© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/23 / 24. März 2023

Das Tabu
Impfnebenwirkungen: Berichte über Schädigungen häufen sich. Besonders junge Menschen sind unverhältnismäßig stark betroffen. Politik und Medien arbeiten die Corona-Jahre kaum auf
Mathias Pellack

Die Masken sind weg, Besuchsverbote für Ungeimpfte ausgesetzt, und der öffentliche Druck, sich zu impfen, hat nachgelassen. Nur die Impfgeschädigten lassen nicht locker. 

Die einst vielzitierte 7-Tage-Inzidenz steht bei 47 und wird kaum mehr beachtet. Die Impfquote gegen Corona verharrt seit Monaten bei etwas mehr als drei Viertel der Deutschen. Auch die Ständige Impfkommission (Stiko) nimmt Fahrt aus dem katastrophalen Rennen, das die Menschen in weiten Teilen der Welt gegen ein Virus unternommen hatten. Von der Europäische Arzneimittel Agentur (EMA) zugelassene Covid-Medikamente wie monoklonale Antikörper mit dem Markennamen Evusheld von dem britischen Konzern AstraZeneca seien in der „Wirksamkeit (…) unter den aktuell zirkulierenden Sublinien der Omikron-Virusvariante stark reduziert bis nicht mehr vorhanden“, und die neue französisch-britische Vakzine VidPrevtyn Beta sei „für die Covid-19-Auffrischimpfung in Deutschland derzeit nicht zu empfehlen“, heißt es bei der Stiko. Ist die Pandemie vorbei? Viele Bürger sind noch immer mit den Folgen einer Infektion oder den Nebenwirkungen der Impfungen beschäftigt. 

Dabei war eigentlich zu erwarten, daß die Stiko ihre allgemeine Covid-19-Impfempfehlung an alle Personen ab zwölf Jahren, sich mindestens dreimal impfen zu lassen, angesichts der verhältnismäßig vielen Nebenwirkungen zurückfährt. Medizinisches Personal und Menschen mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf sollen sich sogar viermal spritzen lassen. 19,2 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen pro 10.000 Impfungen in Deutschland wurden dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) berichtet. Insgesamt 333.492 Fälle und 50.833mal verzeichnet das PEI bis Oktober 2022 einen Verdacht auf schwerwiegende Nebenwirkungen. 

Die häufigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen sind absolut gesehen nach wie vor Herzentzündungen, die das PEI in der Gesamtbevölkerung trotzdem als „sehr selten“ einstuft (Myokarditis und Perikarditis; siehe auch JF47/21). Auch neue Fälle von Luftnot, unregelmäßigen Herzschlägen, Kreislaufschwierigkeiten, Druck auf der Brust bei Belastung oder Gesichtslähmungen kommen immer wieder dazu. In über 20.000 Fällen berichten Frauen von Zyklusstörungen. Das PEI zählt diese aber nicht als schwerwiegend, da sie nicht lebensbedrohend für die Frauen sind. Insgesamt hat das Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit laut jüngsten Angaben (Ende Juni 2022) 3.023 Verdachtsfälle tödlicher Nebenwirkungen gesammelt. 

Sogar Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte vergangene Woche eine für Impfungen verhältnismäßig hohe Zahl von schweren Nebenwirkungen auf Basis der offiziellen Zahlen des PEI eingeräumt. „Weniger als 1 zu 10.000“ sei das Verhältnis von teils dauerhaften Schädigungen zu Injektionen, sagte er dem ZDF. Das ist deutlich näher an der Wahrheit von „2,9 pro 10.000 Impfdosen für schwerwiegende Einzelfallmeldungen“ im jüngsten PEI-Sicherheitsbericht vom Dezember 2022 als die Aussage, mit der der Minister zuvor warb: Die Spritzen seien „nebenwirkungsfrei“. Sein Ministerium hatte schon im Juni 2022 von 1 : 5.000 geschrieben. Der Ministeriums-Tweet wurde aber ohne Erklärung gelöscht.

