© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/23 / 24. März 2023

Grenzgänger zwischen Ost und West
Vaterland und Muttersprache: Nachruf auf den rumäniendeutschen Schriftsteller Richard Wagner
Felix Dirsch

Wer Richard Wagner heißt, dürfte nicht nur einmal im Leben Probleme mit seiner Namensidentität gehabt haben. Dies gilt um so mehr, wenn er als Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien aufgewachsen ist. Die harten Repressionen des kommunistischen Staatsapparats bestimmten die jungen Jahre Wagners. Auch nach der Ausreise nach Westdeutschland 1987 – zusammen mit seiner damaligen Ehefrau, der späteren Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller – war ihm das Schicksal nicht sehr gewogen: Neben einem Krebsleiden machte ihm Morbus Parkinson zu schaffen. An den Folgen dieser Krankheit ist der 70jährige in der vorigen Woche verstorben.

Solche biographischen Hintergründe plausibilisieren die daseinsbewältigende Kraft des Schreibens für den Lyriker, Romanautor und Essayisten aus dem Banat. Exemplarisch wird dies anhand des 2015 erschienenen Romans „Herr Parkinson“ deutlich. Der Text schafft es auf beeindruckende Weise, die Krankheit zu enttabuisieren und die Innenwelt eines Betroffenen auszuleuchten. 

Er feuerte Breitseiten gegen die 68er-Ideologie

Schon als Student und junger Verfasser von Lyrik und Kurzprosa engagierte sich Wagner in literarischen Zirkeln wie der Aktionsgruppe Banat, die bald vom Geheimdienst Securitate zerschlagen wurde. Wagner weigerte sich, Vorgaben seitens des Parteiapparats umzusetzen. Deshalb verlor er seine Anstellung als Deutschlehrer.

Aus den Erlebnissen während des Ceaușescu-Regimes speist sich ein weiterer Antrieb der Dichtung Wagners: die erinnerungsbewahrende Kraft der Literatur. Zu seinen wichtigen Romanen, neben „Miss Bukarest“ und „Das reiche Mädchen“, gehört „Habseligkeiten“ (2004). Anläßlich der Beerdigung seines Vaters in der „alten Heimat“ Banat reflektiert der Protagonist Werner Zillich darin die Geschichte seiner Familie. Die Hauptfigur schlägt den Bogen von den Mühen der ersten Generation der „Neusiedler“ im 18. Jahrhundert über die Zeit des Zweiten Weltkrieges und des Kommunismus in Rumänien bis zu seiner Übersiedelung nach Deutschland. Tod, Kriegsgefangenschaft und Gulag-Erfahrungen bleiben in der fiktiven Rückschau nicht ausgespart. Die Gegenwart, das bundesdeutsche vermeintliche Paradies, wird als eines entlarvt, das keines ist. Auch persönliche Schwierigkeiten, etwa die Entfremdung des geschiedenen Zillich von seiner Tochter und die Beziehung zu der Prostituierten Clara, kommen zum Vorschein. Mit dieser landet der Protagonist, wenig glaubwürdig, auf den Seychellen.

In Wagners Bestreben, wirkliche Erlebnisse in fiktionaler Form ins historische Kollektivgedächtnis zu transformieren, zeigen sich Parallelen zum Bestreben seiner Ex-Frau Herta Müller. In ihrem Roman „Atemschaukel“ erzählt die Autorin nach dem authentischen Vorbild des Dichters Oskar Pastior am Beispiel des Protagonisten die Leiden von rund 60.000 rumäniendeutschen Zwangsarbeitern, die am Ende des Zweiten Weltkrieges in russische Lager verschleppt wurden.

Aus seinem lyrischen Werk hervorzuheben sind die Gedichtbände „Hotel California 1“ und „ Hotel California 2“ (1980/81). Zu entdecken sind in und zwischen den Zeilen Spuren von nie ausgesprochener Angst vor unterdrückender Gewalt, verdeckter und offener Machtausübung. Man hat hierbei von einer „Reise, die diese Wunden des Alltags weit aufreißt, vertieft und bis zu einer Intensität vorstößt“ (Robert Elekes) gesprochen. Die Tiefenbohrungen sind beeindruckend.

In den letzten eineinhalb Jahrzehnten hat sich Wagner nicht zuletzt mit Anmerkungen zum Zeitgeschehen hervorgetan. Die Schrift „Es reicht. Gegen den Ausverkauf unserer Werte“ (2008) setzt sich mit der in Deutschland verbreiteten Unfähigkeit auseinander, die eigenen geistig-normativen Fundamente zu verteidigen: Mit Verve beruft er sich auf Meinungsfreiheit, Bürgerrecht, Bildung und Verfassungstreue sowie auf die Gleichberechtigung der Geschlechter. Breitseiten feuert er auf die 68er-Ideologie ab, die das Eigene mißachtet, ebenso auf die Spaßgesellschaft und die im bundesdeutschen Establishment verbreitete Tendenz, die Gefahren der Islamisierung kleinzureden.

Zu den Perlen aus Wagners Schrifttum zählt die gemeinsam mit der Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin Thea Dorn verfaßte Darstellung „Die deutsche Seele“ (2011). Die Annäherung an die Frage „Was ist deutsch?“ wird mittels zentraler lexikalischer Stichworte aus deutscher Geschichte und Gegenwart erreicht. Mit Vergnügen liest man Lemmata wie Abendbrot, Abgrund, Weib, Winnetou, Waldeinsamkeit und Kulturnation, kurz: eine Fundgrube findet derjenige, der sich in deutsche Wesensart vertiefen will. Wagners Artikel „Heimat“ endet euphorisch: „Heimat ist eines der schönsten Wörter der deutschen Sprache.“

Der Grenzgänger zwischen Ost und West wußte um seine Bedeutung für die Literatur: Er sah sich selbst als Vertreter der letzten deutschsprachigen Schriftstellergeneration in Rumänen. Die Zahl der Brückenbauer ist mittlerweile klein geworden.