Das Demokratiefördergesetz ist vieles, nur sicher keine Hilfe für die Demokratie. Das von SPD und Grünen vorangetriebene Gesetz soll nach Ansicht der zuständigen Bundesministerien für Familien und Inneres demokratiefördernde Projekte der Zivilgesellschaft aktiv bestärken und langfristig finanziell unterstützen. Aktuell streiten die Koalitionäre um eine mögliche „Extremismusklausel“, die fordern würde, daß sich die zu unterstützenden Vereine aktiv zum Grundgesetz bekennen.
Nach Einschätzung des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in einem veröffentlichten Eckpunktepapier sind die „offenen Gesellschaften des Westens … bedroht wie lange nicht mehr“. Da die Gestaltung und Förderung der Demokratie aber nicht nur eine staatliche Aufgabe sei, sollen mit dem Demokratiefördergesetz zukünftig auch zivile Projekte im Bereich der „Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention“ dauerhaft finanziell unterstützt werden. Bisher bekamen die Vereine ihre Mittel nur für eine einzelne Legislaturperiode zugesichert.
Was die beiden Ministerien konkret darunter verstehen, wird in einem Diskussionspapier dargestellt: In den vergangenen Jahren habe „insbesondere die rechtsextremistische Bedrohung immer weiter zugenommen. (…) Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind (…) ein Angriff auf unser gesellschaftliches Miteinander wie Antiziganismus, Islam- und Muslimfeindlichkeit, Antifeminismus, Queerfeindlichkeit und weitere Ideologien der Ungleichwertigkeit sowie Diskriminierungen.“ Linksextremismus, aggressiver und offen rechtswidriger Öko-Aktivismus oder muslimischer Terrorismus werden als beispielhafte Themenfelder hingegen nicht aufgeführt. Derartige Bedrohungen gefährden die demokratische Grundordnung und das gesellschaftliche Miteinander nach Ansicht der federführenden Bundesministerien offenbar nicht. Darüber hinaus wird jedoch über „neue Herausforderungen durch die Corona-Pandemie“ berichtet, wobei hierunter nicht die für ein demokratisches Staatswesen bislang unvorstellbaren massiven und dauerhaften Grundrechtseinschränkungen gemeint sind, die weitgehend am Parlament vorbei durch verfassungsmäßig nicht vorgesehene Exekutivorgane beschlossen wurden, sondern die „Verbreitung von Verschwörungstheorien“ sowie die „sich zunehmend radikalisierende Szene gegen die öffentlichen Corona-Maßnahmen“, die „neue Bündnisse zwischen radikalisierten Milieus schafft, aber auch Haß und Hetze im Internet sowie multiple Diskriminierungen“ hervorbringt.
Die durch die Ministerien ausgewählten möglicherweise die Demokratie bedrohenden Themenfelder zeigen offenkundig, daß das Demokratiefördergesetz nicht auf die neutrale Förderung allgemeiner demokratischer Werte und die Stärkung des hierfür erforderlichen institutionellen Grundverständnisses abzielt, sondern einseitige parteipolitische Wertvorstellungen verbreiten soll. