Nun also sein drittes Buch, „Versöhnungstheater“. Die müde These lautet: Deutschland nenne sich zu Unrecht Erinnerungs-weltmeister. Mit Halbstarkenjargon geht es gegen Stauffenberg, Ernst Jünger, gegen Botho und Simon Strauß, das Berliner Stadtschloß usw. usf. Das alles ohne Struktur, Stringenz, Erkenntnistiefe. Während des Corona-Lockdowns wagten Max und seine Freundin sich bis nach Oranienburg und Umgebung. Eine schöne, wasserreiche Landschaft nördlich von Berlin, in die das KZ Sachsenhausen gesetzt worden war, seit DDR-Zeiten eine Gedenkstätte. Dort hat er „eine Lokalisierung des Vergessens im deutschen Versöhnungstheater“ und ein „spezifisch deutsches Nichtverstehen“ ausgemacht, weil Leute bei schönem Wetter die Chuzpe hatten, zu angeln und Ausflugslokale aufzusuchen. Eine Unverschämtheit, meint er, denn wo kein Lager war, ist nur „der übrige soziale Raum, der zwar ebenfalls kontaminiert ist von der Gewalt, aber zugleich seltsam unberührt scheint von dieser Geschichte“.

Das Buch ist wie ein Slapstick-Streifen aus der Stummfilmzeit, wo jemand seinem Gegenüber eine Torte nach der anderen ins Gesicht schmeißt und das unheimlich lustig findet. Der Leser aber sieht vor dem inneren Auge eine an Geist und Sprache arme Kulturbetriebsnudel, geifernd an der Computertastatur. Kein schöner Anblick. Wirklich nicht.

Max Czollek: Versöhnungstheater. Hanser Verlag, München 2023, gebunden, 176 Seiten, 22 Euro