Eigentlich reden sie mit „Außenstehenden“ nur wenig über das, was sie machen. „Unsere Arbeitgeber sehen so etwas gar nicht gern“, verrät Bo im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Gemeinsam mit seinen Freunden Luan (25) und Chen (24) steht er vor der National Dr. Sun Yat-sen Memorial Hall in Taipeh, der Gedenkstätte für den Gründer der Republik China, Sun Yat-sen, der in Taiwan als „Landesvater“ verehrt wird. Mehrere Statuen des einstigen Staatsmannes zieren den Park gegenüber der Gedenkstätte, der mit unzähligen Laternen geschmückt ist.
Es ist Laternenfest in Taiwan. Symbol für den Beginn des Mondneujahres und den Abschied vom Winter. Dieses Mal findet es in der Hauptstadt statt. Tausende von Lichtern schmücken das Zentrum. Künstlerisch gestaltet. Ein Mix aus chinesisch-kultureller Tradition und Spitzentechnologie. „Licht für die Zukunft“ lautet das Motto des Festes. Beleuchte die Zukunft. Es klingt wie ein Appell in Zeiten, in denen nicht nur wettermäßig dunkle Wolken über dem Land liegen.
Täglich operieren rotchinesische Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge der Volksbefreiungsarmee unmittelbar vor der Küste des Inselstaates, dringen immer wieder aufs neue in den taiwanischen Luftraum ein. Als die damalige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi im August vorigen Jahres Taiwan einen Besuch abstattete, betrachtete Festlandchina dies als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten, reagierte mit einer Militärübung, die eine Blockade Taiwans vorsah und den Einsatz scharfer Munition einschloß.
Den Chinesen fehlt es noch an Fachkenntnissen
Peking weigert sich zudem, auf die Anwendung von Gewalt gegen Taiwan zu verzichten. Immer wieder zieht die Volksrepublik mit militärischen Aktivitäten von neun Kriegsschiffen und 34 Kampfflugzeugen in unmittelbarer Nähe zu Taiwan eine erneute Drohkulisse auf. Zu einem Zeitpunkt, an dem Rotchina seine Vorbereitungen für eine mögliche Abriegelung der Insel bis hin zu einem möglichen Angriff intensiviert hat.
Das taiwanische Militär reagiert, versetzte seine Luft- und Seestreitkräfte in Alarmbereitschaft , aktivierte seine Raketensysteme. Der US-Luftwaffengeneral und Experte für das chinesische Militär, Michael Minihan, wies in einem Memorandum seine Offiziere inzwischen sogar an, sich auf einen möglichen Krieg zwischen den USA und China rund um den Taiwan-Konflikt im Jahr 2025 vorzubereiten. In Taiwan selbst wird derzeit die Rüstungsindustrie aktiviert, Verteidigungswaffen in den USA bestellt, die staatlichen Militärbudgets erhöht. Jüngst verlängerte die Regierung die Wehrpflicht von vier Monaten auf ein Jahr.
Doch nach Ansicht der zukünftigen Halbleiter-Experten Bo, Luan und Chen hat der Krieg schon längst begonnen. „Es ist ein Krieg um die Chipkontrolle, der längst schon mit voller Härte geführt wird und dem eigentlichen Krieg vorausgeht“, ist sich Bo sicher. „Wir sind im Prinzip die Soldaten des 21. Jahrhunderts“, ergänzt Chen nicht ganz ohne Stolz. „Die Kriege der Zukunft werden durch die Mikrochips entschieden“, erklärt Luan. Im Grunde seien sie mit ihren Kenntnissen so etwas wie Spezialeinheiten. Wer die besten Chips entwickeln und herstellen könne, sei in der Lage, die präzisesten und leistungsfähigsten Waffensysteme zu bauen, die dem Feind technologisch überlegen sind.
