© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/23 / 24. März 2023

Deindustrialisierung ist für deutsche Klimapaniker kein Schreckgespenst
Weg mit der Chemie
Jörg Fischer

Hoesung Lee verlangt eine „sofortige Verringerung der Treibhausgasemissionen in allen Sektoren noch in diesem Jahrzehnt“. Ansonsten drohen laut dem jüngsten Synthesebericht des Weltklimarats (IPCC) eine Erwärmung von zwei bis drei Grad und ein Meeresspiegelanstieg von 40 bis 81 Zentimeter bis Ende des Jahrhunderts. In seiner südkoreanischen Heimat werden die Mahnungen des IPCC-Chefs allerdings nicht so ernst genommen, liegen doch die dortigen CO2-Emissionen pro Kopf mit 11,9 Tonnen auf dem Niveau Rußlands – Deutschland ist mit 8,1 Tonnen nur etwa halb so „schlimm“ wie die USA.

Dennoch soll Deutschland in einigen Branchen faktisch deindustrialisiert werden – und Monika Schnitzer, Sylwia Białek und Claudia Schaffranka sehen darin auch „keinen Grund zur Panik“, denn die derzeitige Energiekrise beschleunige nur den „ohnehin anstehenden Strukturwandel“, schreiben sie in einem Beitrag in einem 28seitigen Diskussionspapier über die „Deindustrialisierung“ (Ifo Schnelldienst 3/23). „Ein Verlust einzelner industrieller Aktivitäten und der damit verbundene Verlust von Arbeitsplätzen“ sei „nicht notwendigerweise mit Wohlfahrtseinbußen verbunden“, so die drei Ökonominnen von Robert Habecks Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. „Energieeffiziente Unternehmen werden zu den Gewinnern gehören“, andere würden eben aus dem Markt ausscheiden. Die Firmen-Abwanderung ins Ausland könne nicht verhindert werden.

Konkreter ist Steffen Müller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle: Ohne Pipelinegas aus Rußland werde der Wettbewerbsnachteil der Chemieindustrie gegenüber der amerikanischen Konkurrenz „von Dauer sein“. Die Branche zahlt aber mit durchschnittlich über 5.000 Euro Spitzenlöhne – hier kann sich ein Arbeiter Auto, Eigenheim und Fernreise noch leisten. Doch in dieser Industrie werde „Deutschland über kurz oder lang Produktion verlieren und gasintensive Güter aus dem Ausland zukaufen“ – und der „Staat sollte diesen Strukturwandel zulassen“. Ähnliches gilt für die Autobranche. Aber es gibt auch Hoffnungsschimmer: Der Maschinenbau und die Elektrotechnik lieferten „die Technologien, die für eine klimaverträglichere Zukunft benötigt werden“, glaubt Eric Heymann, Senior Economist bei Deutsche Bank Research.