Bankenkrisen sind wie alte Ketchupflaschen: Lange kommt nichts, doch plötzlich schießt fast alles auf einmal herraus. Die Schwierigkeiten des Bankensektors infolge der Zinserhöhungen bleiben nicht auf die USA beschränkt. Nach jahrelangen Niedrigzinsen verlangt die US-Fed nun 4,5 bis 4,74 Prozent, die EZB 3,5 Prozent. Der nächste Rettungseinsatz war daher jetzt bei der zweitgrößten Schweizer Bank, dem global tätigen Finanzdienstleister Credit Suisse (CS), fällig. Eine zunächst gewährte Kreditlinie von 50 Milliarden Franken durch die Schweizerische Nationalbank (SNB), besichert durch Aktiva hoher Qualität, erwies sich als unzureichend. Über das Wochenende arrangierten die SNB und die Schweizer Regierung eine Übernahme der CS durch den größeren Zürcher Konkurrenten UBS.
Die CS, ursprünglich 1856 als Schweizerische Kreditanstalt (SKA) zur Eisenbahnfinanzierung gegründet, war eine feste Institution und ein Aushängeschild des legendären Finanzplatzes Schweiz. Schon früh international vernetzt und mit Banklizenz in den USA ausgestattet, zählte die CS – mit Konzernriesen wie JP Morgan Chase, Citigroup, HSBC, Barcleys, BNP Paribas, der Deutschen Bank und der UBS – laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zu den 30 systemrelevanten Banken der Welt. Doch die CS war angeschlagen. Vorausgegangen war eine Verkettung gleich mehrerer teurer Fehlentscheidungen. Beim Zusammenbruch des Anlagevehikels Archegos des US-Koreaners Bill Hwang im März 2021 erlitt die CS einen Verlust von 5,5 Milliarden Dollar auf ein Geschäft im Volumen von 20 Milliarden.
Zahlreiche Skandale und ein zunehmender Vertrauensverlust
Der Zusammenbruch der Factoringfirma Greensill Capital verursachte einen Verlust von zehn Milliarden Dollar. 2016 schrieb die CS 3,8 Milliarden Franken für den Kauf der Investmentbank Donaldson, Lufkin & Jenrette im Jahr 2000 ab. Diverse andere Skandale hatten zwar finanziell keine größeren Auswirkungen, schadeten aber dem Vertrauen von Kunden und Anlegern. Mehrere ehemalige Führungskräfte waren nach ihrem Abgang überwacht worden – CS-Vorstandschef Tidjane Thiam mußte 2020 nach fünf Jahren den Hut nehmen. In Hongkong hatte die CS Familienmitgliedern von KP-Funktionären Arbeitsplätze angeboten, um an Geschäfte in China zu kommen. Die Fälle von Beihilfe zu Geldwäsche oder Steuerhinterziehung sind zu zahlreich, um sie aufzuzählen.
Nur Pips Bunce, genderfluide IT-Direktorin in England, brachte der CS positive Boulevard-Schlagzeilen, da sie als „inspirierendes Vorbild“ den „British Diversity Award 2022“ erhielt. Dies konnte aber nicht verdecken, daß die CS ein Sanierungsfall war. Eine Kapitalerhöhung über vier Milliarden Franken verschaffte 2022 eine Verschnaufpause und holte die Saudi National Bank mit 9,8 Prozent der Anteile ins Boot. Katar verdoppelte seinen Anteil auf 6,8 Prozent. Doch die Kunden sprangen weiterhin ab und die CS mußte sich gesundschrumpfen: Die Bilanzsumme reduzierte sich zwischen Ende 2020 und 2022 von 819 auf 531 Milliarden Franken.
