© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/23 / 24. März 2023

Frisch gepreßt

Identitätspolitik. Viele Bücher, die sich zuletzt „Identität“, „Fremdheit“, „Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft“ widmen, mögen abschrecken. Interessant sind sie aber zum einen allein deshalb, weil hier ein linksgrünes, häufig auch migrantisches Milieu eine Entwicklung kritisch kommentiert, die sie zugleich aktivistisch einfordert oder durch Verbindungen zu einschlägigen NGOs mit „Seenotrettungs“-Attitüde sogar ganz konkret mitgestaltet. Andererseits ist es interessant zu sehen, wie das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit, Verortung und Verwurzelung mit zunehmender Enthomogenisierung der deutschen Gesellschaft eher zu- statt abnimmt. Und zwar gerade bei jenen, die diese Enthomogenisierung begrüßen. „Wo die Fremde beginnt“ ist ein weiteres Werk in dieser Reihe. Die Autorin, aufgewachsen in einer gutbürgerlichen Hamburger Vorstadt, hat einen schwarzen Vater und eine weiße Mutter. Die Reihenhaussiedlung ihrer Kindheit empfindet sie als bedrückend und eng. Ihr Gefühl von Nichtzugehörigkeit, das sie aufgrund ihrer Hautfarbe empfindet, befördert ihre Suche nach einem „anderen“ Deutschland, einem Raum, in dem Identitäten „fluide“ und „durchlässig“ sein können. Auch wenn diese Suche grundsätzlich nachvollziehbar ist, fällt doch immer wieder die sprachliche Nebelwand auf, wenn es um die konkrete Schilderung dieser „fluiden und offenen Gesellschaft“ geht. (lb)

Elisabeth Wellershaus: Wo die Fremde beginnt. Über Identität in der fragilen Gegenwart. Verlag C. H. Beck, München 2023, gebunden, 147 Seiten, 22 Euro





Diskriminierung. Bernhard Hommel kritisiert „die leeren Versprechen der Identitätspolitik“. Der Psychologe an der TU Dresden zweifelt dabei jedoch nicht grundsätzlich an dem Narrativ, daß Minderheiten in der bundesdeutschen Gesellschaft diskriminiert würden. „Sprachliche Tabuisierungen“, die Verwendung oder Nichtverwendung von Worten und Begriffen, sorgten lediglich nicht für soziale Gerechtigkeit. „Die effektive Verbesserung gesellschaftlicher Bedingungen für unterprivilegierte Gruppen“ erfordere vielmehr „tatsächliche Veränderungen in der Realität“ anstatt nur Veränderungen, wie „über die Realität kommuniziert“ wird. Obwohl Hommel in einer Mischung aus Couch-Sitzung und Hochschulseminar mit allzu aktivistischen Spitzen ins Gericht geht und so beispielsweise Quotenregelungen sowie den neuen Kolonialismus-Schuldkult seziert und vor neuen identitätspolitischen Diskriminierungen warnt, nährt er die allgegenwärtige Legende vom ungerechten Staat. Seine „Therapiemethoden“ setzen nicht auf Verbote und Strafen, sondern auf „Belohnung“ und „Gewöhnung“ – und verkennen, daß letztere längst gängige Praxis sind. (gb)

Bernhard Hommel: Gut gemeint ist nicht gerecht. Die leeren Versprechen der Identitätspolitik. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2023, broschiert, 224 Seiten, 22 Euro