Der Titel „Kunst und Künstler im Umfeld der Jugendbewegung“ ist offen genug, um sowohl diejenigen zu behandeln, die die Bilderwelt von Wandervogel und Freideutschen beeinflußt haben (Hugo Höppener, genannt Fidus), wie auch die, die aus der Bewegung hervorgegangen sind und mit ihrem Werk weiter auf sie wirkten (A. Paul Weber, Oskar Just, Fritz Stelzer und Erich Mönch), wie auch die größere Zahl derer, für die die Zugehörigkeit zu einem Bund wohl biographisch prägend war, deren Schaffen sich davon aber je länger je stärker gelöst hat (Heiner Rothfuchs, Borris Goetz, Otto Lohmüller, Michael Engelhardt und Klaus Hinkel).
Der von Walter Sauer herausgegebene Band präsentiert die Künstler gleichmäßig auf etwa dreißig Druckseiten. Dabei kommt der größte Raum der Wiedergabe ihrer Bilder zu, der kleinere einem Text, der die wesentlichen Daten und eine Gesamtwürdigung liefert. Man erhält so zwar einen Überblick, aber eine offensichtliche Schwäche dieses „demokratischen“ Verfahrens liegt darin, daß mancher sehr viel Gewicht erhält, den er – bedenkt man seinen künstlerischen Rang oder den Einfluß seiner Arbeit – kaum verdient, während andere, die sicher eine ausführlichere Vorstellung verdient gehabt hätten, nicht angemessen gewürdigt werden.
Das gilt vor allem für den (leider gegenderten) Beitrag von Barbara Stambolis über Fidus und für den von Jürgen Reulecke über Weber. Während im ersten Fall wenigstens die Akzente überzeugend gesetzt wurden, gilt das im zweiten Fall keineswegs. Es bleibt – angesichts des Stands der Weber-Forschung – ganz unverständlich, wie Reulecke derart oberflächlich über Webers Bedeutung für das „Design“ bündischer Zeitschriften, Kalender und programmatischer Bilder, seine Rolle in der nationalrevolutionären Szene der Weimarer Republik und zuletzt seine Stellung in der NS-Kunstpolitik hinweggehen kann, während sich Zeile um Zeile mit Hinweisen auf dessen Arbeit in der Nachkriegszeit füllt, die in bezug auf den Gegenstand unerheblich sind.
Viele Künstler mußten Unterhalt über irgendeinen Brotberuf sichern
Während es im Hinblick auf Weber nicht an Detailinformationen fehlt, stellt sich die Situation für Oskar Just ganz anders dar. Sauer, von dem der betreffende Abschnitt des Bandes stammt, kann nur lapidar feststellen, daß Just „einfach nicht präsent“ ist. Das gilt, obwohl er mit dem Gemälde „Der Fahnenträger der dj1.11“ – gemalt auf Wunsch tusks für die „Rotgraue Garnison“ in Berlin – eine Ikone der Bündischen Jugend geschaffen hat. Zu diesem Zeitpunkt am Anfang der dreißiger Jahre konnte sich Just, der aus dem sudetendeutschen Wandervogel kam, offenbar erlauben, die Stellung als Architekt aufzugeben und ganz als freier Künstler zu leben. Diese immer etwas prekäre Existenzform erklärt wahrscheinlich, warum er sich nach 1933 willig durch die nationalsozialistische Propaganda in Dienst nehmen ließ und für Auftragswerke bevorzugt Porträts nordischer Menschen schuf. Ein Sachverhalt, den Sauer keineswegs kaschiert, aber leider nicht in den größeren Kontext einordnet. Wegen des erwähnten Mangels an Material zur Person bleibt es ansonsten bei dem Hinweis, daß bis heute keine Untersuchungen zu dessen Werk vorliegen, und lediglich feststeht, daß sich Just nach 1945 aus allen politischen Zusammenhängen zurückzog und weiter recht erfolgreich als Landschafts- und Porträtmaler arbeitete.
Resonanz dieser Art hat von den besprochenen Künstlern sonst kaum einer erfahren. In der Regel waren sie gezwungen, ihren Unterhalt über irgendeinen Brotberuf zu sichern, der im besten Fall – als Illustrator oder Lehrer – nahe bei ihrer eigentlichen Leidenschaft lag. Das nur als Zufall oder Ungerechtigkeit des Schicksals zu werten, fällt angesichts der in dem vorliegenden Band präsentierten Werke schwer. Eher hat man den Eindruck, daß es eben keine „jugendbewegte“ Kunst gab oder die von der Jugendbewegung ausgehenden Impulse nicht stark genug waren, um Eigenständiges oder etwas hervorzubringen, das auch außerhalb des eigenen Milieus überzeugend gewirkt hätte.
Walter Sauer (Hrsg.): Kunst und Künstler im Umfeld der Jugendbewegung. Spurbuchverlag, Baunach 2022, gebunden, 336 Seiten,
39,80 Euro