Ein Besuch bei einstigen Freunden meiner Eltern am Domplatz in Halberstadt. Nicht lange, da reißt im Vorzimmer der „geteilte Himmel 2.0“ auf – also der Horizont der Heilsgewißheit. Schlichter, als es die Vorstellung eines so stattlichen bildungsbürgerlichen Haushalts eigentlich erlaubt, geradezu wie in einer Karikatur, wird mir – in bezug auf Massenmigration und Corona-Regime – entgegengeschleudert: Sie hätten persönlich den Auftritt Thilo Sarrazins in der Liebfrauenkirche verhindert! Außerdem sei man sechsfach geimpft und höre, als handele es sich um das Evangelium, mit der ganzen Familie bei jedem Wort zu, das der Virologe Christian Drosten oder der Gesundheitsminister, ein echter „Harvard-Professor“, zu verkünden habe. Gesetz für sie sei ebenso jene Zeitung, die ich selbst nur noch unter dem Begriff „Alpen-Prawda“ oder „Süddeutscher Beobachter“ kenne. Der Herr wirft offenbar nichts vom Himmel.
Die hiesige Alternative für Deutungshoheit eröffnet mit anderen Tierleben des „Vogelpastors“ Brehm.
Allerdings schießt auch das an der Nordseite des Halberstädter Doms gelegene „Heineanum“ einen Vogel ab. Kein Wunder, ist es doch der Ornithologie gewidmet. Die Schau „Fake News und alternative Fakten aus der Zoologie“ über „Wolpertinger, Elwetritschen und Rasselböcke“ zeigt Geschöpfe, die auf der „Farm der Tiere“ wohl kein Asyl erhalten hätten. Dabei sind im Obergeschoß mit den realen Vogelpräparaten bereits Skurrilitäten wie Senegalfurchenschnabel, Kronentyrann, Sultanmeise oder Meisendickkopf zu bestaunen. Die hiesige Alternative für Deutungshoheit wird also mit anderen Tierleben eröffnet, gründet sie doch auf dem Erbe des „Vogelpastors“ Christian Ludwig Brehm (1787–1864). So präsentiert sich hier Christian Morgensterns „Nasobem“: „(...) Es steht noch nicht im Brehm. (...) Und auch im Brockhaus nicht. / Es trat aus meiner Leyer / zum ersten Mal ans Licht (...)“. Auf sein Exemplar folgt der „Schopfgrünschnabel“, der an die Ampelregierung gemahnt, ebenso wie das „Regenbogenhuhn“ (Neogallus multicolores), das am vermutlich queeren „Kokolores-Institut“ gezüchtet worden sei.
Hybrider wirkt der „Halan“ (Lepumilvus europaeus), ein Mischwesen aus Vogel (Rotmilan) und Säugetier (Hase), das aus dem Thüringer Becken stamme, wobei für das verirrte Paarungsverhalten mutierte Vogelgrippeviren verantwortlich seien. Dabei, so vermutet der Besucher, dürfte diese Irritation auf die unheilvoll mörderische Gewalt der Windkrafträder zurückzuführen sein, die – wie von einer unsichtbaren bösen Macht im Märchen – in die Wälder implantiert werden. Ein Geweih und damit Herrschaftsanspruch trägt der „Rasselbock“ (Hirculus crepans), der ebenfalls aus Dunkeldeutschland stamme, vor allem aus dem Thüringer Wald und der Mark Brandenburg, vereinzelt auch aus dem Harz. In der Harzvorstadt Halberstadt ist derweil realer Lebensraum gefährdet. So soll der Oberbürgermeister Daniel Szarata (CDU) einem Gastronom im Stadtzentrum, der durch die beabsichtigten Baumaßnahmen seinen Laden schließen müßte, ungerührt entgegnet haben: Das mache nichts, dann käme halt ein anderer.