© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/23 / 17. März 2023

Es bleibt in der Familie
Frankreich: Der Rassemblement National und sein Blick auf die Ukraine
Friedrich-Thorsten Müller

Im Schatten des französischen Rentenstreits und sonstiger politischer Querelen scheint es auch an der Spitze der französischen Rechtspartei Rassemblement National zu rumoren. Während die langjährige frühere Vorsitzende Marine Le Pe, an einer moderaten Haltung gegenüber Rußland festhält, stellt sich ihr im November gewählter – halb so alter – Nachfolger Jordan Bardella, inzwischen ohne Wenn und Aber hinter die Ukraine.

Bei der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Februar in Brüssel gehörte Bardella zu den EU-Abgeordneten, die ihm mit stehenden Ovationen Beifall zollten. Gegenüber der Zeitung L’opinon äußerte er: „Es gab eine kollektive Naivität, was die Absichten und Ambitionen Wladimir Putins betrifft […]. Putin von vor fünf Jahren ist nicht der, der sich entschieden hat, in die Ukraine einzumarschieren und Kriegsverbrechen in Mariupol zu begehen. Es wird unmöglich sein, den Frieden zu verhandeln, wenn die Ukraine nicht ihre territoriale Integrität zurückbekommt und die Russen die Ukraine verlassen.“ 

Ganz anders schätzt dagegen Marine Le Pen in verschiedenen Interviews die Lage ein. Gegenüber dem Fernsehsender BFMTV kommentierte sie: „Die Abwesenheit eines kühlen Kopfes bei einigen unseren Regierenden und Unbeherrschtheit haben Stimmen einer verantwortungslosen Kriegslüsternheit aufkommen lassen, die für Europa und die Welt das Risiko eines Flächenbrandes mit sich bringt.“ Sie plädiert deshalb für eine sofortige Friedenskonferenz und die Begrenzung von Waffenlieferungen an die Ukraine auf Defensivwaffen. 

Sie versucht damit auch deutlich zu machen, daß sie weiterhin in der Partei das Sagen hat, was ihr die Tür zur erneuten Präsidentschaftskandidatur 2027 offenhalten soll. Nach ihrem Verständnis ist seit dem Einzug des RN, mit aktuell 88 Abgeordneten als stärkste Oppositionskraft in die Nationalversammlung, die Macht in der Partei an den dortigen Fraktionsvorsitz übergegangen, den sie innehat. 

Nicht ganz zu vernachlässigen ist in diesem Zusammenhang aber auch die langjährige Nähe Marine Le Pens zum russischen Präsidenten Putin. Gerne ließ sie sich noch 2017 mit ihm bei einem Moskaubesuch fotografieren. Ein Wahlkampfprospekt mit dessen Foto mußte vergangenes Jahr nach dem Einmarsch in der Ukraine hastig eingestampft werden. Sie sah in Putin schlicht einen notwendigen Gegenspieler des westlichen Liberalismus in Europa. 

Hinzu kommt, daß Le Pen 2014 gezwungen war, bei der in Moskau ansässigen First Czech Russian Bank einen Neun-Millionen-Euro-Kredit aufzunehmen, da keine französische Bank die Wahlkämpfe der damals noch Front National heißenden Partei finanzieren wollte. Die Rückzahlung des Kredits ist inzwischen bis 2028 verlängert worden. Den entsprechenden Schuldtitel besitzt nach einer Umschuldung nun die russische Firma Aviazapchast. Le Pen beeilt sich aber klarzustellen, daß aufgrund dieser Schuld zu keinem Zeitpunkt Druck auf sie ausgeübt worden sei.

Vor diesem Hintergrund kann das Bekenntnis Bardellas zu einer „unversehrten Ukraine“ in doppelter Hinsicht als politisches Kalkül gesehen werden: Zum einen kann er als Vorsitzender damit seine Partei von dem Verdacht „freischwimmen“, aufgrund dieses Kredits unter russischem Einfluß zu stehen. Vor allem aber kann er sich damit als Europapolitiker auf außenpolitischer Bühne gegenüber Le Pen ein eigenes Profil erarbeiten. Seine große Schwäche als Politiker ist nämlich, daß er von den meisten Franzosen bisher nur als „loyaler Kofferträger“ Le Pens wahrgenommen wird. Wie zuletzt im Dezember eine Umfrage hervorbrachte, kann bisher fast die Hälfte der Franzosen nichts zu den Qualitäten Bardellas sagen. 

Insofern ist es wahrscheinlich, daß es bei einer „Lockerungsübung“ Bardellas bleiben wird und es zu keinem ernsten Zerwürfnis kommt. Der 28jährige, der noch nicht einmal ein halbes Jahr im Amt ist, weiß, daß er die Zeit hat, bis nach der nächsten Präsidentschaftswahl zu warten. Sollte Le Pen dann nochmals kandidieren und verlieren, dürfte der nächste Generationswechsel im „Le Penschen Polit-Familienbetrieb“ vermutlich deutlich geräuschloser ablaufen als der von Jean-Marie Le Pen auf seine Tochter Marine. Denn Bardella ist der Lebenspartner von Marine Le Pens Nichte Nolwenn Olivier und wird damit als Teil der Familie gesehen.