Digital Only!“ lautet die vom Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner ausgegebene Parole bei Springer. Der Medienriese in Berlin baut um – und Stellen ab. Die vergangene Woche präsentierte „Zukunftsstrategie“ setzt auf die Marken Bild und Welt, die Ende vergangenen Jahres bereits in zwei voneinander getrennte und eigenständige Unternehmenseinheiten aufgeteilt wurden. Ziel eines „strategischen Fünf-Punkte-Plans“, den Döpfner zusammen mit dem Bild-CEO Claudius Senst und der Welt-CEO Carolin Hulshoff Pol verkündete, ist eine kleine Revolution: „die vollständige Transformation zu einem rein digitalen Medienhaus“. Damit sind die gedruckten Tage für das Boulevardblatt und die einstige konservative Zeitung gezählt.
Zwar werde der Abschied vom Papier „noch einige Jahre dauern“, weil das Geschäft „noch profitabel“ und vom Leser gewollt sei, allerdings müsse man „die Transformation aktiv in Angriff nehmen“. Das bedeute auch „Umbau der Redaktionen und Verschiebung von Personal und Kosten“. Kern soll die „Journalismus-Kreation“ werden, die Produktion dagegen „Nebenprodukt“. Die Konsequenz: „In den Bereichen Produktion, Layout, Korrektur und Administration wird es deutliche Reduzierungen von Arbeitsplätzen geben.“ Insbesondere „moderne Technologien“, sprich Künstliche Intelligenz und Automatisierung, kommen hier künftig zum Einsatz – was die Debatte über Chatroboter und die damit einhergehenden Risiken anheizen dürfte (JF 6/23).
Betriebsbedingte Kündigungen sollen vermieden, der Arbeitsplatzabbau mit einem „Freiwilligenprogramm“ vorangetrieben werden, um so Kosten zu sparen: „Um auch künftig wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, muß sich unser Ergebnis im deutschen Mediengeschäft in den nächsten drei Jahren um rund 100 Millionen Euro verbessern.“
Konzentration hierzulande auf Bild und Welt
Dabei sollen auch Umsatzsteigerungen helfen. Der Fokus liegt dabei auf den Online-Abos und mehr „Traffic“ auf den Netzseiten. Bis 2026 will Senst mehr als 20 Millionen digitale Visits pro Tag auf den Plattformen seiner Bild-Gruppe erreichen. Pols Welt-Gruppe möchte „sich darauf konzentrieren, ihre Premium-Marke als pluralistisches Investigativ- und Debattenmedium wirtschaftlich zu stärken, im digitalen Abonnementgeschäft sowie im Premiumwerbesegment zu wachsen und den TV-Erfolg weiter auszubauen“.
Bei „Reportern, Autoren und Fachredakteuren“ will die Springer-Führung nicht kürzen, sondern sogar investieren, stellt aber gleichzeitig klar: „Das ist keine Jobgarantie. Denn auch in den Redaktionen werden wir uns von Kolleginnen und Kollegen trennen, wenn bestimmte Profile nicht mehr zu den erforderlichen Kompetenzen passen.“ Also Print-Kollegen tschüß, willkommen Online-Redakteure? Bereits Ende Januar lagen große Veränderungen in der Luft, wie die langfristige Einstellung aller gedruckten Zeitungen. Seitdem wurde laut Flurfunk schon der Rotstift angesetzt, allerdings nicht nur bei Print, sondern auch im vermeintlichen digitalen Zukunftsmarkt.
Denn die Neuausrichtung zielt auf den internationalen Markt; die deutsche Kioskwelt ist längst lediglich eine von vielen. „Axel Springer ist ein wirklich digitales, transatlantisches Medienhaus“, stellte Döpfner dazu in einem internen Schreiben an die Belegschaft klar. Das Manager Magazin hatte kürzlich darüber spekuliert, der 60jährige wolle möglicherweise Springers deutsche Wurzeln „weitgehend kappen“. Demnach sollen laut internen Plänen die US-Marken Politico und Business Insider „den Kern des neuen, voraussichtlich wieder börsennotierten Springer-Konzerns“ bilden. Die Zahlen des deutschen Duos Bild/Welt spielten dagegen eine „kapitalmarktmäßig fast zu vernachlässigende Größe, spätestens seit dem Scheitern von Bild TV“. In der Tat hatte Bild TV zu Jahresbeginn sein Liveprogramm massiv zurückgeschraubt und sich auf Kurz-Nachrichten, Dokumentationen und Reportagen verlagert. Dementsprechend wird die „Bild Live“-Redaktion nicht mehr weitergeführt; die etwa 80 befristeten Stellen laufen aus.
