Die sozialdemokratische Labour-Partei Neuseelands steckt in der Krise. Anfang Dezember 2020 lag sie laut Umfragen bei 53 Prozent, ein Jahr später waren es nur noch 39,5 Prozent. Zwar gab es immer wieder temporäre Verbesserungen, doch das alte Niveau konnte seitdem nicht mehr erreicht werden. Nachdem im Dezember 2022 bei der Kommunalwahl in Hamilton West der konservative Kandidat Tama Potaka überraschend deutlich mit 46,29 Prozent der Stimmen die Wahl gegen die Labour-Kandidatin Georgie Dansey (30,14 Prozent) gewann, gab Premierministerin und Labour-Vorsitzende Jacinda Ardern wenige Tage später ihren Rücktritt bekannt.
Sie begründete das damit, daß sie nicht mehr genug Kraft habe, um das Amt weiter auszufüllen. Zugleich kündigte sie die Neuwahl des Parlaments zum 14. Oktober 2023 an. Obwohl die Labour-Partei bei den Wahlen 2020 50 Prozent der Stimmen bekam, bildete Ardern mit den Grünen, die auf 7,9 Prozent kamen, eine Koalition. Die Regierung Neuseelands hat eine Besonderheit: neben dem eigentlichen Kabinett, das nur aus Labour-Mitgliedern besetzt ist, gibt es auch Minister außerhalb des Kabinetts. Zwei dieser Ressorts sind von Grünen besetzt: James Shaw ist Klimaschutz-Minister, Marama Davidson ist Familienministerin.
Ob der neue Premierminister Chris Hipkins (Labour) bereit ist, diese Koalition nach den Wahlen fortzuführen, ist derzeit noch ungewiß. Besonders nachdem der 44jährige sofort eine „neue Richtung“ der Labour-Regierung ankündigte. Nach Ansicht von Stewart Sowman-Lund von dem neuseeländischen Online-Magazin The Spinoff stellt dies „eine Abrißbirne für das umfangreiche politische Programm von Jacinda Ardern“ und ein „großes politisches Gemetzel“ dar. Besonders hart trifft es die Sozialversicherung, die ein soziales Sicherheitsnetz für Menschen darstellen sollte, die arbeitslos geworden sind. Eine endgültige Entscheidung über die Zukunft dieser Reform wurde auf die Zeit nach den Wahlen verschoben, im Moment ist sie auf Eis gelegt.
Hipkins stellte klar: „Wir werden eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen sehen müssen, bevor etwas unternommen wird.“ Zwar könne das Projekt in der Zukunft wiederbelebt werden, auch werde die Arbeit grundsätzlich fortgeführt, aber: „Im Moment gibt es keine öffentliche Unterstützung für dieses Vorhaben.“ Ebenfalls auf den Prüfstand kommen nach Worten Hipkins’ Einschätzung die Biokraftstoffe. Diese hätten zu einem Anstieg der Kraftstoffpreise geführt. „Angesichts des Drucks auf die Haushalte bin ich nicht bereit, dies weiterzuführen“, betonte der Premierminister.
Der neue Premier sieht den Kampf gegen Haßreden überbewertet
Für das größte Aufsehen sorgte aber seine Ankündigung, die vorgeschlagene Gesetzgebung zur Haßrede aufzugeben, „da sie nichts mit der Lebenshaltungskostenkrise zu tun zu haben scheint“. Der Plan wird zwar nicht ganz begraben, aber in den hintersten Winkel der Gesetzeskommission verlegt. Das Gesetz zur Änderung der Menschenrechte, das dem Bericht von Spinoff zufolge bereits während der Amtszeit von Jacinda Ardern als Premierministerin stark verwässert wurde, sollte Menschen nach den Anschlägen auf die Moschee in Christchurch vor religiöser Diskriminierung schützen. Darauf angesprochen, was Lebenshaltungskosten und Haßreden miteinander zu tun hätten, sagte Hipkins, es gehe weniger um eine Umschichtung der Mittel, als darum, Prioritäten zu setzen. So würden Gesetzesvorschläge zu Haßreden „viel Zeit und Aufmerksamkeit der Regierung in Anspruch nehmen.“
Der Premierminister appellierte daran, „den politischen Konsens zu erreichen“, der in der Vergangenheit erzielt werden konnte und warnte vor einer politischen Debatte, „die ins Leere läuft“. Dringenden Handlungsbedarf sieht Hipkins beim Gesundheitssystem. Derzeit gibt es 20 lokale Gesundheitsbehörden mit vielen Ämtern. Das sei ineffizient und müsse unbedingt schlagkräftiger gemacht werden.
Scharfe Kritik kam von Oppositionsführer Christopher Luxon von der konservativen Nationalen Partei. Die Regierung habe viele ihrer Pläne lediglich auf einen anderen Tag verschoben. „Sie sind immer noch besessen von ideologischen Lieblingsprojekten, sie haben immer noch keinen Plan, um die Lebenshaltungskosten zu senken, und sie sind immer noch süchtig nach verschwenderischen Ausgaben“, sagte Luxon. Bei den Neuwahlen am 14. Oktober 2023 wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet. Derzeit liegen die sozialdemokratische Labour-Partei und die konservative Nationalen Partei mit jeweils 34,4 Prozent gleichauf.