Und da kämen sie ins Spiel. Mit ihren Kenntnissen und ihrer Ausbildung seien sie die derzeit wohl gefragtesten Arbeitnehmer der Welt. Obwohl die drei noch studieren, haben sie alle längst Arbeitsverträge bei Chip-Herstellern in der Tasche. „Ich kenne Kommilitonen, denen Konzerne vorab ein Handgeld in fünfstelliger Höhe zahlen, damit sie bei denen anfangen“, erzählt Bo. Viele von ihnen würden später zu Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC) gehen, dem weltweit größten Auftragsfertiger für Halbleiterprodukte. Der Konzern beliefert mit seinem Know-how Unternehmensgrößen wie Apple oder AMD sowie deutsche Autokonzerne wie Audi oder Volkswagen.
Aber auch andere Unternehmen würden um die taiwanischen Halbleiter-Entwickler und Designer buhlen. „China hatte sich jahrelang bei uns auf dem Arbeitsmarkt bedienen dürfen“, erklärt Chen. Uni-Absolventen seien mit hohen Gehaltszahlungen und diversen Freiheiten und Privilegien ausgestattet auf das Festland gelockt worden, um Chips für die Volksrepublik zu entwickeln.
So sei Chinas bedeutendster Chipproduzent Semiconductor Manufactoring International Corporations (SMIC) erst durch das Know-how taiwanischer Halbleiter-Experten entstanden. Mit der Folge eines fatalen Wissens- und Fachkräftetransfers in Richtung des Festlandes. Ein Prozeß, der so weit ging, daß in Taiwan heute fast 40.000 Fachkräfte in der Chipindustrie fehlen. Zudem hatte das kommunistische Regime in Peking in seiner „Made in China 2025“-Strategie als Planungsziel angeordnet, bis zum besagten Jahr 70 Prozent seines Halbleiterbedarfs durch landeseigene Hersteller zu decken.
„Damit wären sie dann autark und nicht mehr auf westliche Materialien angewiesen“, sagt Bo. „Aber so einfach ist das in unserer Branche nicht, die Halbleiterproduktion ist sehr komplex“, gibt Luan zu bedenken. Der Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur dieses Ausmaßes sei „keine Sache von Jahren, sondern von Jahrzehnten, wenn überhaupt. Völlige Autarkie zu erreichen halte ich für unmöglich.“
Außerdem fehle es den Chinesen noch an den nötigen Fachkenntnissen. „Chips einer Größenordnung von 15 bis 20 Nanometern bekommen die hin. Damit könnten die eurer deutschen Autoindustrie durchaus Probleme bereiten. Aber die Top-Chips sind heute kleiner als 5 Nanometer“, schildert Bo das Dilemma Pekings. Wobei ein Nanometer gerade einmal einem Millionstel eines Zentimeters entspricht. „Je kleiner die Chips, desto höher die Rechenleistung und desto geringer der Stromverbrauch“, verdeutlicht Chen. Und wer die habe und entwickeln könne, verfüge letztlich über die bessere Technologie und die besseren Waffen. „Und Taiwan ist nun einmal in diesem Bereich führend.“ Allein TSMC produziert 92 Prozent der besonders wertvollen Logik-Chips, die eine Größe von weniger als 10 Nanometer betragen. Der Großteil dieser Chips wird bisher noch in Taiwan produziert.
„Ich möchte noch viele solcher friedvollen Feste erleben“
„Das macht den Konflikt so gefährlich, weil es die ganze Welt betrifft. Auch euch in Deutschland“, warnt Luan. Autos, Bank- und Kreditkarten, Computer, Mobiltelefone, Fernseher, Haushaltsgeräte, Drohnen, Kampfflugzeuge. All das wäre bei einer Eskalation in Taiwan betroffen.
Die drei hatten auch die Debatten um Huawei in Europa aufmerksam verfolgt. Und sich darüber gewundert, daß sich Deutschland derart in die Abhängigkeit Chinas hineinmanövrierte. „Entschuldige, wenn ich das so sage, aber ich dachte: Sind die Deutschen jetzt komplett verrückt geworden?“, schildert Bo seinen Eindruck, als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel den Weg für Huawei in Deutschland gegen die Widerstände des Parlaments frei machte. Die Politik Chinas nur aus der ökonomischen Perspektive zu betrachten hält er für naiv. „Ökonomisch macht auch ein Angriff auf Taiwan keinen Sinn. Aber was, wenn in China nicht ökonomisch, sondern ideologisch entschieden wird?“, gibt Bo zu bedenken.
