Im niedersächsischen Munster haben ukrainische Soldaten bereits deutsche Panzer in ihren Besitz genommen. Mit kleinen Aufklebern in ihrer Sprache haben sie die deutschsprachigen Schilder an den Instrumenten überklebt. Eine Improvisation, die Generalleutnant Andreas Marlow mit einiger Erleichterung registriert hat. Denn damit ist zumindest in diesem Fall die Sprachbarriere überwunden. Ansonsten werden die Lehrinhalte auf deutsch vermittelt, um dann sowohl auf ukrainisch als auch auf russisch übersetzt zu werden.
Marlow ist Kommandeur des von der Bundeswehr geführten „Special Training Command“ der Europäischen Ausbildungsmission Ukraine (EUMAM UA) und als solcher bildet er bereits seit Mai vergangenen Jahres Soldaten des im Krieg befindlichen Landes an der Panzerhaubitze 2000, am Schützenpanzer Marder, am Raketenwerfer Mars II, an den Flugabwehrsystemen Iris-T und Patriot aus.
Inzwischen stehen auch die für ein Einsatztraining auf dem Kampfpanzer Leopard 2 nach Deutschland gekommenen Ukrainer vor dem Ende ihrer Ausbildung. Nach einem mehrwöchigen Lehrgang feuerten die Soldaten auf dem niedersächsischen Truppenübungsplatz Bergen im scharfen Schuß. Wie viele Kiew entsandt hat, wird bewußt geheimgehalten, um dem Gegner nicht zu viele Informationen zu liefern; das Training wird auch aus Angst vor russischer Spionage streng abgeschirmt.
Organisiert wird die Ausbildung vom multinationalen Special Training Command (SC-T) im brandenburgischen Strausberg. Knapp ein Drittel der Gesamtausbildung der Ukrainer erfolgt gemeinsam mit amerikanischen Ausbildungseinrichtungen in Deutschland, etwa auf dem Truppenübungsplatz im bayerischen Grafenwöhr in der Oberpfalz. Innerhalb der EU-Mission werde „die größte Zahl der komplexen Waffensysteme und Ausbildungsthemen in Deutschland geschult“, so Marlow. Die gesamte EU-Ausbildungsmission wird allerdings von einem französischen Vizeadmiral von Brüssel aus geführt.
Aktuell werden auf dem Truppenübungsplatz Munster in Niedersachsen 80 Soldaten in einer Sechs-Tage-Woche und Zwölf-Stunden-Schichten mit der komplizierten Technik des deutschen Kampfpanzers, seinen Stärken und Schwächen vertraut gemacht. Nur sechs Wochen sollen reichen, wofür die Bundeswehr sonst mit drei Monaten und länger kalkuliert. Niklas Masuhr, der am Center for Security Studies der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zu Verteidigungspolitik, Militärstrategien und zeitgenössischen Konflikten forscht, hält im Gespräch mit der „Tagesschau“ sogar noch straffere Zeitpläne für möglich: „Man geht davon aus, daß es drei bis sechs Wochen dauert, um eine Panzercrew auszubilden. Das kann man aber möglicherweise verkürzen.“
General Marlow hat da in der Praxis andere Erfahrungen gemacht: Irgendwann leide die Aufnahmefähigkeit „selbst bei den Motiviertesten unter diesem unglaublich harten Rhythmus“. Das hätten die Ukrainer einsehen müssen, als sie ihre Ausbildung an der Panzerhaubitze 2000 inklusive Gefechtsübungen mit scharfem Schuß im vergangenen Jahr von 42 Tagen, wie es die Deutschen vorgeschlagen hatten, auf 21 Tage verkürzen wollten.
Vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges wäre eine derartige Schnellausbildung undenkbar gewesen. „Eine gute Ausbildung ist das A und O, der Schlüssel zum Erfolg, denn nur mit einer guten Ausbildung werden wir im Einsatz bestehen können“, hatte da der Stellvertretende Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Johann Langenegger, noch bei einem Besuch auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz im Osten Sachsens betont.
Die Ausbildung ukrainscher Panzerbesatzungen benötige „etwa acht bis zwölf Wochen“, meinte auch der Militärexperte und Oberst im Generalstab des österreichischen Bundesheers, Markus Reisner, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Voraussetzung dabei sei, daß die Ukraine Soldaten in die Leopard-Ausbildung schicke, die bereits an ukrainischen und vormals sowjetischen Modellen ausgebildet wurden, also Erfahrung mitbringen.
Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt das Gefecht
Doch das tut die Ukraine nicht. Sie entsendet notgedrungen neben erfahrenen Frontkämpfern auch Rekruten, denen nicht nur deutsche Technik und Einsatzstrategien vollkommen unbekannt sind, sondern von denen lediglich ein Drittel Vorkenntnisse bezüglich Panzern besitzt. Ein deutscher Ausbilder im Rang eines Oberstleutnants spricht gar von lediglich 20 Prozent mit Erfahrung. Die Bundeswehr bildet also frisch eingezogene Zivilisten im Schnellverfahren zu Panzerfahrern, Richt- und Ladeschützen sowie Kommandanten aus.
Marlow lobte gegenüber der „Tagesschau“ die Rekruten als „ehrgeizig, wißbegierig und handwerklich geschickt“. Sie würden fast bis zum Umkippen üben und seien an jedem Detail der Ausbildung interessiert. Wer sich dagegen die im Internet abrufbaren Videoclips ansieht, in denen die Bundeswehr über ihre Panzerspezialgrundausbildung wirbt, bemerkt vor allem eines: Eine gute Ausbildung benötigt Zeit.