Manager Magazin-Redakteurin Christina Kyriasoglou und Chefredakteur Martin Noé werfen Döpfner zudem „ausgelebten Hedonismus“ vor, mit dem er eher an einen „Investmentbanker der 80er Jahre“ erinnere als an die Unternehmenskultur moderner Weltkonzerne. Besonders pikant: Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre habe mehreren Gesprächspartnern des Manager Magazins Recherche-Anfragen zu Döpfner zukommen lassen, weil sich eine Figur seines im April erscheinenden neuen Romans an dem Springer-Chef orientiere. Von Stuckrad-Barre hatte im Zuge der Absetzung von Julian Reichelt als Bild-Chef Döpfner kritisiert, zu lange an Reichelt festgehalten und gedeckt zu haben. Und der nächste mögliche Skandal könnte sich bereits anbahnen. So soll der vom Focus kommende künftige Bild-Chefredakteur, Robert Schneider, als „Freund des Berliner Nachtlebens“ öfter mit Julian Reichelt gesehen worden sein. Neue Verwerfungen könnten laut Kyriasoglou und Noé dann auch Döpfner gefährlich werden.
Doch dieser konzentriert sich auf die Vereinigten Staaten. Schon Anfang des Jahres machte der Zögling von Friede Springer im Interview mit der dpa deutlich: „Heute sind wir nach Reichweite der viertgrößte Verlag in den USA. Wir haben dort in den letzten 15 Monaten 400 Journalistinnen und Journalisten eingestellt. In den USA wollen wir weiterwachsen. Von Platz 4 kann man auf 3, von 3 auf 2, vielleicht sogar eines Tages von 2 auf 1. Unmöglich ist das nicht.“ Die Richtung ist seitdem deutlich umrissen: „Politico wird in den USA und auch in Europa expandieren und kann eine echte internationale Marke werden. Vielleicht werden wir auch noch neue publizistische Angebote dazukaufen. Und selbst gründen.“
Kritik kommt von der Gewerkschaft Verdi
Berlin solle zwar „formal der Rechtsstandort“ bleiben, jedoch werde „der Wachstumsmotor des Mediengeschäfts von Axel Springer viel stärker in Amerika liegen als in Deutschland oder in anderen europäischen Märkten“. Daß es dann „so etwas wie einen zweiten Standort gibt, das ergibt sich von selbst“. Während Springer in der Bundesrepublik mit Bild und Welt zur alten Garde gehört, sind die in den späten Nullerjahren gegründeten Business Insider und (das erst im Herbst 2021 vollständig übernommene) Politico in den USA die jungen wilden Herausforderer von New York Times, Wall Street Journal und Washington Post. Das führt zu Gegensätzen in der Firmenkultur. Während die deutschen Traditionsmarken seit einigen Jahren die Bezahlinhalte ausbauen, hadern insbesondere viele Politico-Mitarbeiter mit einer „Paywall“.
Hierzulande stoßen die Prioritätenumschichtungen und Entlassungspläne bei Springer auf Kritik bei der Gewerkschaft Verdi. „Erneut kündigt mit Axel Springer ein Großverlag an, ohne wirtschaftliche Not und mit Blick auf im Vergleich zu anderen Branchen übersteigerten Gewinnerwartungen, sich gegen journalistische Vielfalt im eigenen Verlag zu entscheiden“, sagte Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz und verwies damit auf den Bertelsmann-Konzern, der vergangenen Monat angekündigt hatte, Hunderte Stellen und Titel beim Hamburger Verlag Gruner + Jahr einzustellen. Auch Bertelsmann treibt Partnerschaften im Ausland voran. Der gloable Druck auf den Standort Deutschland nimmt auch in der Medienbranche zu.