Bauern. Dem Betrachter von heute muß die bäuerliche Welt im Münsterland der fünfziger Jahre, von der dieses Buch handelt, vorkommen wie das 19. Jahrhundert: Zum Großteil besteht es aus viel harter körperlicher Arbeit und relativ wenig Abwechslung. Der Tübinger Historiker Ewald Frie beschreibt sie nicht vom Katheder herab, sondern aus der Erinnerung. Denn es ist seine Geschichte, die seiner Eltern mit ihren elf Kindern. Und das Ganze – da kommt dann der professionelle Zurückblicker durch – bindet er ein in den Kontext der deutschen Geschichte. Und daran besteht kein Zweifel: Die knapp 200 Seiten behandeln Vergangenes. „Mein ältester Bruder hat die Veränderung der ländlichen Welt mitgestaltet. Wir anderen haben sie verlassen, ausgestattet mit der neuen Währung, die nicht mehr Vieh und Land, sondern Bildung hieß.“ Dabei macht der Autor keinen Hehl aus seinem Zweifel an diesem Aufstieg-durch-Bildung-Narrativ: Er gehöre zur „ersten Generation“ seiner Familie mit Universitätsbildung. Mit Bezug auf die Rinderzucht sei er jedoch die letzte. „Ich kann ganz viele Dinge nicht mehr, die mein Vater konnte“, räumt er freimütig ein und zählt nicht nur Plattdeutschreden und Doppelkopfspielen auf, sondern auch „Ferkel mit dem Taschenmesser kastrieren“. Am Ende stellt er seinen Professorentitel den väterlichen Preisen für Zuchtbullen gegenüber und kommt auf ein Unentschieden. Fries Rückblick auf eine bäuerliche Lebenswelt, die es so längst nicht mehr gibt, ist nicht rührselig, aber liebevoll, weder nostalgisch verklärend noch hart abrechnend, sondern einfach unterhaltsam beschrieben. (vo)
Ewald Frie: Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben in Deutschland. Verlag C. H. Beck, München 2023. gebunden, 191 Seiten, Abbildungen, 23 Euro
Ungeschönt. Nach und nach wandelt sich der Trend von „Influencern“ hin zu „Sinnfluencern“. Viele Nutzer in den sozialen Medien haben genug von zur Perfektion bearbeiteten Bikinifotos und Werbung für Konsumprodukte, die ohnehin kein Mensch braucht. Statt dessen geht es bei Instagram und Co. nun immer mehr um Selbstliebe, Authentizität und gesellschaftliche Themen. So auch bei der jungen Publizistin Jaqueline Scheiber aus dem Burgenland. Sie beschäftigt sich mit den viel Unsicherheit verursachenden Schönheitsnormen, ihr Buchtitel „Ungeschönt“ scheint zugleich ihr Mantra zu sein. „Schon von klein auf hatte ich das Bedürfnis, zu schreiben, meine Gedanken und Gefühle in Worte zu kleiden“, erzählt die Bloggerin mit dem Namen „minusgold“. Wie zeitgeistig ihr alltägliches Infragestellen der Welt ist, zeigt sich nicht zuletzt an Formulierungen wie „als Frau gelesene Personen“ oder dem unentwegten Gendern. (zit)
Jaqueline Scheiber: Ungeschönt. Sprechen über gesellschaftliche Tabus, Bodyshaming und psychische Gesundheit. Piper Verlag, München 2023, broschiert, 176 Seiten, 14 Euro