© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/23 / 10. März 2023

Ankaras brisante Spielchen
Nato: Erdoğans Veto und Orbáns Spielchen blockieren Schwedens und Finnlands Beitritt
Felix Hagen

Die Stimmung bei den Antragstellern ist gut. Fast einstimmig entschied sich das finnische Parlament in seiner Sitzung am 1. März für den Beitritt zum Nordatlantikpakt. Bereits im Mai vergangenen Jahres hatte der Reichstag darüber abgestimmt, den Beitritt offiziell anzustreben. Parallel dazu entschied sich die überwältigende Mehrheit der Finnen für das Militärbündnis. Grund zur Freude für Nato-Chef Jens Stoltenberg, der einen Tag zuvor in einer Pressekonferenz die Aufnahme von Schweden und Finnland als „top priority“ – also von höchster Dringlichkeit – bezeichnet hatte. 

Doch nicht alle wollen in die freundlichen Töne einstimmen. Während eine deutliche Mehrheit der Mitgliedstaaten den Beitrittsantrag der beiden Nordländer unterstützt, stellen sich zwei Staaten weiterhin quer. Sowohl Ungarn als auch die Türkei haben bisher keine Anstalten gemacht, dem Vorhaben zuzustimmen. Für die Nato verheißt besonders die offene Ablehnung aus Ankara nichts Gutes.

Denn während sich Ministerpräsident Viktor Orbán zwar traditionell in der Rolle des Rebellen gefällt, ist sich der Ungar seiner eigenen Schwäche bewußt. Sowohl ökonomisch als auch politisch sind Budapest innerhalb der Nato enge Grenzen gesetzt, die starke Abhängigkeit der ungarischen Wirtschaft von den großen EU- und Nato-Mitgliedern kann Orbán langfristig nicht ignorieren. 

Die Türkei verfolgt außenpolitisch längst eigene Interessen

Dies weiß auch seine eigene Partei. Katalin Novák etwa, ungarische Präsidentin und nominelles Staatsoberhaupt, postete auf Facebook, sie „halte die Anträge der beiden nordischen Staaten in der aktuellen Lage für gerechtfertigt“. Das magyarische Parlament entschied sich in seiner Sitzung in der gleichen Woche jedoch für einen weiteren Aufschub. Es vertagte die Entscheidung über die Ratifizierung des Antrags auf Ende März. 

Nicht wenige sehen darin einen Versuch, auf Zeit zu spielen. Denn anders als sein Amtskollege an der Donau kann Präsident Recep T. Erdoğan in der Türkei deutlich selbstbewußter agieren. Die Türkei ist, gemessen an ihrer Truppenstärke, das zweitstärkste Land der Allianz. Auch technisch baut Ankara seine Möglichkeiten zielstrebig aus, setzt auf Drohnentechnik und Panzer aus eigener Produktion. 

Längst verfolgt die türkische Republik im Nahen Osten ihre eigenen Interessen und signalisiert immer wieder den westlichen Partnern: Es geht auch ohne euch. Auch im Umgang mit Rußland setzt Erdoğan weit weniger auf Abgrenzung als Brüssel oder Washington. Der geschickte Verhandler setzt nun die Allianz aus einer Position der Stärke unter Druck. Das antragstellende Schweden will er etwa zur Auslieferung von kurdischen Aktivisten zwingen. Stockholm gilt seit langem unter arabischen und kurdischen Oppositionellen als sichere Heimstatt. Viele führende Mitglieder der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) haben sich dorthin geflüchtet. Die hätte Ankara gern wieder zurück unter seiner Kontrolle, allein um daraus innenpolitisch Kapital schlagen zu können. Denn in der Türkei wird dieses Jahr gewählt, und die AKP von Erdoğan steht in einigen Landesteilen unter Druck. 

Auch deswegen gehen Beobachter nicht von einer Einigung aus, denn auch in Stockholm sind die Kompromißbereiten in der Minderheit. Erstmals regieren dort die Schwedendemokraten in der Regierung mit. Die geben sich zwar mittlerweile gemäßigt und tragen den bürgerlichen Kurs der Regierung im großen und ganzen mit, müssen aber weiterhin die Bedürfnisse ihrer Stammwählerschaft bedienen. Die aber lehnt Anakara schon aufgrund seiner islamischen Religiosität ab. Gegenüber Erdoğan nachzugeben könnte in Schweden politisches Kapital kosten. 

Dennoch reisten schwedische Diplomaten am 9. März nach Brüssel, um die Türkei von einem Konsens, gegenseitiger Loyalität und der gemeinsamen Achtung von Recht, Ordnung und Demokratie zu überzeugen, kommentierte Aftenbladet süffisant.