Die deutschen Ausbilder mühen sich nach Kräften, die hochmotivierten ukrainischen Kräfte „schnell und professionell auszubilden, damit diese ihr neues Gerät im Gelände sicher bewegen, um im Kampf zu bestehen“, so Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis, zur Fahrschulausbildung der Ukrainer. Zugute kommt den Ausbildern dabei, daß sie bereits tschechische Panzersoldaten, die bisher sowjetische T-72 gefahren waren, in vierwöchigen Lehrgängen auf Leopard umgeschult haben. Die Neue Zürcher Zeitung zitiert einen Bundeswehrsoldaten, der anerkennend meinte: „Nach nur sechs Wochen machen die das richtig gut.“
Die Blitzausbildung der Ukrainer erfolgt mit dem Ziel, Kiew möglichst schnell eine Gegenoffensive zur Rückeroberung der von Rußland besetzten Gebiete mit den Kampfpanzern aus deutscher Produktion zu ermöglichen. Durch das westliche Material könnten „die eigenen Verluste in einem überschaubaren Rahmen“ gehalten werden, sagt Niklas Masuhr. Hundert Kampfpanzer wären das Minimum, um eine Panzerbrigade auszurüsten, was also mindestens 400 gut ausgebildete Soldaten erfordert plus geschultes Instandsetzungspersonal.
Diese würde dann in einem Verbund mit ukrainischen Kampfpanzern sowjetischer Bauart gegen aufeinander abgestimmte russische Truppenverbände kämpfen müssen, gab Wehrexperte Waldemar Geiger im Fachmagazin Soldat und Technik zu bedenken. Er erinnerte daran, daß bei der Entwicklung des Leopards und des Marders das Prinzip des Gefechtes der verbundenen Waffen bestimmend war: Werden sie durch geschulte Besatzungen gemäß der deutschen Einsatzdoktrin genutzt, für die sie gedacht wurden, entwickeln sie den höchsten Einsatzwert. „Je größer der Anspruch an den Einsatz, desto länger die Ausbildung“, meint auch Masuhr.
Die jetztige Kurzausbildung basiert auf der Annahme, daß eine reine Bedienereinweisung in das jeweilige System vollkommen ausreicht. „Konsequentermaßen würden die ukrainischen Streitkräfte dann im laufenden Gefecht selbst herausfinden müssen, wie die jeweiligen Systeme am zweckmäßigsten eingesetzt werden, um einen möglichst hohen Einsatzwert erzielen zu können“, so Geiger. Stelle sich dann heraus, daß das Ausbildungsniveau zu gering ist, laufe die Ukraine in die Gefahr, die frisch gelieferten Systeme sofort wieder zu verlieren.
„Die Soldatinnen und Soldaten üben erst am Simulator und dann im Feld. Gekrönt wird das Ganze vom scharfen Schuß mit dem Panzer“, heißt es bei der Bundeswehr: „Am Ende der Ausbildung sollen die Soldatinnen und Soldaten ihr Waffensystem so gut beherrschen, daß sie sowohl bei Tag als auch bei Nacht kämpfen können.“ Anspruch sei es, den „ukrainischen Streitkräften eine schlagkräftige und wehrhafte Truppe zu übergeben“.
Für den Kommandeur der Panzertruppenschule in Munster, Brigadegeneral Björn Schulz, steht fest, daß die ukrainischen Soldaten durch die Ausbildung bei der Bundeswehr befähigt worden seien, „mit dem modernen Waffensystem den Feuerkampf zu führen“.
Letztlich sind die Leopard-Panzer für den Gegner hochgefährliche Angriffswaffen, wenn sie denn wie vorgesehen im Verbund mit anderen Waffengattungen operieren und von Besatzungen geführt werden, die ihr Handwerk verstehen. Denn letztlich gilt die alte Regel: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt das Gefecht.
Nationaler Sicherheitsrat wohl gestorben
In ihrem Koalitionsvertrag haben die Ampel-Parteien ein Versprechen gegeben: „Wir werden im ersten Jahr der neuen Bundesregierung eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie vorlegen“, heißt es da auf Seite 114. Die Frist zum Einlösen ist nun seit einem Vierteljahr verstrichen. Und das, obwohl Rußlands Angriff auf die Ukraine sowie die anschließend von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene Zeitenwende eine solche Strategie notwendiger denn je erscheinen lassen. Jüngst hatte es noch geheißen, man wolle das unter strenger Geheimhaltung in die Ressortabstimmung gebrachte Papier pünktlich zur Münchner Sicherheitskonferenz vorlegen; die ist auch schon seit einem Monat vorbei. Aktueller Stand: Das Werk soll „bis zum Ende des ersten Quartals dieses Jahres finalisiert“ werden, teilte der Regierungssprecher mit. Schließlich müsse es „auch noch eine Beteiligung der Länder geben“. Soweit bekannt, wird eine Sache in der Strategie ganz sicher nicht enthalten sein: der von führenden Experten geforderte Nationale Sicherheitsrat. Der Grund ist wenig sachlich und sehr banal: Kanzleramt und Auswärtiges Amt sollen sich nicht haben einigen können, wo man das Gremium hätte ansiedeln sollen. (vo)