Die drei Studenten haben sich längst ihre eigenen Gedanken darüber gemacht, was in einem solchen Fall aus ihnen wird. „Niemand von uns würde bei einem Überfall auf unser Land für Peking arbeiten wollen“, sagt Bo. Auch die große Mehrheit der taiwanischen Gesellschaft wolle weiter in Freiheit leben und nicht das Schicksal Hongkongs erleiden. „Was ist, wenn sie uns zwingen, unser Wissen in ihren Dienst zu stellen?“, meint Chen. Ihnen könnte Folter drohen. Oder den Familienangehörigen, um sie als Druckmittel einzusetzen. „Würden wir im äußersten Fall überhaupt noch rechtzeitig das Land verlassen können?“, fragt sich der 24jährige wie derzeit viele in seinem Freundeskreis besorgt.
Dennoch müßte die chinesische Volksbefreiungsarmee mit erheblichen Widerständen rechnen. Im Gespräch mit der jungen freiheit bringen viele ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, für ihr Land bis zum Äußersten zu kämpfen. Junge wie Alte. Frauen wie Männer. Wohlhabende wie auch ärmere Taiwaner. „Es ist unser Land. Wir müssen es so verteidigen, wie es derzeit die Ukraine tut“, sagt eine Frau um die 30, die darauf hofft, daß der Krieg in Europa Peking nachdenklich werden läßt.
Einer Studie der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies zufolge würde die Volksrepublik mit einer Invasion sogar scheitern, sollen sich die USA im Falle eines Taiwan-Überfalles militärisch einschalten. Allerdings wäre dies gleichzeitig mit enorm hohen Kosten für die Vereinigten Staaten verbunden, die dadurch ebenfalls nachhaltig Schaden nehmen würden, heißt es dort.
Die Eindämmung eines solchen Szenarios ist bereits in vollem Gange. Mittlerweile könne die Volksrepublik nicht mehr ohne weiteres auf modernstes Material zur Herstellung von Mikrochips aus dem Westen zurückgreifen, die USA hatten 2021 Sanktionen gegen chinesische Technologiekonzerne verhängt. Zudem ist es der Biden-Administration gelungen, Länder wie Japan, Südkorea und vor allem die niederländische Firma ASML (Advanced Semiconductor Materials Lithography) für eine gemeinsame Sanktionierung Chinas ins Boot zu holen. ASML ist der weltweit größte Anbieter von Halbleitertechnik, seine hochkomplexen Maschinen spielen weltweit eine entscheidende Rolle bei der Herstellung von Mikrochips. Doch gerade der ASML-Vorstandsvorsitzende Peter Wennink ist ein entschiedener Gegner von Sanktionen und erklärt lapidar: „Wenn sie diese Maschinen nicht bekommen können, werden sie sie selbst entwickeln. Die Gesetze der Physik sind in China dieselben wie hier.“
Auch der Abwerbung von Chip-Experten schob die taiwanische Regierung 2021 einen Riegel vor, das Arbeitsministerium wies sämtliche in- und ausländischen Personalvermittler an, keine offenen Stellen für Chip-Experten in China mehr auszuschreiben. „Bei einem Krieg würde es doch nur Verlierer geben“, meint ein taiwanischer Familienvater im Gespräch mit der JF am Rande des Laternenfestes. „Schauen Sie sich dieses friedvolle Fest an. Ich möchte hier noch viele davon erleben“, sagt der Mann und legt seine Hand schützend auf die Schulter seines kleinen Sohnes, während beide fasziniert nach oben blicken. Dort, in der Nähe des Taipeh 101-Towers, strahlen Scheinwerfer in den Nachthimmel, bilden ein Symbol. „Sieht aus wie das Batman-Zeichen“, scherzt Chen. „Naja, in Zeiten wie diesen sind wir für jede Hilfe dankbar, auch von Batman“, sagt Luan dazu mit Blick auf den JF-Reporter und schmunzelt.
Lesen Sie in Teil 2 dieser Ausgabe: Der lautlose Krieg – Wie China und die USA in Taiwan und auf den Philippinen um die Vorherrschaft im Südchinesischen Meer ringen.