Joachim Fest brachte es einst in seiner Hitler-Biographie auf den Punkt: „Es sind die enthusiastischen Begleitumstände, die der Machtergreifung Hitlers den eigentlich beunruhigenden Charakter gegeben haben.“ Und in der Tat ist das Nebeneinander von Festlichkeiten und Verhaftungen im Frühjahr 1933 ein irritierendes Phänomen bis heute. Es fand am „Tag von Potsdam“ einen seiner Höhepunkte, pünktlich zum Frühlingsanfang.
Das gewählte Datum hatte eine Tradition als Tag für bedeutende Ereignisse in Deutschland, nicht nur aus kalendarischen Gründen. Am 21. März 1871 hatte der preußische König Wilhelm I. als neuer Deutscher Kaiser in Berlin den ersten Reichstag des wiedererrichteten Deutschen Reiches eröffnet. Um diesen Schritt historisch richtig einzuordnen, nahm er dafür symbolisch auf einem eigens bereitgestellten mittelalterlichen Thron Platz, dem Stuhl von Goslar. Das zuerst in Versailles ausgerufene kleindeutsche Reich verstand sich nicht als Neugründung, sondern als Wiederkehr des Alten Reichs in zeitgemäßer Verfassung. Tradition und Neuanfang sollten nach Möglichkeit zusammenstehen.
Auf Gestaltung des Programms hatte Goebbels wenig Einfluß
Ähnliche Gedankengänge begleiteten die Planungen für den „Tag von Potsdam“ im Frühjahr 1933. Den äußeren Anlaß bildete erneut die Eröffnung des Reichstags, der eben am 5. März frisch gewählt worden war. Allerdings war es diesmal nicht der erste von den Deutschen gänzlich frei gewählte Reichstag wie 1871, sondern tatsächlich der bis heute letzte wenigstens halbwegs demokratisch zustande gekommene. Diese Aussicht konnte auch den Zeitgenossen durchaus als bekannt gelten, denn es richtete sich der seit zwei Monaten laufende Umsturz der Verhältnisse ausdrücklich gegen Parteien und Parlamentarismus. Ein großer Teil der neuen Abgeordneten des Reichstags konnte folgerichtig seine Sitze gar nicht einnehmen, da sie „durch dringendere und nützlichere Arbeiten in den Konzentrationslagern verhindert waren“, wie Innenminister Frick in den Tagen vor Potsdam freimütig erklärte.
Das konnte der Aufbruchstimmung offenkundig wenig anhaben, in der sich die in vollem Gang befindliche nationalsozialistische Revolution symbolisch mit den alten Kräften im Land verbinden wollte, allen voran den Kirchen und der Reichswehr. Vor der zentralen Veranstaltung in der Potsdamer Garnisonkirche fanden daher evangelische und katholische Gottesdienste statt.
Entgegen einer alten Legende handelte es sich dennoch nicht um eine vom Reichspropagandaminister Joseph Goebbels federführend konzipierte Veranstaltung. Der war erst wenige Tage im Amt und kümmerte sich zwar lebhaft und erfolgreich um die wirksame Auswertung der Veranstaltung zu Werbezwecken für den Nationalsozialismus. Auf die eigentliche Gestaltung des Programms hatte er dagegen keinen entscheidenden Einfluß besessen.
Um die Verbindung von Kaiserreich und „nationaler Erhebung“ zu betonen, waren denn auch weniger die Kirchen relevant, als die Präsenz des legendären Feldmarschalls und Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Auch mehrere Söhne Wilhelm II., des letzten deutschen Kaisers, waren erschienen, so daß das Haus Hohenzollern ebenfalls vertreten war. Es ist umstritten, wie nachdrücklich vom neuen Kanzler darum gebeten worden war.
So kam es jedenfalls, daß der neuen Regierung, ihren Ministern und auch dem Kanzler selbst bei einem zentralen Ereignis der Veranstaltung eher ein Platz am Katzentisch zugewiesen wurde. Reichspräsident Paul von Hindenburg nahm zentral eine Parade ab, bei der zur Symbolisierung der neuen nationalen Einheit die Reichswehr, die SA, die SS, die Hitlerjugend und zahlreiche andere Verbände vorbeimarschierten. Hitler saß dabei nicht einmal neben ihm in der Ehrenloge, sondern deutlich im Abseits.
Zuvor hatten allerdings in der Potsdamer Garnisonkirche sowohl der Staatschef als auch der neue Kanzler jeweils eine Rede gehalten und sich danach demonstrativ die Hand gegeben. In der Kirche hatte man mit Bedacht den früheren Stuhl des Kaisers an seinem Platz und leer gelassen, so daß wie 1871 eine frühere Sitzgelegenheit erneut eine symbolische Rolle spielte. Danach erwies Hindenburg den preußischen Königen in der Gruft der Garnisonkirche seine Reverenz.
Der heute allgemein bekannte „Händedruck von Potsdam“, bei dem sich Hitler demonstrativ verbeugte, entstand erst später am Tag, nach dem Ende der Parade und bei einem eher flüchtigen Abschied im Vorbeigehen. Nach 1945 erhielt das Foto von dieser Szene dennoch einen ikonischen Rang als Propagandabeleg für die angebliche Übereinstimmung von alten Eliten und nationalsozialistischer Revolution.
Diese Tradition wurde von nationalsozialistischer Seite immer wieder betont, nicht nur am Tag von Potsdam. „Der Gefreite und der Marschall“ zierten als Duo manche Postkarte, oft auch ergänzt um den „König“, also Friedrich den Großen von Preußen. Diese drei bildeten einen wichtigen Bestandteil der Ikonographie des nationalsozialistischen Staates, den der gebürtige Österreicher Hitler, der am Tag von Potsdam kaum mehr als ein Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, letztlich jedoch wie 1871 in die Tradition des Alten Reiches stellen wollte. An der Beschwörung preußischer Traditionen führte 1933 kaum ein Weg vorbei. Bleiben sollte es dabei nicht.
Das Haus Hohenzollern steht für seine Anwesenheit am Tag von Potsdam bis heute in der Kritik. Die Garnisonkirche als Bauwerk und Veranstaltungsort fiel in der Nachkriegszeit in der DDR der bewußten Zerstörung zum Opfer; um den Wiederaufbau wurde verbissen gestritten. Der Tag von Potsdam beunruhigt sozusagen immer noch die Gemüter.