© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/23 / 17. März 2023

Jedesmal das Ritual
Waffenrecht: Nach dem Amoklauf von Hamburg plant Innenministerin Faeser weitere Verschärfungen / FDP bremst
Paul Leonhard

Eine weitere Verschärfung des Waffengesetzes hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nach dem tödlichen Amoklauf in Hamburg gefordert, wo ein Mann im Königreichssaal der Zeugen Jehovas sieben Menschen erschossen und acht zum Teil schwer verletzt hatte. Gleichzeitig zeigte sich die Sozialdemokratin tief betroffen von dem grauenvollen Ereignis, wie es zum Routineritual der deutschen Politik gehört, nach jedem Amoklauf – egal ob mit einer Machete, einem Messer, einer Schußwaffe oder einem Auto durchgeführt.

Während in der Praxis die Kommunen schon  daran scheitern, an besonderen Brennpunkten Waffenverbotszonen durchzusetzen, versuche Faeser mit Aktionismus die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen, monieren Kritiker. Dabei übersehe die Ministerin, daß die Möglichkeiten, sich selbst Schußwaffen zu beschaffen, vielfältig sind. Der Täter von Hanau 2020 besaß offiziell mehrere Pistolen, der Attentäter von Halle 2019 hatte sich seine Waffen zum Teil mit Kunststoffteilen aus einem 3D-Drucker selbst gebaut. 

Der Hamburger Todesschütze Philipp F. war kurz zuvor noch von der Polizei nach einem anonymen Hinweis überprüft worden. Für Schritte gegen ihn sahen die Beamten keine Grundlage. Weder hatten sie sämtliche Magazine gefunden, die der spätere Täter offensichtlich über die im Waffenschrank verwahrten hinaus besessen haben mußte; noch entdeckten sie sein im Selbstverlag auch online veröffentlichtes Buch mit allerhand wirren Thesen über Jesus, Satan und Hitler.  

Faeser setzt mit ihren neuesten Ideen wie gehabt bei der Erteilung der waffenrechtlichen Erlaubnis an. Die Waffenbehörden sollten in Zukunft auch die Gesundheitsämter abfragen, ob diese Erkenntnisse zu Personen hätten, die psychisch auffällig seien, so Faeser gegenüber ihren sozialdemokratischen Länderkollegen jetzt bei einem Treffen in Bremen. Dabei sind psychische Erkrankungen in der Regel anders als bestimmte Infektionskrankheiten nicht meldepflichtig. Die FDP sperrt sich, und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat die geplante Regelabfrage bei den Gesundheitsbehörden bereits im Januar als Symbolpolitik und „besonders tiefen Eingriff in Persönlichkeitsrechte“ bezeichnet.

Behördlich erfaßt sind in Deutschland laut Bundesinnenministerium knapp 5,5 Millionen Waffen. Im seit 2013 existierten Nationalen Waffenregister sind etwa eine Million Privatpersonen erfaßt, die eine Waffenerlaubnis besitzen. Mehr als 25.000 Deutsche dürfen keine Waffen besitzen, weil sie für schwere Straftaten verurteilt wurden oder durch eine extremistische Gesinnung den Behörden aufgefallen sind.

War bisher geplant, daß Antragsteller bis zum  Alter von 25 Jahren für eine waffenrechtliche Erlaubnis ein amtsärztliches oder psychologisches Gutachten vorlegen müssen, so sollen das nun auch Ältere. Das fordert zumindest die Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic. Alle Sportschützen ohne Hinweise regelmäßig zu untersuchen, wäre allerdings selbst aus Faesers Sicht sehr schwierig. Dafür reiche das Personal nicht. Auch müßten die Maßnahmen „verhältnismäßig“ sein. Diskutiert werden soll nach ihren Vorstellung jetzt darüber, ob nicht nur, wie im bisherigen Gesetzentwurf vorgesehen, kriegswaffenähnliche, halbautomatische Langwaffen für Privatleute verboten werden sollen, sondern auch halbautomatische Pistolen, wie sie der Täter in Hamburg als Sportschütze legal besaß. 

Bei halbautomatischen Pistolen wird jedesmal nach der Schußabgabe eine neue Patrone im Lauf positioniert. Um erneut zu schießen, muß der Abzug wieder gedrückt werden. Dies ist der Unterschied zu – in Deutschland für Privatpersonen in der Regel nicht legal erhältliche – vollautomatischen Waffen, bei denen alle Schüsse eines Magazins abgefeuert werden können, wenn der Abzug einmal gedrückt wird.

