© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/23 / 10. März 2023

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Schweinerei im Omnibus
Paul Rosen

Als der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Ramsauer einst Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses war, nahm man sich dort viel Zeit für Gesetzentwürfe. Wenn zum Beispiel Annalena Baerbock (Grüne) einen Sachverhalt wieder einmal nicht verstanden hatte, ließ Ramsauer den Vorgang noch einmal erklären. Und bei Bedarf noch ein weiteres Mal.

Baerbock ist inzwischen Außenministerin, und auch sonst hat sich sehr viel verändert, vor allem beim Umgang der Koalition mit der Opposition. Das war gerade im Bauausschuß zu erleben, wo die Ampel ein besonders eilbedürftiges Vorhaben per juristischem Winkelzug in die Gesetzgebung einfließen ließ: die Umsetzung einer EU-Verordnung, mit der Windkraftanlagen schneller gebaut werden sollen. Das wurde an ein Raumordnungsgesetz angehängt – im „Omnibusverfahren“. Das bedeutet konkret: Der Entwurf des Raumordnungsgesetzes war schon seit seit längerem im Bundestag beraten und auch im Ausschuss behandelt worden. Kurz vor der Schlußabstimmung im Ausschuß, der die Empfehlung für den Bundestag erstellt, brachte die Koalition einen Änderungsantrag zum Raumordnungsgesetz ein und fügte darin die – sachfremde – Beschleunigung des Windkraftausbaus kurzerhand hinzu. 

Was der Abgeordnete Michael Breilmann (CDU) als „nicht mehr zu überbietendes Chaos“ in der Herzkammer der Demokratie bezeichnete und der Ausschußvorsitzende Klaus Ernst (Linke) in 18 Jahren parlamentarischer Arbeit noch nicht erlebt hat, lief so ab: Kurz vor der Sitzung traf der Änderungsantrag mit dem Omnibusgesetz bei den Fraktionen ein. Im Bauausschuß wurde von der Opposition daraufhin eine Anhörung beantragt, die von der Koalition auch genehmigt wurde – und bereits vier Stunden später stattfinden sollte. Bei den Geschäftsordnungsabstimmungen stimmten angeblich auch Abgeordnete der Koalition mit, die dem Ausschuß gar nicht angehörten. In der dann tatsächlich abgehaltenen Anhörung gab einen Sachverständiger zu, er habe den Omnibus-Änderungsantrag einen Tag vorher erhalten hatte und somit wesentlich früher als die Oppositionsabgeordneten.

Für den Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), handelt es sich bei dem Vorgang um einen „neuen Tiefpunkt in der fortlaufenden Mißachtung des Parlaments durch die Ampel“. Bei einer innerhalb von vier Stunden angesetzten Sachverständigen-Anhörung sei es faktisch unmöglich, Experten zu gewinnen. Frei warf der Koalition vor, Oppositionsrechte nur noch zu simulieren. Der AfD-Abgeordnete Roger Beckamp nannte das Vorgehen der Koalition als „ahnungslos und rücksichtslos“. Die von Frei und auch von Ernst alarmierte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) reagierte inzwischen. Sie mahnte in einem Brief an das Kanzleramt mehr Zeit für die Beratung von Gesetzentwürfen an. In der Tat hat das Tempo zugenommen. Zu Ramsauers Zeiten beantragte die Regierung nur bei jedem dritten oder vierten Gesetz eine Verkürzung der Beratungsfristen; seit Rot-Grün-Gelb bei jedem zweiten.