© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/23 / 24. März 2023

Der Flaneur
Schade, schöne Silke
Bernd Rademacher

Sie ist mir schon ein paarmal aufgefallen. Ich erkenne sie schon von hinten an ihrer blonden Löwenmähne und dem eleganten Gang. Meistens begegne ich ihr zur typischen Büroschlußzeit auf dieser Straße. Was sie wohl arbeitet? 

Da ist sie wieder. Ihre scharfgeschnittenen Gesichtszüge sind einfach bildschön. Ich bin ganz entzückt. Heute nehme ich endlich mein Herz fest in beide Hände und spreche sie an.

Sie lächelt bezaubernd und wir plaudern ein bißchen. Ich verrate ihr, daß ich sie neulich im Publikum einer Bühnenshow sah und beobachtete, daß sie kein einziges Mal gelacht hat. 

Stimmt, bestätigt sie, ihre Laune sei an dem Tag mies gewesen. Sie überlege, aus der Stadt wegzuziehen, in eine andere Region, weil sie hier keinen Anschluß findet. Na, das ließe sich ändern, denke ich.

„Finanzamt!?“ stammle ich und bin erschüttert. All der Zauber ist dahin und das Gespräch rollt aus.

Sie sagt, daß sie Silke heißt. Oh, du schöne Silke – ich drechsle mir einen Satz zurecht, mit dem ich sie zu einem Heißgetränk einladen kann. Da erzählt sie munter, daß sie beim Finanzamt beschäftigt ist. Bamm! Beim Finanzamt! Ich bin erschüttert. Meine rosa Gedankenblase zerplatzt. 

„Fffinanz…amt?!“ stammle ich. Ja, es sei eine wichtige Tätigkeit, weil es ja sehr sinnvoll sei, Steuern zu zahlen, flötet sie. Ja klar, um mein sauer erarbeitetes Geld, daß immer weniger wert ist, jedem Hereingeschneiten hinterherzuwerfen und für Regenbogen-Firlefanz auf den Kopp zu hauen zum Beispiel, während Straßen und Schulen … Ganz ruhig bleiben, sage ich mir, denk’ an den Blutdruck.

Aus dem Flirt ist ein informelles Gespräch geworden. Die Unterhaltung rollt auf dem toten Gleis aus. Na, dann tschüß und bis demnächst mal wieder oder so. Schade, aber wenn ich Post vom Finanzamt bekomme, krieg’ ich grünen Hautausschlag. Ach, Silke, lebe wohl, es hat nicht sollen sein.