© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/23 / 24. März 2023

Als Erzbösewicht denunziert
Der Medienphilosoph Norbert Bolz geht der Frage nach, warum der „alte weiße Mann“ zum Feindbild einer sich progressiv empfindenden politischen Kaste geworden ist
Michael Dienstbier

Die treuesten Schüler Carl Schmitts sind heute diejenigen, die sich in der Öffentlichkeit von ihm distanzieren. „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt“, formulierte der brillante Staatsrechtler und politische Philosoph 1963, der aufgrund seiner anfänglichen Unterstützung des NS-Regimes stets mit dem Attribut „umstritten“ versehen wird. Und doch ist es heute vor allem das woke Milieu der Linksprogressiven, welches eine idealtypische Feindbestimmung im Sinne Carl Schmitts betreibt. 

Der Feind der Menschheit manifestiert sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der Gestalt des alten weißen Mannes. Seien es Kriege, Rassismus oder der Klimawandel – immer führt die Spur zu diesem Erzbösewicht des Menschengeschlechts. In seinem neuen Buch „Der alte weiße Mann“ gelingt dem Medienphilosophen und Publizisten Norbert Bolz eine kompakte, hervorragend zu lesende Analyse der kulturellen und machtpolitischen Mechanismen, die zu dieser sich immer weiter radikalisierenden Feindbildkonstruktion geführt haben.

Gleich zu Beginn seines Buches konkretisiert Bolz, was genau unter dem Kampfbegriff des alten weißen Mannes zur Zielscheibe des progressiven Hasses geworden ist: „Wir werden sehen, daß ‘alt’ für Tradition und Erfahrung, ‘weiß’ für europäische Rationalität und technische Naturbeherrschung und ‘männlich’ für Mut, Risiko und Selbstbehauptung steht.“ Bevor er in den Kapiteln zwei bis vier nacheinander diese drei Bestandteile näher untersucht, faßt Bolz zunächst die aktuelle Lage in den westlichen Gesellschaften in bezug auf den Gegenstand seiner Untersuchung präzise zusammen. 

Der postmoderne Kult um den eigenen Identitätsentwurf sei eine Reaktion auf die als Überforderung empfundenen Herausforderungen der globalisierten Welt und den Transzendenzverlust als Folge der Säkularisierung. Mit beidem einher gehe ein bisher einmaliges Wohlstandsniveau, was wiederum die Abwesenheit existentieller Probleme bedeute. Diese Mischung aus Überforderung, Glaubensverlust und materiellem Wohlstand werfe viele gerade junge Menschen auf sich selbst zurück und erkläre somit die Auswüchse unserer Zeit: „Wer unter immer weniger zu leiden hat, leidet unter immer weniger immer mehr“, formuliert Bolz prägnant. Hierin liegt das hysterische Verhalten vieler Mitglieder der „Schneeflocken“-Generation begründet, die sofort in Tränen ausbrechen, wenn sich jemand als Indianer verkleidet oder das falsche Pronomen verwendet.

Sich diskriminiert zu fühlen ist der Kitt, der das woke Milieu zusammenhält, die moralische Verurteilung die bevorzugte Waffe im Kampf gegen die allgegenwärtige Diskriminierung. Mein Gefühl ist alles, deine Meinungsfreiheit nichts, lautet das unausgesprochene Motto dieser Hypersensiblen. Bolz beschreibt das zunächst widersprüchlich klingende Phänomen, daß sich unter den Schlagwörtern „Vielfalt“ und „Diversität“ ein mittlerweile totalitär anmutender Meinungskonformismus herausgebildet habe. Dies konnte passieren, da der in den sechziger Jahren begonnene lange Marsch durch die Institutionen dieser Aktivisten heute abgeschlossen ist und Medien und Bildungseinrichtungen fest unter deren Kontrolle sind: „Mit ihren ‘Studies’ – Black, Critical Whiteness, Gender oder Postcolonial – sind die Universitäten heute Treibhäuser für das Ressentiment all derer, denen man beigebracht hat, sich beleidigt und benachteiligt zu fühlen.“

Es ergebe Sinn, so Bolz, daß der alte weiße Mann als Verkörperung von Tradition, Rationalität und Selbstbehauptung zum Sündenbock der Weltgeschichte geworden ist. Tradition bedeutet, daß man Teil eines großen Ganzen ist, bestehend aus den Toten, Lebenden und noch nicht Geborenen und dementsprechend nicht als weißes Blatt Papier, das sich völlig neu entwerfen kann, zur Welt kommt. Rationalität bedeutet Naturwissenschaft und Weltbeherrschung und damit einhergehend auch die Anerkennung von biologischen Grenzen der eigenen Identitätsentwürfe. Männlichkeit bedeutet Mut, den Willen zum Kampf und die Verachtung gegenüber denjenigen, die sich ihrem Opferdasein ergeben. Gerade in Bildungseinrichtungen wird Männlichkeit häufig nur noch als „toxisch“ bezeichnet. Schon in Kindergärten und Schulen wird Jungen eingetrichtert, daß Selbstbehauptung etwas Verantwortungsloses sei. Vielmehr werden sie darauf abgerichtet, sich stängdig als Opfer zu sehen und beim Staat um Schutz zu betteln. Was gibt es Schöneres für staatliche Autoritäten als ein bittstellendes, entmännlichtes Volk mit anerzogener Opfermentalität?

Bolz’ Stärke liegt in seiner Fähigkeit, komplexe Sachverhalte aphoristisch verdichtet zu formulieren. Hierin besitzt er eine gewisse Übung, kommentiert er doch seit 2012 die Auswüchse unserer Gegenwart auf Twitter, seit kurzem unter dem Motto „Beobachtungen eines alten, weißen Mannes“. Seine neue Darstellung verbindet diese Formulierungslust mit einer fundierten Analyse des progressiven Rassismus der woken Identitätspolitik und der davon ausgehenden Bedrohung nicht nur für alte weiße Männer. Ein wichtiges Buch, das viele Leser verdient hat!

Norbert Bolz: Der alte weiße Mann. Sündenbock der Nation. Verlag Langen-Müller, München 2023, gebunden, 224 Seiten, 24 Euro