© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/23 / 17. März 2023

Den Farmern wieder Respekt zollen
Niederlande: Mit rigiden Maßnahmen versucht die Regierung den Bauernprotest im Keim zu ersticken
Mina Buts

Es sollte der ganz große Schulterschluß zwischen Bauern und Bürgern werden, zwischen all jenen, die in den letzten Jahren von der Regierung ausgegrenzt, bedrängt, geschröpft wurden. Unter dem Motto „Wählt sie ab!“ wollten mehr als 100.000 Menschen in Den Haag ein kraftvolles Zeichen gegen die niederländische Politik und für einen Wechsel bei den Provinzwahlen an diesem Mittwoch setzen. Doch die Stadtverwaltung von Den Haag setzte alles daran, den vom Bauernbund „Farmers Defence Force“ und dem Aktionsbündnis „Gemeinsam für die Niederlande“ angemeldeten Protest möglichst unmöglich zu machen. 

Nur zwei Traktoren durften überhaupt nach Den Haag einfahren. Straßensperren waren errichtet, Poller hochgefahren, so daß die angereisten Demonstranten lange Anmarschwege in Kauf nehmen mußten. Derweil fuhren stundenlang leere Straßenbahnen an ihnen vorbei, ohne anzuhalten. Die postierten Wasserwerfer, ausgeliehen teilweise von der deutschen Polizei, und Tausende von Ordnungskräften sorgten für eine grimmige Stimmung. Nicht einmal die angekündigten Linksradikalen von „Extinction Rebellion“ waren vor Ort. Dabei wollten sie die Anfahrt nach Den Haag über die A12 blockieren, doch – so wird im Netz gespottet – Schneeregen und eisige Temperaturen hätten sie wohl abgeschreckt. Und so kamen statt der angekündigten 100.000 Demonstranten nur einige tausend in die Hauptstadt.

Hauptredner der Veranstaltung war Geert Wilders von der rechten Partei für die Freiheit (PVV). Bei strahlendem Sonnenschein war der 59jährige ganz in seinem Element: Durch die Tyrannei der Regierung würde das ganze Land kaputtgemacht. Es könne nicht sein, so Wilders, daß 900.000 junge Menschen weiterhin bei ihren Eltern leben müßten, weil Wohnungen nur noch an Einwanderer vergeben würden, und fünf Millionen Familien unterhalb der Armutsgrenze leben. Absolut inakzeptabel, so Wilders weiter, sei es, daß das Essen der Bewohner von Altersheimen auf täglich 100 Gramm Fleisch und 150 Gramm Gemüse rationiert worden sei. Das Problem des Landes, so seine Schlußfolgerung, sei nicht der Stickstoff, sondern die Anzahl der Idioten im Kabinett. „Wir werden den Bauern und Fischern wieder den Respekt entgegenbringen, den sie verdienen“, so Wilders’ Motto.

Der Organisator Mark van den Oever, Chef der „Farmers Defence Force“ (FDF) äußerte sich gegenüber der JUNGEN FREIHEIT optimistisch: „Bei dieser Demonstration agieren Bauern und Bürger gemeinsam, um das Kabinett abzuwählen. Wenn wir gemeinsam aufstehen, dann können wir auch etwas erreichen.“

Das System Rutte gerät mehr und mehr in Bedrängnis

Die FDF, deren Wahrzeichen zwei gekreuzte Mistgabeln sind, gilt als die radikalste Bauernvertretung in den Niederlanden. Sie hat schneller als alle anderen erkannt, worum es bei der Stickstoffpolitik wirklich geht: Enteignung. Das Land, auf dem die Bauern wirtschaften, wird schließlich dringend für den rasanten Bevölkerungszuwachs benötigt. Gab es in den1960er Jahren gerade einmal 11,5 Millionen Niederländer, so sind es heute bereits 17,5 Millionen Menschen. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl durch Einwanderung um weitere 7,5 Millionen erhöhen. Dabei hat dieses kleine Land schon jetzt mit etwa 600 Einwohnern pro Quadratkilometer die höchste Bevölkerungsdichte Europas. 

Etwa die Hälfte des Landes wird landwirtschaftlich genutzt, könnte ergo wahlweise noch mit Wohnungen oder Windrädern und Solarparks bebaut werden. Daß die Regierung die „Stickstoffpläne“ nur vorgeschoben hat, läßt sich leicht durchschauen. Keinen Cent gibt es von ihr für Maßnahmen zur Stickstoffreduzierung, wohl aber 25 Milliarden Euro für die geplante Enteignung der Bauern. 

Mittlerweile wird der Regierung eine Lösung der Probleme nicht mehr zugetraut. Es fehlt an Wohnraum, Energieversorgung, sozialer Sicherheit. Die „Polderpolitik“, einst das Stichwort für eine harmonische Koexistenz zwischen Regierung und Volk, ist längst erschüttert. Eine sehr streng durchgesetzte Coronapolitik, die unsägliche „Kinderzuschlagsaffäre“, bei der die nahezu 2.000 zu Unrecht aus den Familien genommenen Kinder noch nicht wieder aufgetaucht sind, und nun die „Stickstoffkrise“ haben auch zu großen Verwerfungen in der Parteienlandschaft geführt. 

Die Christdemokraten, deren mittlerweile ausgetretenes Mitglied Pieter Omtzigt die Kinderzuschlagsaffäre aufgedeckt hatte, dümpeln bei fünf Prozent. Die Liberalen, immerhin Regierungspartei des längstamtierenden Ministerpräsidenten Europas, stehen im Dauerfeuer. Stark sind vor allem oppositionelle Kräfte. Die „Bauernbürgerbewegung“ (BBB) hat sich unter der Führung der ehemaligen Christdemokratin Caroline van der Plas zu einer der größten Oppositionsparteien des Landes gemausert. Ganz unwillkommen ist sie den etablierten Parteien nicht, greift sie doch die wichtigen Wählerstimmen der Bauern ab, ohne die Stickstoffpolitik der Regierung grundsätzlich in Frage zu stellen. 

Thierry Baudets Forum für Demokratie ist zwar mitgliederstärkste Partei des Landes und vor allem bei jungen Leuten beliebt, doch das große Ego Baudets ist gleichzeitig das große Problem der Partei. JA21 (Richtige Antwort 21) und Belang van Nederland (BvNL), beides Abspaltungen des Forums, erringen zwar ein paar Prozente, werden aber auch künftig keine Rolle spielen. Anders die PVV (Partei für die Freiheit) von Geert Wilders, die dort stark ist, wo Wirtschaft und Infrastruktur des Landes schwach sind – also in immer mehr Gebieten, in den es immer mehr Stimmen gibt, die sagen: Es wird höchste Zeit für einen echten Politikwechsel im Land.