Island meldet die vierfache Zahl von Impfnebenwirkungen

Die Daten sind indes nach wie vor unvollständig. Experten kritisieren, daß Ärzte zwar offiziell verpflichtet sind, alle schwerwiegenden Nebenwirkungen zu melden, doch die Prozedur dauere 20 bis 30 Minuten und werde nicht finanziell entschädigt. Die Anreize seien zu gering, klagen Ärztevertreter. Da lohnt ein Blick auf das übrige Europa. Vergleicht man alle innerhalb der EU gemeldeten Nebenwirkungen mit den deutschen, zeigt sich schon hier ein kleines Defizit. Sämtliche EU-Länder berichten laut der Europäischen Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen im Schnitt von 20,1 Verdachtsfällen von Impfnebenwirkungen. Die deutschen 17,9 wären noch durch verschiedene Effekte wie ein unterschiedliches Alter der Bevölkerung oder den Einsatz anderer Impfstoffe zu erklären. Augenfällig wird die Schwäche des hiesigen Systems erst bei einem Vergleich mit den führenden der Liste.

Die nordischen Staaten sind berühmt für ihr starkes Gesundheitssystem. Dänemark, Finnland, Island, Schweden und Norwegen haben 2005 begonnen ihre Gesundheitsdatenbanken untereinander vergleichbar zu machen. Heute können die Staaten auch seltenste Erkrankungen verfolgen und so deren Ursachen entdecken. So waren es auch Norwegen, Schweden und Dänemark, die bereits am 11. März 2021 den Einsatz der AstraZeneca-Impfung stoppten, nur einen Monat nachdem der Impfstoff das erste Mal im Land eingesetzt worden war.

Die drei berichten heute die doppelte Anzahl von Verdachtsfällen. Das mit seinen 364.134 Einwohnern übersichtliche Island meldet sogar einen mehr als vierfachen Wert. Auch wenn Island bei näherer Betrachtung eine recht hohe Rate an Nebenwirkungen von AstraZeneca und Johnson aufweist, müßten derartige Ergebnisse die deutsche Stiko und das PEI zu Nachforschungen antreiben. Bestenfalls stehen an deren Ende eine erhöhte Glaubwürdigkeit und ein verbessertes Sicherheitsgefühl der impfwilligen Bürger.

Dabei ist schon lange klar, daß hier einiges im argen liegt. So hatte der ehemalige Vorstand der Krankenkasse BKK pro vita Andreas Schöfbeck Ende Februar 2022 Corona-Nebenwirkungen aus den Patientendaten analysiert. Methodisch unsauber und unter Umgehung des üblichen Verfahrenswegs konfrontierte er damit das PEI, die Stiko, die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und den BKK-Dachverband. „In unseren Augen liegt eine erhebliche Untererfassung der Impfnebenwirkungen vor. Es ist ein wichtiges Anliegen, die Ursachen hierfür kurzfristig auszumachen“, schrieb Schöfbeck, dessen Funktion als Vorstand die BBK am 1. März fristlos beendete. 

Virchowbund-Chef Dirk Heinrich reagierte mit dem Vorwurf „undifferenzierte Schwurbelei“, die „ganz offensichtlich in das Markenimage der Kasse passe, die mit Homöopathie und Osteopathie als Satzungsleistungen wirbt“. Der Virchowbund weist darauf hin, daß der unter anderem bei der Auswertung genutzte Code „U12.9“ für unerwünschte, nicht näher bezeichnete Nebenwirkungen die gesamte Bandbreite erwartbarer, milder und vorübergehender Folgen einer Impfung umfasse. Dies sei nicht generell meldepflichtig. Doch auch diese Daten hätte man reinigen, aufbereiten und weiternutzen können. Schließlich waren laut Schöfbeck etwa „vier bis fünf Prozent der Geimpften wegen Impfnebenwirkungen in ärztlicher Behandlung“. Keine der von Schöfbeck angeschriebenen Stellen machte sich die Mühe, eine Richtigstellung zu verfassen. Zurück bleiben die Menschen, die nun tatsächlich Impfnebenwirkungen haben.

