© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/23 / 17. März 2023

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Triggerwarnungen, die ich mir wünsche: Wokeness, Übermenschen mit Migrationserfahrung, deutsche Niederlagen, Flintenweiber, knutschende Männer, smarte Kiffer, Hip-Hop, Psycho- und Sozialkitsch.

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Der Kultursender Arte hat dankenswerterweise kürzlich den Film „Das Kanonenboot am Yangtse-Kiang“ („The Sand Pebbles“, USA, 1966, Regie: Robert Wise) mit Steve McQueen in der Hauptrolle ausgestrahlt. Der Streifen bietet nicht nur klassische Kinounterhaltung, sondern eignet sich auch zur Vermittlung wichtiger post-postkolonialistischer Einsichten: Wer bereit ist, „des weißen Mannes Bürde“ (Kipling dixit) zu schultern, sollte keinen Dank erwarten, auch und gerade nicht von den Indigenen, denen im Zweifel die eigenen Tyrannen lieber sind als die „fremden Teufel“, die Schulen bauen und Entwicklungshilfe leisten und eigenartige Vorstellungen von Menschenwürde und Barmherzigkeit kennen (wenngleich nicht immer beherzigen) und einer Neigung folgen, allzu gerecht zu sein, selbst wenn sie das Macht und Leben kostet.

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Viktor Orbán, seines Zeichens ungarischer Ministerpräsident, hat in Reaktion auf den Fall eines LGBQTI-Aktivisten und bekennenden Pädophilen erklärt: „Wir sind nicht daran interessiert, daß die Welt verrückt geworden ist, wir sind nicht an den ekelhaften Moden interessiert, denen sich manche Menschen hingeben, wir sind nicht an den Entschuldigungen und Erklärungen interessiert, die Brüssel für das Unerklärliche liefert.“

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Das Problem ist ja nicht nur der ganze Unsinn, den die gegenwärtige Bundesregierung verzapft, sondern auch, daß keine folgende in erwartbar anderer Zusammensetzung wagen wird, das notwendige roll back in Angriff zu nehmen.

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Daß sich die CDU ein neues Grundsatzprogramm geben will und der Vorsitzende Friedrich Merz zu dem Zweck in die Provinz reist, um zu hören, was die Mitglieder meinen, ist nur als Symptom interessant: als Symptom für die Entwicklung einer Partei, die ihren Aufstieg als Dauerkoalition von Zentrum und Deutschnationalen in Zeiten des Ancien régime begann und seit dem „Machtwechsel“ von 1969 kaum mehr weiß, wozu sie da ist. Verdeckt wurde das anfangs durch die Möglichkeit, alles zu sammeln, was am Gründungskonsens der Bonner Republik – Antitotalitarismus, Wiedervereinigung, Rheinische Marktwirtschaft – festhalten wollte, dann durch Schlauheit und Geschick der „Modernisierer“ um Kohl, Biedenkopf, Geißler. Aber Johannes Gross schrieb schon 1977 ahnungsvoll, die Union sei nichts mehr als „eine reformistische Sozialpartei, die ihre positiven Ziele in einer dampfenden Prosa vergeblich zu umreißen sich anstrengt, aber instinktsicher weiß, was sie nicht will, nämlich kommunistischen Terror, sozialistische Planung und das Lottertum der allzu Freisinnigen. Diese Negativität als Voraussetzung für Pragmatismus und Anpassung stellt Kohl in seiner Person dar, gewissermaßen das fleischgewordene Godesberg seiner Partei.“ Durchgesetzt hat der „Schwarze Riese“ die neue Linie gegen den zähen Widerstand von Strauß und CSU, aber auch gegen die eigene Basis, die zum Entsetzen der „Bonzen“ (Kohl über die Funktionäre der Union) eine ausgesprochene Angriffsneigung zeigte und die Verheerungen des „Roten Jahrzehnts“ nicht klaglos hinnehmen wollte. Daß sie keinen Sprecher fand und allzu günstige Umstände Kohl sechzehn Jahre im Kanzleramt verschafften, hat das Fundament für die Entstehung der Merkel-Union gelegt, die im Bund gerade noch die Hälfte der Stimmen gewinnen kann, die Christdemokraten und Christsoziale einst auf sich zu vereinigen wußten.

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Es ist bemerkenswert, in welchem Tempo Ideen, die eben noch undenkbar schienen, plötzlich als diskutabel betrachtet werden. Das gilt nicht nur für den Antinatalismus, die Eugenik, wenn sie im Namen des Kindeswohls daherkommt, oder die Kompostierung menschlicher Leichen zum Zweck der Düngergewinnung, sondern auch für die Euthanasie. Jedenfalls hat Yusuke Narita, ein aus Japan stammender, an der Universität von Yale lehrender Ökonom, geäußert, daß nicht nur im Hinblick auf die Überalterung seines Volkes drastische Maßnahmen geboten seien. Angesichts der Tatsache, daß die Senioren der jüngeren Generation die Möglichkeit versperrten, ein sinnvolles und erfolgreiches Leben zu führen, werde es in Zukunft kaum mehr genügen, sie zur massenhaften Selbsttötung aufzufordern, dann müsse man auch Zwangsmaßnahmen in Erwägung ziehen.

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Der tunesische Präsident Kais Saied hat im Nationalen Sicherheitsrat seines Landes am 21. Februar die Ankunft von „Horden illegaler Migranten“ vor allem aus Subsahara-Afrika beklagt, die zu „Gewalt, Verbrechen und inakzeptablen Handlungen“ führe. Die Behörden des Landes müßten dem auf jede denkbare Weise, mit Mitteln der Justiz, der Polizei und des Militärs, begegnen. Kais Saied prangerte außerdem ein „kriminelles Unternehmen“ an, „das zu Beginn dieses Jahrhunderts geschmiedet wurde, um die demographische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern“.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 31. März in der JF-Ausgabe 14/23.