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der – nach massiver Kritik und wohl nur zähneknirschend hingenommenen – Versuche, die inhaltliche Ausgewogenheit in dem Ende letzten Jahres beschlossenen Kabinettsentwurf zu stärken. Zwar wird dort an verschiedenen Stellen die Bekämpfung „jeder Form von Extremismus“ betont und nunmehr sogar der „islamische Extremismus und Linksextremismus“ nicht mehr verschwiegen. Aufgrund der Historie ist gleichwohl fragwürdig, daß die federführenden Bundesministerien plötzlich den Wert politischer Neutralität für sich erkannt haben. Dies gilt namentlich für das für die Mittelvergabe vorgesehene Bundesfamilienministerium, dessen Leitung die für ihre identitätspolitischen Vorstöße bekannte – und daher auch als „Ministerin für Wokeness“ bezeichnete – Lisa Paus (Grüne) innehat. Es dürfte sich um rein sprachliche Änderungen zur Beschwichtigung von Kritikern handeln, ohne dabei inhaltlich von dem eigentlichen Ziel abzurücken: einseitiger Förderung links-grüner Weltanschauungen, die die Gesellschaft bunter, diverser und genderfluider machen will. Der dahinterstehende Zweck ist offensichtlich: Woke Ideologie soll zukünftig nicht mehr nur von staatlichen Behörden propagiert, sondern massiv durch Staatsgelder bis weit in die letzten privaten Schutzräume der Gesellschaft getragen werden. Der Bevölkerung soll über die vom grünen Bundesfamilienministerium sorgsam ausgewählten zivilgesellschaftlichen Akteure auch mit Unterstützung privater Beteiligter der Eindruck vermittelt werden, daß links-identitäre Weltanschauungen in diesem Land auch im zivilgesellschaftlichen Bereich vorherrschen und davon abweichende Ansichten nicht nur moralisch abzulehnen, sondern sogar demokratiegefährdend sind. Ein derart absolutistisches, auf die totale Meinungs- und Deutungshoheit abzielendes Ansinnen hat jedoch mit der bewußt suggestiv gebrauchten Formulierung „Demokratieförderung“ wenig gemein. Sie zielt im besten Orwellschen Neusprech auf deren Abschaffung.
In einer Demokratie vollzieht sich – entgegen den Absichten des Demokratiefördergesetzes – die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin. Im diametralen Widerspruch zu dem von den Grünen immer offensiver praktizierten, moralisierenden und das Volk erziehenden Politikansatz verlangt das Grundgesetz damit eine Willensbildung „von unten nach oben“, die der staatlichen Einflußnahme enge Grenzen setzt. Dieser als staatliches Neutralitätsgebot bezeichnete Grundsatz darf insbesondere nicht dadurch umgangen werden, daß einzelne Bundesministerien die von ihnen für richtig gehaltenen Ideologien zukünftig über ihnen nahestehende „zivilgesellschaftliche Akteure“ verbreiten lassen.
Der in grün-elitären Politikerblasen vorherrschende Kulturkampf vergißt, daß eine stabile und funktionstüchtige Demokratie nur dann dauerhaft erfolgreich sein wird, wenn sich die Bevölkerung mit der von ihr gewählten Regierung – jedenfalls im großen und ganzen – identifiziert. Hierzu gehört neben einem grundsätzlichen Vertrauen in den Staat ein Minimum eines „Wir-Gefühls“. Politische Entscheidungen werden andernfalls nicht als Ausdruck kollektiver Selbstbestimmung, sondern als aufgezwungene Fremdherrschaft empfunden. Weder Vertrauen noch Identifikation entstehen jedoch von selbst, sondern müssen verdient werden, was aber primär eine staatliche Aufgabe darstellt. Diese ist in erster Linie durch die Regierung selbst wahrzunehmen und weniger durch vom Staat ausgewählte und finanziell von ihm geförderte private Organisationen.
