© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/23 / 10. März 2023

„In ein Schisma hineinstolpern“
Katholiken: In Deutschland streiten die Gläubigen, ob und wie die Kirche sich verändern muß / Droht eine neue Spaltung?
Gernot Facius

Der emeritierte deutsche Kurienkardinal Walter Kasper hat jüngst zu seinem 90. Geburtstag ein bemerkenswertes Geständnis abgelegt: Seine Heimatkirche sei ihm so fremd geworden, wie der Vatikan es ihm noch heute sei, bekennt der ehemalige Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Christen in Interviews. 

Den Synodalen Weg, über den derzeit so heftig gestritten wird, hält Kasper für eine Sackgasse, das intellektuelle Niveau der Bischofskonferenz für im „freien Fall“ begriffen. „In Rom herrscht Kopfschütteln über die Deutschen.“ Der Synodale Weg betone, und da zitiert der Kardinal den Episkopats-Vorsitzenden, Limburgs Bischof Georg Bätzing, daß  man kein Schisma wolle. „Aber man kann auch in ein Schisma hineinstolpern“, warnt Kasper. Er räumt zugleich ein Problem ein, über das in der aktuellen Debatte oft hinweggesehen wird: Zwar habe das Konzil das Zusammenwirken zwischen Bischöfen und Papst, aber auch zwischen Laien und Klerikern, auf neue theologische Grundlagen gestellt, aber wie das genau funktionieren solle, das habe es nicht geklärt. Das wolle jetzt Papst Franziskus mit einer Synode zur Synodalität regeln. 

Geknirscht hat es schon oft zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Vatikan. Neu ist allerdings der Ton, in dem debattiert wird. Daß Reformen notwendig sind, wird von keinem kirchlichen Lager bestritten. Doch wie weit sollen und können Neuerungen gehen? Hier beginnen sich die Geister zu scheiden. Bätzing sagt es so: Es gehe um eine Kirche, die den Menschen nahe sei, die gegen sexualisierte Gewalt und deren Vertuschung aufstehe, und die sich dafür einsetze, Strukturen zu überwinden, die Mißbrauch begünstigen. 

Ein Schisma, eine Kirchenspaltung, wolle niemand, betont der Episkopats-Vorsitzende immer wieder. Es mache ihn „traurig“, welche Macht dieses Wort bekommen habe, „mit dem man uns die Katholizität und den Willen zur Einheit abzusprechen versucht“. Bätzing wehrte sich gegen den in immer neuen Variationen geschürten Verdacht, es solle eine „Nationalkirche“ angestrebt werden. Ein deutscher Sonderweg, beteuert der DBK-Vorsitzende, sei nicht beabsichtigt. „Bedenken und Hinweise“ aus dem Vatikan wolle man ernst nehmen, ja man sei auch kurzfristig bereit, nach Rom zu gehen und sich zu erklären. 

Bischof sieht Parallelen zur 

Reformation Martin Luthers

Daß ein „harter Kern“ an Bischöfen dennoch äußerst reserviert bis ablehnend auf den Kurs des Limburger Oberhirten reagiert, läßt sich allerdings nicht in Abrede stellen. Bayerische Bischöfe wie Rudolf Voderholzer (Regensburg), Gregor Maria Hanke (Eichstätt) und Stefan Oster (Passau) machen aus ihren Vorbehalten kein Hehl. Oster erkennt in der derzeitigen Lage der Kirche in Deutschland gewisse Parallelen zur Reformation Martin Luthers. „Heute wie damals“, so Oster, stehe man an „einem entscheidenden Punkt in der Kirchengeschichte“, er sei „dankbar für jedes klärende Wort“ aus dem Vatikan. 

Voderholzer befürchtet, daß ein Warnschreiben, das auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes verschickt wurde, „größtenteils ignoriert wird“. Hanke beklagte eine „Polarisierung“ in den Sitzungen der Bischofskonferenz und des Synodalen Weges. Manche Phasen der Synodenversammlung habe er „eher wie auf einem Parteitag empfunden“. Und im Kölner „Domradio“ befand der Magdeburger Oberhirte Gerhard Feige: „Manche fürchten einen Synodalen Rat wie der Teufel das Weihwasser.“ 

Es gebe einen harten Kern von Mitgliedern des Episkopats, die sich jeglichen Reformen „total verweigern“ – so beschrieb die amtskirchenkritische Bewegung „Wir sind Kirche“ die Lage. Einen anderen Akzent setzte das Magazin Cicero: Die katholische Kirche müsse endlich aus dem Krisenmodus herausfinden und Schluß machen mit der eigenen „Selbstverzwergung“. Vor den Abschlußberatungen des Synodalen Wegs dominierten Selbstbeschäftigung und innere Streitereien. „Dabei verliert die Kirche vieles, auch politische Relevanz.“ Die Tübinger Theologieprofessorin Johanna Rahner betrachtet Bätzings Vorgehensweise von einer anderen Seite her. Sie kritisiert die fehlende Vernetzung im europäischen Reformdiskurs. Reformforderungen, so ihr Plädoyer, müßten diplomatischer angegangen werden.  

Mit anderen Worten: Was so schlagzeilenträchtig begonnen wurde, könnte sich am Ende als medial hochgeputschtes Thema von geringer Relevanz erweisen. Kommentar der Welt: Im schlimmsten Fall drohe die Sache ohne praktische Folgen auszugehen, bei „maximalen Kollateralschäden“. Der Reformprozeß fordere mehr Partizipation, habe aber die eigenen Gremien nicht demokratisch besetzt, sondern nach „intransparenten Proporzregeln“. Das größte Problem aber sei ein mißglücktes „Erwartungsmanagement“. 

Bei „liberalen“ Katholiken dürfte die Verabschiedung der Reformideen von Bischof Bätzing die Hoffnung wecken, daß diese Ideen auch realisiert werden. Doch es gibt einen Haken. Jeder Bischof entscheidet selbst, ob er die Beschlüsse übernimmt und realisiert. Das ist die Lage. Wie immer auch die Debatte in der Bischofskonferenz und der Synodenversammlung (225 Delegierte, Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien) ausgeht – es wird noch einige Überraschungen geben.