© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/23 / 24. März 2023

Der Diplomat der Kanzlerin
Deutschlands Rolle als Garant des internationalen Völkerrechts: Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Christoph Heusgen blickt mit stolzer Brust auf die Außenpolitik Angela Merkels zurück
Peter Seidel

Der neue Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, ist nicht irgend jemand. Der Nachfolger von Horst Teltschik und Wolfgang Ischinger, der eine Sicherheitsberater im Kanzleramt, der andere Diplomat im Auswärtigen Amt, war zwölf Jahre engster außenpolitischer Mitarbeiter von Kanzlerin Merkel. Heute ist er ihr Interpret, der Untertitel seines neuen Buches über „Angela Merkels Außenpolitik“ gibt den Inhalt korrekt wieder. Von „Führung und Verantwortung“ bzw. „Deutschlands künftiger Rolle in der Welt“ gilt dies leider nicht. Auf knapp 240 Seiten unternimmt der ehemalige Diplomat eine Tour d’horizon über Frankreich, die EU, die Nato, die europäische Nachbarschaft, das Mittelmeer, Israel, die USA, Rußland, China, Afrika, Lateinamerika und Asien. Eingebettet in die Antrittsbesuche und zahlreichen Auslandsreisen seiner Kanzlerin. Protokollarisch korrekt den Rahmen der Darstellung abgebend. Eingängig beschrieben, ohne Bürokratendeutsch und angereichert mit zahlreichen Anekdoten. Doch wie so häufig in ähnlichen Fällen gilt: weniger wäre mehr gewesen. Denn einen Schwerpunkt hat das Buch so nicht.  

Dennoch ist es aufschlußreich, nicht zuletzt wegen der Eigencharakterisierung deutscher Außenpolitik durch einen ihrer Protagonisten. So etwa, wenn er „Beliebtheit“ als sehr deutsches Kriterium internationaler Politik einführt, die „Ansporn sein (sollte), unser Engagement zu erhöhen“, insbesondere bei der Entwicklungshilfe, aber auch als geschätzter Geldgeber weltweit, etwa bei der Uno, nicht zuletzt, um das „Überleben der Erde“ zu sichern oder sich für „einen höheren Schutz für chinesische Arbeitnehmer“ einzusetzen, ein persönliches Anliegen der Kanzlerin. Zeitweise irritiert ist er allerdings „von dem manchmal sehr fordernden, manchmal sogar arroganten Stil, den etliche US-Offizielle pflegen“, oder wenn diese die von ihm ausgebreitete Dankbarkeit für die Entwicklung der deutsch-amerikanischen Beziehungen „von der Luftbrücke über Kennedy“ und „gemeinsame Werte“ kühl zur Kenntnis nehmen: „Einen Tag sei man Freund, einen anderen Tag Feind. So sei das auch mit Deutschland. Die Vergangenheit zählt nicht.“ Kommentar Heusgen: „Das saß.“ Mag sein. Folgen für die deutsche Außenpolitik hat diese Irritation ihres damaligen Chefdiplomaten aber offenkundig nicht gehabt.  

Im Zentrum seiner Ausführungen stehen Rußland und insbesondere dessen Präsident Wladimir Putin. Heusgen fordert dabei unverblümt eine „Deputinisierung Rußlands“, „wie seinerzeit die ‘Denazifizierung’“, so der Diplomat. Putin gehöre vor ein internationales Gericht wie den Nürnberger Gerichtshof, da es ihm „überhaupt nichts ausmacht, wenn Menschen verhungern, gefoltert oder getötet werden“. Einen künftig wieder normalen Umgang mit ihm hält er für „ausgeschlossen“. Die Analogien zu Hitler werden bei Heusgen deutlich, wenn er kategorisch erklärt, Putin habe sich „selbst aus dem Kreis der Staats-und Regierungschefs hinauskatapultiert, auf die man sich verlassen und mit denen man Verträge schließen kann“. Eine bedingungslose Kapitulation à la Casablanca 1943 fordert er allerdings von Rußland nicht.

Interessant ist auch das Kapitel über China, nicht weil es substantiell Neues bringt, sondern weil es viel über die deutsche Politik aussagt. Heusgen spricht hier vom „Systemwettbewerb“ mit China, den „wir gewinnen können“, notfalls indem wir China „eine gestärkte internationale Front entgegensetzen können“. Denn: „China arbeitet konsequent daran, Unterstützer für seinen Ansatz zu finden, das Schwergewicht auf nationale Souveränität zu legen.“ Und das geht gar nicht, denn Völkerrecht und Uno sind für Heusgen und die deutsche Politik die offenbar maßgeblichen Maßstäbe, natürlich nicht nationale deutsche Interessen. Deutlich werden hier aber vorsichtige Absetzbewegungen von den USA, angesichts „der nicht minder aggressiven US-Politik gegenüber China“. Schließlich hatte sich während der Amtszeit Angela Merkels „das deutsch-chinesische Handelsvolumen (...) fast vervierfacht“. Galt Ähnliches aber nicht einst auch für die Wirtschaftsbeziehungen mit Rußland?

Heusgen reiht sich mit seinem Buch ein in die Reihen seiner Vorgänger Teltschik und Ischinger, die sich nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt ebenfalls über ihre außenpolitischen Tätigkeiten geäußert haben. Doch hatte Teltschik sich auf das damals aufkommende aktuelle Rußland-Thema konzentriert. 

Christoph Heusgen: Führung und Verantwortung. Angela Merkels Außenpolitik und Deutschlands künftige Rolle in der Welt. Siedler Verlag, München 2023, gebunden, 256 Seiten, 22,90 Euro