© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/23 / 10. März 2023

Aber bitte mit Sahra?
Gerüchte um Wagenknecht-Partei: Mit vagen Andeutungen macht sich die Linken-Renegatin weiter interessant / Begeisterung vor allem von rechts
Christian Vollradt

Tut sie es oder tut sie es nicht? Kehrt die Linken-Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht ihrer Fraktion den Rücken und gründet eine neue Partei? Und wenn ja, wer folgt ihr? Es sind die derzeit heiß diskutierten Fragen in der politischen Blase Berlin. 

Vergangene Woche hatte die Politikerin, die derzeit für den nordrhein-westfälischen Landesverband im Parlament sitzt, gegenüber der Zeitung Rheinpfalz „eine erneute Kandidatur für die Linke“ ausgeschlossen. Sie wolle sich entweder aus der Politik zurückziehen und als Publizistin und Buchautorin arbeiten, „oder es ergibt sich politisch etwas Neues“. Dieses „oder“ ist es, was ihre Anhänger wie Gegner elektrisiert. Die Politikerin selbst gab sich zurückhaltend angesichts solcher Spekulationen über eine Parteigründung: „Darüber wird an vielen Stellen diskutiert.“ Allerdings sei es ein Problem, daß sich viele Menschen im heutigen Parteienspektrum von niemandem mehr wirklich vertreten fühlten.

Eine neue Wagenknecht-Partei hätte laut Erhebungen gute Chancen bei den Wählern. Das Meinungsforschungsinstitut Kantar hat für eine etwaige Wagenknecht-Partei ein Wählerpotential von 19 Prozent ermittelt. Solch eine Konkurrenz müßte vor allem die AfD fürchten (siehe Seite 5). Denn 60 Prozent ihrer Wähler könnten sich vorstellen, ihr Kreuzchen künftig lieber bei den Sahristen zu machen. Unter den Anhängern ihrer – noch? – eigenen Linkspartei, könnte Wagenknecht nach einer Abspaltung mit 50 Prozent Überläufern rechnen. Bei FDP-Wählern käme sie auf 26 und bei Anhängern von CDU/CSU auf 16 Prozent.

Daß ausgerechnet politisch deutlich weiter rechts Verortete sich als ihre besonders treuen Fans entpuppen, ist Wagenknecht eher unangenehm. Sogar „widerwärtig“ finde sie, daß manche im Mileu der AfD sie als Bündnispartnerin zu umgarnen versuchen, bekannte sie gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Aber: „Natürlich würde ich mir wünschen, daß diese Wähler wieder ein seriöses politisches Angebot finden, also eins, in dem sich nicht auch Rechtsextremisten tummeln.“

In der Linkspartei scheinen unterdessen einige den Trennungsprozeß der früheren Fraktionsvorsitzenden geradezu herbeizusehnen. „Reisende soll man nicht aufhalten“, sagte die Partei-Vizechefin und Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert der Deutschen Presse-Agentur. „Politik macht sie schon lange nicht mehr für die Linke.“

Dabei dürfte Wagenknecht durchaus bewußt sein, daß sie ihre herausgehobene Stellung in der Öffentlichkeit und insbesondere ihre zahlreichen Talkshow-Auftritte gerade der Mitgliedschaft in einer Partei verdankt, in der sie die Rolle der Renegatin spielt. Und das kann sie nur, solange sich die Auseinandersetzungen zwischen dem Wagenknecht-Flügel und ihren Gegnern innerhalb der Linken abspielen.

Hinzu kommt, daß eine Partei nicht dauerhaft als Ein-Mann-Schau funktioniert, wie beispielsweise der Politrentner Jürgen Todenhöfer erfahren muß. Der langjährige Wagenknecht-Kenner und Fraktionskollege Gregor Gysi beurteilt daher ihre Chancen auch skeptisch, sollte sie dem Drängen zur Sezession nachgeben. Der Linken-Veteran und Ex-SED-Vorsitzende zweifelte im Podcast „The Pioneer“ zudem an einer unabdingbaren Fähigkeit: „Sahra kann vieles, aber nicht organisieren.“