Zu den Aufgaben einer Bundesregierung zählt unstreitig zwar auch das Betreiben einer Öffentlichkeitsarbeit, in der sie der Bevölkerung ihre politischen Ziele und Vorhaben erklärt und versucht, ihr diese bestmöglich verständlich zu machen. Eine fundierte, ausgewogene und die Entscheidungen der Regierung inhaltlich erläuternde Informationspolitik kann für diese Zwecke also äußerst dienlich sein. Dafür kann sie sich in gewissen Umfang auch der Mithilfe privater Organisationen bedienen. Im Rahmen einer an demokratischen Grundsätzen orientierten Öffentlichkeitsarbeit der Regierung kommt dem Staat aber lediglich die Rolle zu, nüchtern die Fakten zu beschreiben und ausgewogene Informationen zu geben, damit sich jeder Bürger auf der so verbreiteten objektiven Tatsachengrundlage seine eigene Meinung bilden kann. Ein freiheitlich-demokratischer Staat hat dabei die Freiheit des einzelnen zu gewährleisten. Er hat danach die Funktion, die Selbstbestimmung des Volkes zu garantieren, und ihm nicht ein ideologisches Weltbild aufzudrängen, das mit dem Mehrheitswillen der Bevölkerung nicht konform geht. Würde die Regierung ihre politische und mediale Macht mißbrauchen, um ihre ideologischen Überzeugungen unter Zuhilfenahme privater Organisationen weiter zu zementieren, wäre dies nicht nur unvereinbar mit dem freiheitlich-demokratischen Neutralitätsprinzip, sondern würde auch das ohnehin schon stark geschwundene Vertrauen großer Teile der Bevölkerung in den Staat und dessen Repräsentanten weiter beschleunigen.
Es muß daher sichergestellt werden, daß das „Demokratiefördergesetz“ – sofern man es überhaupt für erforderlich hält – nicht für parteipolitische Zwecke mißbraucht, sondern zur Stärkung und Förderung eines institutionellen, demokratischen Grundverständnisses eingesetzt wird. Wie ernst es den rot-grünen Bundesministerinnen dabei ist, wird sich trotz der sprachlich um mehr politische Neutralität bemühenden Formulierungen im Entwurf des Demokratiefördergesetzes erst noch zeigen. Die eingangs erwähnte Extremismusklausel wäre ein Minimalkonsens dafür, wird jedoch von Familienministerin Paus als nicht erforderlich angesehen. Die ohnehin schon enge Verbindung links-grüner Parteifunktionäre zu privaten, aktivistischen Organisationen darf mit staatlichen Geldern nicht weiter vertieft und zum gegenseitigen Nutzen dauerhaft institutionalisiert werden. Denn das in einer Demokratie vorausgesetzte Recht auf freie Meinungsbildung würde unter diesen Bedingungen zu einem ideologisch geprägten Indoktrinierungsprogramm verkommen. Darin würde der öffentliche und private Meinungsbildungsprozeß entgegen verfassungsrechtlichen Vorgaben in immer größerem Umfang zu dem Zweck mißbraucht, die Ansichten der Bürger in die von Regierungsparteien als „richtig“ angesehene, woke Weltsicht zu lenken.
Das geeignetste und naheliegendste Mittel für eine Stärkung beziehungsweise Zurückgewinnung des Vertrauens der Bevölkerung in eine freiheitlich-demokratische Grundordnung wäre eine an den Interessen, Sorgen und Nöten der Bürger ausgerichtete Politik, die ideologiefrei unter Beachtung des Gemeinwohls Entscheidungen trifft und diese transparent kommuniziert. All dies hat die Regierung jedoch selbst in der Hand. Kein Geld der Welt – insbesondere nicht solches, das dem Staat treuhänderisch von seinen Bürgern überlassen wurde – vermag das durch ein gegen die mehrheitlichen Interessen der Bevölkerung gerichtetes Regierungshandeln verlorengegangene Vertrauen wieder zurückzugewinnen, indem ausgesuchte Organisationen die Handlungen und Maßnahmen der Regierung loben und regierungskritische Ansichten als undemokratisch diffamieren. Denn es sind nicht mit staatlichen Geldern erkaufte Worte, Maßnahmen und Aktionen Dritter, die mehr Vertrauen in die demokratischen Volksvertreter schaffen, sondern kompetentes und konsequent am Willen der Bevölkerung ausgerichtetes Handeln der Regierung.
Dr. André Kruschke, Jahrgang 1980, ist Rechtsanwalt. Er veröffentlicht regelmäßig zu aktuellen verfassungsrechtlichen Themen, unter anderem in der Neuen Juristischen Online Zeitschrift im Verlag C.H. Beck.