Der Schrumpfprozeß brachte allerdings keine Gesundung. Als dann die durch die Zinserhöhungen der US-Zentralbank Fed ausgelöste Liquiditätskrise zur Schließung von zwei US-Banken (JF 12/23) und der Rettung der First Republic Bank durch ein Bankenkonsortium führte, nahmen auch in Europa die Sorgen um das Problemkind CS zu. In den Tagen vor der Rettung explodierten die Kosten für Kreditversicherungen (CDS). Mehr als zehn Prozent kostete die Prämie für eine fünfjährige Laufzeit. Für die Deutsche Bank kostete eine vergleichbare Kreditversicherung nur 1,6 Prozent, für den späteren Käufer UBS ähnlich viel.
Über das Wochenende wurde dann die Zwangsfusion mit dem Hauptkonkurrenten UBS von der SNB arrangiert. Beide Banken wollten die Fusion nicht: Die CS sträubte sich gegen den niedrigen Kaufpreis, die UBS wollte keine unabsehbaren Risiken übernehmen. Abschreckendes Beispiel sind die Zwangsehen von 2008: Die Bank of America brauchte wegen der Übernahme von Merrill Lynch ein Rettungspaket in Höhe von 150 Milliarden Dollar. Der Kaufvertrag verdeutlicht, daß UBS am längeren Hebel saß: Sollten die Kreditversicherungen für die UBS um mehr als ein Prozent steigen, darf die Bank aus dem Vertrag aussteigen. Es ist das erste Mal, daß eine derartige Ausstiegsklausel bei einer Bankenfusion ausgehandelt wurde.
Die SNB und die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) machten eine denkbar schlechte Figur. Kritiker sprechen von Behördenfehlern in Lehman-Brothers-Dimensionen. Denn auf der einen Seite bekommen die CS-Aktionäre UBS-Aktien im Wert von 3,3 Milliarden Franken. Doch gleichzeitig wurden Anleihen im Wert von 16 Milliarden Franken annulliert. Diese AT1-Anleihen, die nach der Finanzkrise zur Stärkung des Eigenkapitals der Banken eingeführt wurden, werden bei einer Insolvenz komplett abgeschrieben, damit keine staatlichen Rettungsgelder zum Einsatz kommen müssen. Allerdings weisen die Emissionsbedingungen dieser Papiere ausdrücklich darauf hin, daß Aktienkapital in der Rangordnung zuerst abgeschrieben wird. Und genau das geschah nicht, denn den Aktionären bleibt ein Wert von 3,3 Milliarden erhalten.
Ist der legendäre Finanzplatz Schweiz langfristig ruiniert?
Bei einer juristisch korrekten Abwicklung hätten das Aktienkapital abgeschrieben werden und die 3,3 Milliarden Franken hätten den AT1-Haltern zufließen müssen, die statt eines Totalverlusts über 20 Prozent ihrer Anlagesumme zurückbekommen hätten. Die AT1-Regeländerung stellt einen staatlich angeordneten Vertragsbruch dar und brachte prompt ihren gesamten Markt in Höhe von 275 Milliarden Euro durcheinander. Anleihen fielen um zehn Prozent, wodurch die Kosten für europäische Banken, neues Eigenkapital zu beschaffen, mitten in einer Bankenkrise um ein Zehntel stiegen. Zu Recht heftig kritisiert wurden die Schweizer Behörden von der Bank von England und der EZB, die klarstellten, daß AT1-Anleihen in der EU und Großbritannien nicht wie in der Schweiz behandelt würden.
Es wird daher zu langwierigen Prozessen kommen. Im Fall der Schließung der holländischen Bank SNS im Jahr 2013 wird heute noch prozessiert – es geht ebenfalls um AT1-Anleihen. Auch die Aktionäre sind sauer, denn Gesetze sollen geändert werden, um auf die Abstimmung der Hauptversammlungen verzichten zu können. Frustrierte Anleger meckern, Europa mache sich über Diktaturen lustig, ändere aber nach Gutdünken Gesetze. Die Schweiz hat durch den ungeschickten Rettungseinsatz ihren Ruf als soliden Finanzplatz ordentlich lädiert – mit Langzeitfolgen.
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