Motocrossräder, die durch die Videos von US-Rapper Meek Mill oder von der deutschen HipHop-Truppe 187 Strassenbande knattern. Auch im französischen Banlieu-Gesellschaftsdrama „Athena“ werden die ästhetisch gefilmten Jugendaufstände von halsbrecherischen Fahrszenen durch die Plattenbauschluchten flankiert.
Motocross ist „ein Blockding“, meint auch der aus der Berliner Gropiusstadt stammende Hobby-Motocrossfahrer und Rapper Luvre47 im Interview mit dem Youtube-Format „Stocked“. In den Vereinigten Staaten und in Frankreich längst fester Bestandteil der Brennpunkte, ist der Zweirad-Motorsport in Deutschland bis auf Genre-Veranstaltungen und Gangsterrap weitestgehend kaum präsent – ein Randphänomen, das jetzt durch Film und Musik in den Mainstream sickert. Vielleicht eine der Subkulturen der kommenden Jahre.
Dabei gibt es Motocross bereits seit Jahrzehnten. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden parallel zu klassischen Straßen-Motorradrennen Wettbewerbe im freien Gelände über Stock und Stein. In den Fünfzigern und Sechzigern folgten die ersten offiziellen internationalen Meisterschaften. Kreativer Freestyle, weite risikoreiche Sprünge und eine gewisse mit Dreck bespritzte Coolness lockten bald Hersteller sowie Zuschauer und ließen die Preisgelder steigen. Es entstand eine eingefleischte Szene mit etablierten Actionevents wie beispielsweise aus dem Red-Bull-Universum. Fabrikate wie KTM sind hier längst Kult.
Doch neben Skaten, Skateboards und BMX fristete Motocross bisher ein exotisches Schattendasein, eine Nischen-Extremsportart für Leute mit etwas mehr Kleingeld. Inliner-Wege, Skateparks mit kleinen Halfpipes und anderen zu meisternden Hindernissen gibt es seit den Neunzigern fast in jeder Kleinstadt. Aber Motorräder sind teurer und wartungsintensiver, sie brauchen mehr Platz, technisches Wissen und Geschick. Und sie setzen einen Führerschein und damit ein entsprechendes Mindestalter voraus, in dem ambitionierte Skateboardfahrer bereits seit Jahren auf dem Brett stehen. Strecken und Trainingsareale sind weitaus größer als eine kleine bereitgestellte Ecke in der öffentlichen Grünanlage. Sie bedeuten Dreck, Verschleiß und ohrenbetäubenden Krach, der in einer Wohngegend oder in einer Innenstadt kaum zu vermitteln ist.
Doch in einem zunehmend dysfunktionalen ethnisch fragmentierten Staat, in dem der öffentliche Raum immer mehr verwahrlost und dem Recht des Stärkeren unterworfen wird, interessieren Lärmschutz, Fahrerlaubnisse, spießiges StVO-Boomergequatsche und TÜV-Zulassungen gerade Teenager immer weniger. Geld und halbseidene Beschaffungskontakte gibt es über allgegenwärtige kriminelle Milieus zudem genügend – in Frankreich werden die schnellen, wendigen und hindernisflexiblen Motocrossmaschinen längst auch als Fortbewegungsmittel von Dealern und Dieben genutzt.
Extremsport für
größere Geldbeutel
Mit einem aufgemotzten, unter der Hand besorgten Hobel durchs Viertel zu heizen oder gummiqualmend und quietschend Reifen im Kreis durchdrehen zu lassen, ist auch ein riesengroßer ausgestreckter Mittelfinger ins Gesicht der Gesellschaft und ihrer Ordnungshüter. Und es ist unter den sich an Männlichkeitsvorstellungen orientierenden Heranwachsenden ein Zeichen des „sich etwas trauen“ und des „etwas können“: Was hast du drauf? Neben Graffiti, Tanzen und Musik machen bieten waghalsige Fahrmanöver reichlich Gelegenheiten, zu zeigen, welche „Skills“ man beherrscht. Helm? Was ist das?!
Oberkörperfrei nur auf dem Hinterrad über den eigentlich verkehrsbefreiten zubetonierten Hauptplatz einer Vorstadtsiedlung zu brettern wird jenseits der Serpentinen-Alpenausfahrten und schlammlastigen Waldspritztouren zur Showeinlage eines Nachwuchses, der sich im Großstadtdschungel seinen Status erkämpfen will. Der urbane Raum wird zur Bühne, zum Sportplatz und zum eroberten Terrain. Motocross ist so die motorisierte Weiterentwicklung des Parkour, das in französischen Metropolen erfunden wurde.
Und auch Skater nutzen seit jeher Treppen und Geländer für ihre Knochenbrüche heraufbeschwörenden Stunts. Warum also nicht auch mit einem Motorrad Stufen hinunterrasen und bei kleinbürgerlichen Almans für staunende offene Münder und wütendes Kopfschütteln gleichermaßen sorgen? Provokation lockt seit jeher die Jungen in ihrem Sturm und Drang.