© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/23 / 17. März 2023

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Jeden Morgen das gleiche enervierende Theater: Des Zeitgenossen hartnäckigster Feind ist sein Wecker.


In Klassikern zu lesen formt den Geist und regt zum Nachdenken an. Nehmen wir zum Beispiel diese Passage hier aus der Einleitung zur „Kulturgeschichte der Neuzeit“ des österreichischen Schriftstellers und Kulturphilosophen Egon Friedell, erstmals erschienen 1927: „Was den Dilettantismus anlangt, so muß man sich klarmachen, daß allen menschlichen Betätigungen nur so lange eine wirkliche Lebenskraft innewohnt, als sie von Dilettanten ausgeübt werden. Nur der Dilettant, der mit Recht auch Liebhaber, Amateur genannt wird, hat eine wirklich menschliche Beziehung zu seinen Gegenständen, nur beim Dilettanten decken sich Mensch und Beruf; und darum strömt bei ihm der ganze Mensch in seine Tätigkeit und sättigt sie mit seinem ganzen Wesen, während umgekehrt allen Dingen, die berufsmäßig betrieben werden, etwas im übeln Sinne Dilettantisches anhaftet: irgendeine Einseitigkeit, Beschränktheit, Subjektivität, ein zu enger Gesichtswinkel.“

Für jeden Wagnerianer dürfte die Comic-Adaption „Der Ring des Nibelungen“ unverzichtbar sein.

Egon Friedell zum zweiten: „ Es liegt im Schicksal jeder sogenannten ‘Wahrheit’, daß sie den Weg zurücklegen muß, der von der Paradoxie zum Gemeinplatz führt. Sie war gestern noch absurd und wird morgen trivial sei. Man steht also vor der traurigen Alternative, entweder die kommenden Wahrheiten verkünden zu müssen und für eine Art Scharlatan und Halbnarr zu gelten, oder die arrivierten Wahrheiten wiederholen zu müssen und für einen langweiligen Breittreter von Selbstverständlichkeiten gehalten zu werden, sich entweder lästig oder überflüssig zu machen.“


Comics beziehungsweise Graphic Novels sind als künstlerische Erscheinungsform sicher Geschmackssache. Unverzichtbar zumindest für jeden Richard-Wagner-Liebhaber dürfte indes Philip Craig Russells Comic-Adaption des Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ sein. Der mit dem legendären Marvel-Universum verbandelte, vielfach ausgezeichnete US-Zeichner (Jahrgang 1951) und Opernfan – er zeichnete auch schon Mozarts „Zauberflöte“ und „Salome“ von Richard Strauss – hält sich erstaunlich werkgetreu an Wagners Meisterwerk, einschließlich der Sprache. Die Umsetzung der vielschichtigen und wendungsreichen Handlung in eine Bildsprache ist ihm phänomenal gelungen. Das Original ist bereits vor gut zwanzig Jahren erschienen, jetzt liegt es endlich auch in deutscher Übersetzung vor. Ein Anhang schildert die Entstehungsphase. „Dieser Comic ist einer Inszenierung absolut ebenbürtig“, urteilte der Deutschlandfunk. Und zwar mit Fug und Recht!

Philip Craig Russell: Der Ring des Nibelungen. Cross Cult, Ludwigsburg 2022, gebunden, 448 Seiten, 49,99 Euro