Besonders für junge Menschen ist eine Impfung eher ein Glückspiel

„Einiges davon wird permanent sein“, erklärt Karl Lauterbach. Die Schicksale seien „bestürzend“. Medikamente zur Behandlung der Impfgeschädigten (Post-Vac-Patienten) habe man noch nicht gefunden. Daran werde geforscht. Krankenkassen zahlen für die Behandlung und die Bundesländer kommen für die Versorgungskosten auf. Doch ist es immer noch sehr schwierig, die offizielle Anerkennung für einen Impfschaden zu erhalten. Es gibt nur wenige spezialisierte Kliniken, etwa in Marburg. Diese sind hoffnungslos überlaufen. Die Wartezeit beträgt etwa ein Dreivierteljahr.

Ohne eine ärztliche Bestätigung bekommt niemand eine Entschädigungszahlung. Den gängigen Weg, die Nebenwirkungen als Impfschaden zu beanstanden, haben bisher über 6.000 Deutsche eingeschlagen. Bis Ende Juli 2022 gingen in 13 der 16 Bundesländer 3.648 Anträge ein. Schleswig-Holstein und das Saarland beantworteten eine diesbezügliche Anfrage der JUNGEN FREIHEIT nicht. Das Gesundheitsministerium von Rheinland-Pfalz antwortete: „Das Land zahlt keinen Schadensersatz wegen Nebenwirkungen durch eine Corona-Impfung.“ Die übrigen Länder bewilligten bis dahin 69 bis 72 Anträge (Hamburg nannte aus Datenschutzgründen nur eine Spanne zwischen eins und vier). Abgelehnt hatten die Länder 493 Anträge – also etwas mehr als das Siebenfache. Ende Januar lagen laut der Welt am Sonntag noch 3.968 Anträge bei den Ländern in Bearbeitung. 253 Anträge wurden inzwischen bewilligt. 1.808 Anträge haben die Länder abgelehnt. Eine Entschädigung zu erhalten stellt sich für die Betroffenen als ein hürdenbewehrter Marathonlauf dar.

Bleibt nur die Frage, ob die Impfungen schlimmer sind als eine Erkrankung mit Corona. 2,9 : 10.000 sind bedeutend mehr schwere Nebenwirkungen pro Injektion als bei der Masernimpfung mit 2 zu 100.000. Zumal ein Masernimpfschutz bereits bei zwei Impfdosen vollständig ist. Auch im Verhältnis zur gängigen Grippeimpfung mit 1 : 1 Millionen Nebenwirkungen steht die Corona-Impfung, egal bei welchem der bisher zugelassenen Impfstoffe, schlecht da.

Doch die Zahl und Schwere der Impfnebenwirkungen der Corona-Impfungen verteilten sich ebenso ungleich wie die Krankheitslast von Covid-19. Junge Menschen ohne Vorerkrankungen laufen viel eher Gefahr, einen Impfschaden zu erleiden, als ältere Menschen. So stellen Ärzte die eingangs erwähnten Herzerkrankungen besonders bei Männern im Alter von 12 bis 25 fest. Eine israelische Studie (Mevorach et al. 2021) ermittelte allein für diese Nebenwirkungen 15,1 Fälle pro 100.000 Zweitimpfungnen unter 16- bis 19jährigen. Andere kommen noch hinzu. Eine italienische Studie (Laganà et al. 2022) belegt, daß die Impfung bei 60 bis 70 Prozent der Frauen eine Zyklusunregelmäßigkeit hervorruft. Bei wenigen Prozent der Frauen hielt die Störung über ein Jahr an. Eine Folge, die nicht als schwerwiegend, da nicht lebensbedrohlich eingeschätzt wird, aber die psychische Gesundheit bei Frauen mit Kinderwunsch stark einschränken kann. Die Meldung hatten zu 94,5 Prozent die Betroffenen selbst gemacht.

Auch durch die Corona-Infektion sind allerdings eine Vielzahl von unter anderem langandauernden Nebenwirkungen beschrieben, eben auch Zyklusstörungen bei Frauen oder Herzentzündungen bei Männern. In jedem Fall besteht Forschungsbedarf, um endlich abzuklären, ob die Impfung junger Menschen ohne Vorerkrankungen tatsächlich einen gesundheitlichen Vorteil bietet.