© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/23 / 10. März 2023

Zwischen Klo und Quote
Feministische Außenpolitik: Annalena Baerbock versichert, ihr Vorhaben sei notwendig und zugleich nicht revolutionär. Dabei ist es vor allem ideologiegetrieben
Peter Möller

Der Spott ist dem Vorzeigeprojekt von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gewiß. Nachdem sie in der vergangenen Woche das Konzept für eine „feministische Außenpolitik“ gemeinsam mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) vor dem Kanzleramt der Presse vorgestellt hatte, reagierte das Internet mit Häme. 

Auslöser war ein Beispiel, mit dem Baerbock während des Pressestatements versuchte, zu erklären, was feministische Außenpolitik überhaupt bedeutet: Wenn man etwa bei der Planung der Sanitäranlagen für ein Dorf in Nigeria nach dem Geruch gehe, könne man auf den Gedanken kommen, sie am Rande des Dorfes zu planen, erklärte Baerbock den erstaunten Journalisten. Frage man sich aber, was es für Frauen und Kinder heißt, die Toiletten nachts aufzusuchen, dann treffe man diese Entscheidung anders. „Weil Frauen im Dunklen in Gebieten, die ohnehin unsicher sind, nicht allein vor die Tür gehen können“, sagt die Außenministerin. Mit anderen Worten: Deutschland erklärt den Afrikanern künftig, wo sie ihre Toiletten zu bauen haben. Schnell machte in Berlin der Vorwurf des „Klo-Kolonialismus“ und der Rückkehr des Wilhelminismus in die deutsche Außenpolitik die Runde.

Doch Baerbock und die hinter ihr stehenden Aktivisten sind nicht zum Scherzen aufgelegt. Sie meinen es ernst: „Wir verfolgen eine feministische Außenpolitik, weil es bitternötig ist. Weil Männer und Frauen weltweit noch immer nicht gleichgestellt sind“, schreibt die Ministerin im Vorwort der 80 Seiten umfassenden Leitlinien, die in der vergangenen Woche vom Kabinett beschlossen worden sind.

Zwar versucht die Grüne den Eindruck zu zerstreuen, bei dem Konzept handele es sich um eine Revolution im Auswärtigen Amt. Die feministische Außenpolitik sei „kein Kampfbegriff“, „kein Gedöns“, und die Leitlinien „kein missionarisches Pamphlet, mit dem wir naiv die Welt verbessern wollen“, versichert sie. Doch die Köpfe hinter dem Konzept, wie etwa die Aktivistin und Leiterin des Berliner „Zentrums für feministische Außenpolitik“, Kristina Lunz, lassen keinen Zweifel daran, daß es ihnen ernst ist mit einer grundlegenden Änderung der deutschen Außenpolitik: „Die Herrschaften, die meinen, wir hätten das schon immer gemacht, verwechseln da was“, sagte Lunz der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Traditionelle Außenpolitik habe sich vor allem auf Sicherheit und Wirtschaft fokussiert. Eine feministische Außenpolitik verschiebe den Blick.

Die Ziele, die Baerbock im Vorwort der Leitlinien definiert, sind durchaus ambitioniert: „Eine feministische Außenpolitik zielt so auf die Gleichstellung von Frauen und Mädchen weltweit. Sie nimmt sich der besonderen Belange marginalisierter Gruppen an. Sie will erreichen, daß alle Menschen die gleichen Rechte genießen.“ Insgesamt zehn Leitlinien sind in dem Papier aufgeführt, wobei sich die ersten sechs auf das außenpolitische Handeln beziehen, vier betreffen die Arbeit im Auswärtigen Amt.

Doch was bedeuten derlei Ankündigungen in der Praxis? Damit die feministische Außenpolitik auch tatsächlich umgesetzt werden kann, soll sich nach dem Willen von Baerbock im Auswärtigen Amt einiges ändern. So sollen neue Arbeitsweisen und Strukturen entwickelt und der Posten einer „Botschafterin des Auswärtigen Amts für feministische Außenpolitik“ geschaffen werden. „Wir werden hart daran arbeiten, unserem Auswärtigen Dienst ein weiblicheres Gesicht zu geben und den Anteil von Frauen in Führungsfunktionen erhöhen“, kündigt Baerbock an. Ziel sei es zudem, bis zum Ende der Legislaturperiode 85 Prozent der Projektmittel „gendersensibel“ auszugeben. Außerdem sollten acht Prozent der Mittel „gendertransformativ“ gezahlt werden.

Kritiker befürchten, 

China profitiere davon

Am Ende sollen nach dem Willen der Ministerin die Leitlinien die innere Arbeitsweise des Amtes prägen und helfen, einen „feministischen Reflex“ auszubilden. Dieser „soll sich in Zukunft im gesamten Spektrum unseres außenpolitischen Handelns niederschlagen“. Dabei geht es Baerbock um mehr, als dafür zu sorgen, daß der Anteil der Frauen unter den Leitern der 226 deutschen Auslandsvertretungen von derzeit 27 Prozent auf mindestens die Hälfte steigt. Ziel ist außerdem die angestrebte Parität der Begleitdelegationen bei Reisen der Ministerin oder die Aus- und Weiterbildung der „Gender- und Diversitätskompetenz“ insbesondere von Führungskräften im Amt.

„Wir fragen danach, wo wir die Gesellschaftsaußenpolitik neu und offener für Fragen der vielschichtigen Formen von Diversität ausrichten müssen“, heißt es in den Leitlinien. Und weiter: „wir integrieren die Perspektiven von Frauen und marginalisierten Gruppen in unsere weltweite Arbeit für Frieden und Sicherheit“. Es geht also nicht nur um die deutsche Gesellschaft, die Politik des Auswärtigen Amtes soll nach dem Willen Baerbocks auch die Gesellschaften anderer Länder verändern. Etwa dadurch, daß deutsche Botschaften in ihrem Gastland nur noch an Veranstaltungen teilnehmen, wenn dort „Geschlechtergerechtigkeit“ herrscht. „Für Veranstaltungen im In- und Ausland geben wir einen Parity Pledge ab: Wir verpflichten uns, bei Panelveranstaltungen und im Einladungsmanagement künftig einen Paritätskorridor einzuhalten. Seine Beachtung ist ein Faktor für die Entscheidung, ob wir an Veranstaltungen teilnehmen.“ 

Mit anderen Worten: Künftig ist nicht mehr das Interesse Deutschlands ausschlaggebend, ob Vertreter der Botschaft an Veranstaltungen teilnehmen, sondern die Frage, ob genügend Frauen eingeladen sind. Kritiker werfen Baerbock unter anderem vor, daß Deutschland sich durch derartig eng gefaßte  Vorgaben Einflußmöglichkeiten etwa in afrikanischen Staaten verbaue, die dann im Gegenzug gerne etwa von China übernommen werden.