Schon heute am strengsten überwacht

Widerstand gegen Faesers Verschärfungspläne kommt vom Koalitionspartner FDP. Aus Sicht von Justizminister Marco Buschmann ist die bestehende Gesetzeslage ausreichend, und FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle meint: „Neue Verbotsdebatten helfen nicht weiter“. CSU-Politiker Herrmann hat vor allem die drei Millionen Sportschützen im Blick, denen Faesers Symbolpolitik, die „weit über ein sinnvolles Ziel“ hinausschieße, unnötig das Leben schwermacht: „In nahezu allen Schießsportverbänden werden halbautomatische Waffen – also die, die Faeser jetzt verbieten will – in Wettbewerben genutzt. Die Technik kommt auch bei Jägern zum Einsatz.“

Diese sind ohnehin aufgeschreckt und fühlen sich an den Pranger gestellt. Das „Forum Waffenrecht“, dem der Deutsche Jagdverband (rund 254.000 Mitglieder) und der Deutsche Schützenbund (1,320 Millionen) sowie rund 200 weitere Vereine und Verbände angehören, erinnert daran, daß schon heute Waffenerlaubnisse genau überprüft und Waffenbesitzer zu den am strengsten überwachten Personengruppen gehören. Zudem weisen die Legalwaffenbesitzer darauf hin, daß es eher Vollzugsdefizite gebe. So würde es allein in Berlin im Schnitt sagenhafte 360 Jahre dauern, einmal die ordnungsgemäße Aufbewahrung aller bei Jägern und Schützen registrierten Waffen in der Hauptstadt zu kontrollieren. Die Vereine kritisieren überdies, der Gesetzesentwurf leiste keinen Beitrag, die nach Schätzungen der Polizei rund 20 Millionen illegalen Waffen von der Straße zu bekommen.

Allerdings sieht der Gesetzentwurf eine 18monatige Amnestie vor, in der Besitzer illegaler Waffen diese nachweisbar unbrauchbar machen oder einer Behörde übergeben können, ohne eine Strafe fürchten zu müssen. Derartiges gab es schon mehrfach. 2009 wurden bundesweit rund 200.000 Waffen abgegeben, 2017 und 2018 waren es deutlich weniger.

Eine unverzügliche Verschärftung des Waffenrechts und eine deutliche Reduzierung von Waffen fordert dagegen Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Die schnelle Gesetzesänderung aufgrund der sich „gefühlt mehrenden Vorfälle“ sei wichtiger als die von der FDP geforderte vorherige systematische Überprüfung der Anpassung, sagte der Gewerkschafter dem Redaktions­-Netzwerk Deutschland. Auch bezüglich der Einbindung der Gesundheitsämter stimmt der Gewerkschafter der Ministerin zu: „Die Gesundheitsämter müssen Vorgänge im Waffenrecht priorisiert und schnell bearbeiten. Nirgends darf Zeitverzug durch Personalmangel oder lange Datenschutzprozesse entstehen.“ 

Er bezweifle, daß ein Amoklauf in Zukunft allein durch eine Verschärfung des Waffenrechts verhindert werden könne, verteidigt hingegen Bayerns Innenminiser seine Position im Bayerischen Rundfunk. Herrmann erinnerte an den Lastwagen-Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz 2016 und den Messerangriff beim Amoklauf in Würzburg 2021. Psychologische Gutachten brächten Kosten und Bürokratie mit sich. 

In der Koalition sorgte das Thema Waffenrecht schon vor der jüngsten grausamen Bluttat in Hamburg für Diskussionen. Bereits nach der Festnahme sogenannter „Reichsbürger“ Ende vergangenen Jahres (JF 51/22) hatte Faeser eine Verschärfung angekündigt. Andererseits hatte die FDP im Koalitionsvertrag festlegen lassen, daß zunächst die bestehende Gesetzeslage evaluiert werden müsse. Schärfer überwacht wird aktuell vor allem der politische Aspekt in Sachen Unzuverlässigkeit (siehe Kasten). Wer sich als Waffenbesitzer zum Beispiel in der AfD engagiert, kann da schon zum Extremisten gestempelt werden und in die Mühlen der Behörden geraten (JF 46/21).  





Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse

Vor drei Jahren wurde mit dem Dritten Waffenrechtsänderungsgesetz die Regelanfrage beim Verfassungsschutz eingeführt, mit der die Waffenbehörden Erkenntnisse über Antragsteller oder Inhaber einer waffenrechtlichen Erlaubnis aus extremistischen Phänomenbereichen erhalten sollen. Den Betreffenden wird dann in aller Regel die Erlaubnis nicht erteilt bzw. entzogen. Eine einheitliche Statistik, wie oft dies bundesweit geschehen ist, gibt es nicht. Auch die Bundesländer haben verschiedene Zählweisen, ergab eine Abfrage der JUNGEN FREIHEIT. So werden zum Beispiel in Niedersachsen nicht die Gründe für einen Widerruf aufgeschlüsselt. Dort wurden allein 2022 insgesamt 4.737 „Verwaltungsakte“ gespeichert, in denen eine waffenrechtliche Erlaubnis widerrufen wurde. 2020 waren es 2.925. Im Saarland wurden seit 2020 insgesamt 13 waffenrechtliche Gestattungen widerrufen. In Hamburg waren es sechs (Rechtsextremismus), sieben (Reichsbürger) und zwei („Delegitimierung des Staates“). Bremen entzog 18mal, wobei drei noch nicht rechtskräftig sind. In Berlin wurden 35 Erlaubnisse nach Hinweis des Verfassungsschutzes widerrufen, in Baden-Württemberg 44. In Bayern waren es 29 im Jahr 2020 und 110 ein Jahr später. 43mal wurde im ersten Halbjahr 2022 eine waffenrechtliche Erlaubnis nach einer Regelanfrage widerrufen. In Sachsen wurden 127 Personen 2022 die waffenrechtlichen Erlaubnisse wegen fehlender Zuverlässigkeit widerrufen oder zurückgenommen, 2021 waren es 91 und 40 Personen 2020. (vo)